Der Leiter des Europabüros der baden-württembergischen Kommunen, Patrick Wegener, bei den Heilbronner SPD-Senioren.
„Bis zu 80 Prozent der Entscheidungen in Brüssel haben direkten oder indirekten Einfluss auf die kommunale Ebene.“ Dies erklärt Patrick Wegener eingangs seines gut eineinhalb-stündigen Gastspiels bei der Heilbronner AG 60plus am letzten Freitag, 7. Juni in HN-Böckingen. Deshalb ist es notwendig, dass sich die kommunale Ebene aktiv in die europäische Gesetzgebung einbringt, um für kommunalfreundliche europäische Rahmenbedingungen zu sorgen. Dies ist eine grundsätzliche Aufgabe für das Europabüro der baden-württembergischen Kommunen in Brüssel. Patrick Wegener leitet das Büro in Brüssel seit drei Jahren, das Büro gibt es seit über 20 Jahren. Es wird getragen und finanziert von Gemeindetag, Städtetag und Landkreistag in Baden-Württemberg. Eine Bürogemeinschaft mit den bayrischen Kommunen hat sich bewährt, man arbeitet gut zusammen und ergänzt sich im Team gegenseitig. Zu den zentralen Aufgaben des Europabüros zählen die Interessenvertretung gegenüber den EU-Institutionen, die Information über kommunalrelevante Entwicklungen in Brüssel und die Beratung der Mitglieder der Trägerverbände in EU- und Förderfragen.
Anhand von realen Beispielen erklärt Patrick Wegener diese Einflussnahme, die logischerweise schon im Vorfeld von Gesetzen, Verordnungen und Richtlinien erfolgt, insbesondere wird deren Praktikabilität geprüft. Für die Kommunen besonders wichtige Entscheidungen der EU betreffen u. a.: Energiewende (Erneuerbare, v.a. Sonne und Wind), Wirtschaftstransformation, Verkehr, Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Strukturwandel und Umweltschutz. Der bekannte europäische „Green Deal“ ist auch für die Kommunen ein wichtiger Baustein, um die ambitionierten Ziele zu erreichen. Natürlich geht es auch um viel Geld aus den Fördertöpfen, etwa aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF). Er ist das wichtigste Instrument der EU zur Förderung der Beschäftigung in Europa und verbessert den Zugang zu besseren Arbeitsplätzen, bietet Qualifizierung und unterstützt die soziale Integration. Von daher ist eine Präsenz vor Ort enorm wichtig, um mit den drei EU-Organen (Parlament, Kommission, Rat) ins Gespräch zu kommen, um sich auszutauschen, bzw. um die Entscheidungen zu beeinflussen. Dies ist zunehmend schwieriger, weil die Gremien der Organe oft hinter „verschlossenen Türen“ die wichtigsten Vorhaben untereinander absprechen. Die EU-Abgeordneten, v.a. die aus Baden-Württemberg, werden fraktionsübergreifend (ohne AfD) konsultiert, beraten und für die Belange der Kommunen sensibilisiert.
Patrick Wegener berichtet auch über Schwierigkeiten und Problembereiche, so wird von ihm das unrühmliche deutsche Agieren beim „Verbrenner-Aus“ und beim „Glyphosat-Verbot“ angeführt. Aber auch das Aufschnüren des Asylkompromisses durch verschiedene Staaten, hat die Glaubwürdigkeit der EU erschüttert. Weitere wichtige Anliegen der Kommunalseite sind nach Ansicht des kompetenten Referenten die offenen Wünsche an die EU: Bürokratieabbau, Spielräume für Kommunen erweitern, EU-Ausschreibungspflicht lockern, bzw. überarbeiten.
Im Hinblick auf die Europa- und Kommunalwahlen am 9. Juni unterstreicht der Referent deren enorme Bedeutung für die künftige politische, gesellschaftliche und vor allem demokratische Entwicklung. Deshalb lautet der Leitgedanke zur Wahl: Starke Kommunen. Starkes Europa. Starke Gemeinschaft.
Die abschließende intensive und konstruktive Diskussion bringt viele praktische Fragen und Anregungen zu europäischen Themen: Finanzen der EU (Geber- und Nehmerländer), Sanktionen (Bsp. Ungarn, Polen), Einstimmigkeitsprinzip (gehört auf den Prüfstand), unterschiedliche Sperrklauseln für Parteien in den Ländern (0 – 5 % ist unverständlich), Größe des EU-Parlaments (gedeckelt auf 720 Sitze, Deutschland 96), Fraktionsbildung, EU-Erweiterung (aktuell 27 Mitgliedsländer), Justiz (EU-Gerichtshof), Kommissionsgröße, Kommissionschef*in (Ursula von der Leyen?), Meinungsaustausch mit anderen Ländern, Lobbyismus, Stakeholder, Transparenz und anderes mehr. Patrick Wegener beantwortet die Fragen ausgiebig und erklärt die oft komplizierten Zusammenhänge sehr verständlich.
Ganz zum Ende des interessanten Nachmittags bedankt sich der Vorsitzende der Heilbronner SPD AG 60plus, Sieghart Brenner, mit der „roten Unterländer Währung“ (Löwensteiner Lemberger), bei Patrick Wegener für die lehrreichen und kurzweiligen eineinhalb Stunden und wünscht ihm in Brüssel weiterhin viel Erfolg. Nicht zuletzt auch für die Wahl in den Gemeinderat Öhringen und Kreistag Hohenlohe. (s.b.)