Thomas Rothfuss hat im Café Forum am 07. Februar 2025 einen interessanten Vortrag gehalten, der auf eine sehr große Resonanz stieß. Daher wollen wir einige Themen daraus an dieser Stelle veröffentlichen.
Die Tradition der Wanderschaft ist über die Jahrhunderte sehr ähnlich geblieben. Viele dieser Regeln für die Wandergesellen gehen auf Bräuche aus dem Mittelalter zurück. Je nach Gesellen-Vereinigung kommen noch weitere geheime Regeln dazu, welche je nach Vereinigung nur intern weitergegeben werden.
Ein Wandergeselle hat kein Handy, kein Tablet, keinen Laptop, keine Smartwatch – kurz gesagt keinen internetfähigen Gegenstand bei sich. Internet gibt es erst seit ca. 31 Jahren für die Öffentlichkeit und deswegen ist der Verzicht darauf eine der Regeln. Man darf auch keinen aktiven Facebook-Account haben. Da es immer weniger Telefonzellen gibt, wird es schwierig, sich bei der Familie zu melden. Daher ist es erlaubt, im Internetcafé per Mail Kontakt mit der Familie aufzunehmen.
Um von einem Ort zum anderen zu kommen ist es nicht erlaubt, mit dem Auto zu fahren, da ist nur trampen und wandern möglich.
Wenn man auf Wanderschaft gehen möchte, darf man keine Schulden haben. Die Wanderschaft soll keine Möglichkeit sein, sich dem Gesetzgeber oder dem Gläubiger zu entziehen.
Ledig und kinderlos muss der Wandergeselle sein. Es soll niemand auf das Einkommen des Wandergesellen angewiesen sein, denn auf der Walz ist nicht klar, ob man Arbeit findet oder für wie lange man Arbeit bekommt. Single muss man nicht sein, aber wer verlobt oder verheiratet ist, sollte nicht auf Wanderschaft gehen.
Alle Wandergesellen haben zumindest einen Ohrring. In der Anfangszeit der Wanderschaft waren es Ohrringe aus Gold, die so wertvoll waren, dass damit das Begräbnis des Wandergesellen bezahlt werden konnte, falls dieser auf der Straße oder bei der Arbeit tödlich verunglücken sollte. Heute ist der Ohrring nicht mehr so wertvoll, aber um an diese Tradition zu erinnern, tragen die Wandergesellen auch heute noch einen Ohrring.
Der Begriff „Schlitzohr“ hat seinen Ursprung bei den Wandergesellen, die sich nicht an die gesellschaftlichen Regeln gehalten haben. Wer klaute oder eine andere Straftat beging, dem wurde der Ohrring ausgerissen, damit jeder sehen konnte, dass dieser Wandergeselle nicht ehrenwert war.
Die Gesellen müssen sich verpflichten, zwei oder drei Jahre und ein Tag dem Heimatort fernzubleiben. Jeder Wandergeselle hat eine Landkarte, auf welcher der Bannkreis individuell eingetragen oder mit Edding aufgezeichnet ist. Nachdem der Geselle über sein heimatliches Ortsschild geklettert ist, darf er diesem Ort nicht mehr näher als 50 km kommen. Damit er immer weiß, wohin er reisen kann, ist der Bannkreis eingezeichnet. Auch das Durchqueren des Bannkreises, z. B. beim Trampen in einem Auto auf der Autobahn, ist nicht gestattet.
Wird fortgesetzt