Wie bereits anfangs der Reihe einleitend erwähnt, können wir allein kleine Ausschnitte, oder anders formuliert, vier Fenster in die Geschichte öffnen, die für den geschichtlichen Hergang entscheidend waren und in direktem Zusammenhang mit unserem Ort stehen – sozusagen vier Schlüsselszenen.[i]
Im Kirchgarten sahen wir, welche Belastungen auf der ländlichen Bevölkerung lagen und wie die sozialen, rechtlichen und wirtschaftlichen Strukturen aussahen.[ii] Wir sind nun im Schaichtal, oben thront Weil mit seiner Kirche und dem Mönchshaus und unten zeigt sich in Szene 3 das Jahr 1524 in der späten zweiten Jahreshälfte.
Aufstände gab es seit dem späten 15. Jh.[iii] In unserer Region erschütterte 1514 ein regional begrenzter, erster Aufstand das Herzogtum, der sogenannte Arme Konrad.[iv] Über die Vogtgerichte wollte man in Entscheidungen der Dorfgerichte eingreifen und z. B. die Nutzung des Waldes massiv einschränken. Eine zusätzliche Verbrauchssteuer folgte und diese brachte zusammen mit der aufwändigen Hofhaltung des Herzogs und klimatisch bedingten Missernten das Fass zum Überlaufen. Der Aufstand konnte durch Herzog Ulrich und die Ehrbarkeit (dominierende Oberschicht der Amtsstädte) niedergeschlagen werden.[v] Noch im selben Jahr wurde der Tübinger Vertrag zwischen dem Herzog und den Landesständen abgeschlossen und sicherte dem gemeinen Mann z. B. das Recht auf Freizügigkeit oder den Untertanen ordentliche Gerichtsprozesse zu. Gleichzeitig entstand damit auch die Empörerordnung, die jegliche Form des Widerstands gegen die Obrigkeit verbot und somit kriminalisierte.[vi] Im Gegensatz zum Böblinger Amt blieb es in unserem Klosteramt wohl ruhig,[vii] was ein Indiz dafür sein könnte, dass der Krummstab doch milder war als das Zepter (vgl. Ausgabe 17/2025).
Die Unruhen der Jahre 1524/25 hatten eine weitaus größere Reichweite. Zu den sozialen Spannungen kamen nun auch Strömungen aus reformatorischen Ansätzen, die sich auf das göttliche Recht beriefen und eine weitere Argumentationsebene mit sich brachten.[viii] Herzog Ulrich wurde 1519 vom Schwäbischen Bund vertrieben und lebte bis 1534 verbannt im Exil.[ix] Württemberg stand seit 1520 unter habsburgischer/vorderösterreichischer Verwaltung und einer Statthalterregierung, die mehrheitlich als fremde Macht abgelehnt wurde und dadurch geschwächt war. Mit ihr auch deren Vertreter, wie Vögte und Schultheiße.[x] Auch wenn die Aufständischen Freiheit und Mitbestimmungsrechte forderten, so lehnten sie die göttliche Ordnung und ihren Herzog mehrheitlich nicht ab.[xi] Seit Mitte 1524 organisierten sich paramilitärisch Bauern im Thurgau. Die Unruhen breiteten sich u. a. auf den Schwarzwald, den Hegau und das Breisgau aus, ab Januar 1525 dann auch in Oberschwaben, im Allgäu und am Bodensee. Georg III. Truchsess von Waldburg-Zeil erklärte im Februar den Hegauer Bauern den Krieg. Wenige Wochen später wurde die Christliche Vereinigung von oberschwäbischen Bauern gegründet sowie die Zwölf Artikel beraten. Die Zwölf Artikel wurden in sehr hoher Auflage (25.000 Exemplare in zwei Monaten) gedruckt und fanden so eine rasche Verbreitung. Mitte April begannen die Aufstände dann auch in Württemberg[xii] (Ende April: Haufen aus dem Schwarzwald und dem Gäu; Heller Christlicher Haufen unter Matern Feuerbacher).[xiii] Verbreitung fanden die Inhalte über gedruckte Flugschriften und -blätter[xiv], aber auch durch die persönliche Verbreitung von Reisenden wie Händler und Bader (Barbier, Wundarzt, Heiler). Man entwickelte Symbole und Kennwörter, um sicher gehen zu können, mit wem man sich traf und wessen Geistes Kind jemand war. So galt die württembergische Stange (Hirschstange; gemeine Figur in der Heraldik, vgl. Wappen Württemberg) als Symbol des Widerstands gegen die vorderösterreichische Herrschaft oder der Bundschuh als altes Symbol und Feldzeichen des Aufstands des gemeinen Mannes.[xv]
Wie für Szene 1 bereits erwähnt, waren die Verhältnisse nicht „schwarz-weiß“. Viele der Aufständischen gehörten zur Oberschicht, waren wohlhabend und konnten auch lesen und schreiben. Auch Frauen spielten eine entscheidende Rolle. Sie waren an den Kriegshandlungen zwar nicht direkt beteiligt, nahmen jedoch an Plünderungen teil und verbreiteten die neuen Strömungen, verbunden mit dem Wunsch nach Freiheit und Mitbestimmungsrecht, mit Wort und Feder. Diese Form des schriftlichen und rhetorischen Widerstands war für die Seite der Herrschaft mindestens genauso gefährlich und noch dazu nur schwer kontrollierbar. So entwickelte die Seite des Schwäbischen Bundes eine Geheimschrift, damit Dokumente von den Aufständischen beim Abfangen nicht gegen sie verwendet werden konnten.[xvi]
Innerhalb nur weniger Wochen schlossen sich den Haufen der Aufständischen Tausende an, teils freiwillig, teilweise aber auch unfreiwillig.[xvii] Der Einsatz von Gewalt war mittlerweile ein legitimes Mittel und man wollte nicht länger auf Verhandlungen setzen (vgl. Szene 1). Anfang April des Jahres 1525 kam es bei Leipheim (Ulm) zur ersten Schlacht des Bauernkriegs, über die am 22.05.2025 ein Vortrag im Haus am Ziegelhof (Holzgerlingen) stattfindet.
Schauen wir nun aber zuerst, was sich im Schaichtal abspielt und wem die Weiler Bevölkerung dort begegnet. Was wird besprochen und wer sind die beiden Fremden? Im Anschluss gehen wir das immer enger werdende Tal weiter hinauf und schauen, was aus diesen Begegnungen letztlich wird. All das erfahren wir in der nächsten Woche in Szene 4.
Hier folgen die Zwölf Artikel in moderneres Deutsch übertragen,[xviii] die im März 1525 von Christoph Schappeler und Sebastian Lotzer in Memmingen verfasst wurden. Sie sind eine Beschwerdeschrift, die das Grundsatzprogramm/Manifest für die Aufständischen darstellte und mit der Bibel begründet wurde. Es wurden Freiheit, Gerechtigkeit und Rechtssicherheit gefordert:[xix]
1. Jede Gemeinde soll das Recht haben, ihren Pfarrer zu wählen und abzusetzen. Dieser soll das Evangelium klar und lauter predigen.
2. Vom Großen Zehnten soll der Pfarrer besoldet, von einem etwaigen Überschuss die Armen versorgt werden. Der Kleine Zehnt soll abgeschafft werden.
3. Die Leibeigenschaft ist unchristlich, die Bauern wollen frei sein.
4. Der arme Mann soll Gewalt haben, Wildbret, Geflügel und Fische zu fangen.
5. Alle Wälder sollen der Gemeinde anheimfallen, jeder soll Holz nach seiner Notdurft nutzen können.
6. Die von Tag zu Tag vermehrten Frondienste sollen auf das früher übliche Maß reduziert werden.
7. Die Frondienste sollen von den Herren nicht willkürlich erhöht werden dürfen.
8. Die bedrückenden Abgaben (Gülten) sollen von ehrbaren Leuten nach Billigkeit neu festgesetzt werden.
9. Die großen Frevel (Vergehen) sollen nicht willkürlich, sondern strikt nach alter geschriebener Satzung gestraft werden.
10. Wiesen und Äcker, die der Gemeinde zugehören, sollen dieser zurückgegeben werden.
11. Der Todfall, der Witwen und Waisen bedrückt, soll abgetan werden.
12. Erweist sich einer der Artikel als dem Wort Gottes nicht gemäß, soll er ungültig sein.
Recherchen, Text und Gestaltung: Christoph J. Lehnert, ArchPal-Kulturvermittlung 2025.
[i] Drehbuch der Schönbuchbühne Weil 1986 e.V. „Fryheit 1525“: 1993: Reiner Rupp; 2025: Roland Blessing u. Thomas Schefold (Bearb.).
[ii] Vgl. Szene 2 – Unterdrückung. Sommer 1524, veröffentlicht im Mitteilungsblatt Weil i. Sch., Ausg. 17/2025.
[iii] Chr. Pantle, Der Bauernkrieg. Deutschlands großer Volksaufstand (Berlin 2024) 21 ff; G. Schwerhoff. Der Bauernkrieg. Geschichte einer wilden Handlung (München 2024) 34 f.
[iv] Vgl. G. Adriani, A. Schmauder, 1514. Macht, Gewalt, Freiheit. Der Vertrag zu Tübingen in Zeiten des Umbruchs. Ausstellungskatalog zur Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen 8.3-31.8.2014 (Tübingen 2014) 100 ff; 160 ff; 170 ff; Pantle 2024, 23; Schwerhoff 2024, 36 ff.
[v] Schwerhoff 2024, 36, 38.
[vi] Adriani/Schmauder 2014, 173; Schwerhoff 2024, 38.
[vii] S. Lorenz (Hrsg.), Altdorf im Schönbuch. Von der Klosterherrschaft zur Bürgergemeinde (Filderstadt 2004) 78.
[viii] Schwerhoff 2024, bes. Karte 1 u. 535 f; Th. Kaufmann, Der Bauernkrieg. Ein Medienereignis (Freiburg i. B. 2024) 35 ff.
[ix] Vgl. Ausstellung im Hauptstaatsarchiv Stuttgart „Herzog Ulrich und die Bauern im Krieg von 1525“, 29.01.-25.04.2025.
[x] Lorenz 2004, 78 f.
[xi] Schwerhoff 2024, 273, 279 f.
[xii] P. Blickle, Der Bauernkrieg. Die Revolution des gemeinen Mannes (München 2024) 88, 125; vgl. Ausstellung „Der Aufstand in Person“, Deutsches Bauernkriegsmuseum Böblingen, 08.06.-17.11.2024, 12 Artikel.
[xiii] Vgl. Ausstellung „Der Aufstand in Person“, Bsp. Matern Feuerbacher 1; O. zu Stolberg-Wernigerode (Hrsg.), Neue deutsche Biographie Bd. 5 (Berlin 1961) 115.
[xiv] Kaufmann 2024, 146 ff; H. Meuche (Hrsg.), Flugblätter der Reformation und des Bauernkrieges. 50 Blätter aus der Sammlung des Schloßmuseums Gotha. Katalog: I. Neumeister (Leipzig 1975).
[xv] Kaufmann 2024, 130; vgl. Ausstellung „Der Aufstand in Person“, Bsp. Die Ehefrau des Kilian von Böblingen; Der Bundschuh bzw. die Bundschuh-Bewegung wurden im 20. Jh. teilweise politisch umgedeutet und missbraucht. Vgl. dazu die Beispiele in der Dauerausstellung im Deutschen Bauernkriegsmuseum Böblingen „Rezeptionsgeschichte“.
[xvi] Vgl. Ausstellung „Der Aufstand in Person“, Bsp. Barbara Silber.
[xvii] Schwerhoff 2024, 277; Blickle 2024, 125; Schwerhoff 2024, 275; A. Heusel, Das Stift St. Peter zum Einsiedel. In: A. Heusel/P. Maier (Hrsg.), Der Einsiedel im Schönbuch. Stiftskirche, Schloss und Hofgut (Reutlingen 2018) 58.
[xviii] Schwerhoff 2024, 146 f.
[xix] Vgl. Ausstellung „Der Aufstand in Person“, 12 Artikel.
Abb. 1: Abb. 1/Logo: Bildausschnitt Richard Hohly, Regionalinitiative Kreis Böblingen 500 Jahre Bauernkrieg.
Abb. 2: Bayerische Staatsbibliothek, daten.digitalesammlungen.de/~db/0002/bsb00025792/images/, 25.04.25.
Abb. 3: Ausstellung „Der Aufstand in Person“, 12 Artikel, gemeinfrei; vgl. auch Kaufmann 2024, 148, Abbildung 30a.