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Unterschätzte Scharen

Unterschätzte Scharen (2) Die Bäume indes scheinen eine besondere Strategie entwickelt zu haben, um in der schwierigen Beziehung zu den Mäusen...
Käfer
WaldmistkäferFoto: NABU

Unterschätzte Scharen (2)

Die Bäume indes scheinen eine besondere Strategie entwickelt zu haben, um in der schwierigen Beziehung zu den Mäusen einigermaßen das Gleichgewicht zu halten. Jahre mit geringer Samenproduktion und solche mit einem überreichlichen Fruchtaufkommen, die sogenannte Mast, wechseln sich ab. Dieses stark fluktuierende Angebot hält die Nager in Schach. Ist das Futter knapp, müssen sie hungern. Es gibt weniger Mäusenachwuchs, und die Population bricht ein. Später indes, im nächsten Mastjahr, leben die Tierchen wie im Schlaraffenland. Sie können gar nicht so viel fressen, wie es Nahrung gibt. Für die Vermehrung der Bäume bleibt genug übrig. Dieser Übersättigungseffekt wirkt jedoch nur, wenn er diskontinuierlich ist. Gäbe es ständig Eicheln in Massen, würden auch die Nager ihre Reproduktion hochfahren, und der Nutzen wäre dahin.

Das Wechselspiel zwischen Mäusen und Bäumen zeigt geradezu mustergültig, wie stark Kleingetiere die Waldökosysteme beeinflussen können. Und die Gelbhalsmaus ist nur eine unter sehr vielen. Unzählige weitere Organismen haben in diesem wohltemperierten Durcheinander ihre eigenen, zum Teil kaum erforschten Aufgaben. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass Nacktschnecken eine Art öffentliches Verkehrsmittel sind? Die schleimigen Kreaturen haben ein überaus breites Nahrungsspektrum. Ob Pflanzen, Aas oder allerlei Gammliges. Was immer sie mit ihren Raspelzungen bewältigen können, wird gefressen. Aus dem Futter krabbelt oft allerdings noch anderes winziges Getier wie Hornmilben herum. Letztere sind eine noch diversere, ökologisch wichtige Gruppe. Zoologen fassen sie in der Ordnung Oribatida zusammen. Diese meist weniger als einen millimetergroßen Milben sind unter anderem als Laubzersetzerinnen aktiv und somit für das Nährstoffrecycling und die Humusbildung im Waldboden von entscheidender Bedeutung. Ihre Mobilität indes ist sehr eingeschränkt. Fliegen können die Achtbeiner nicht, und wegen ihrer geringen Größe kommen sie auch zu Fuß nicht weit. Trotzdem treten Hornmilben praktisch überall auf; neu entstandene Habitate werden relativ schnell besiedelt. Offenbar mit fremder Hilfe.

Forscher der Universität Leipzig kamen dem Rätsel eigentlich per Zufall auf die Spur. Einer von ihnen untersuchte die Rolle von Nacktschnecken bei der Verbreitung pflanzlicher Samen. Im Kot der Weichtiere fand er zahlreiche Hornmilben, die zu seinem Erstaunen noch lebten. Weitere Analysen und Experimente zeigten: Der Transport von Oribatiden im Darmtrakt landlebender Mollusken ist wahrscheinlich keine Ausnahme, sondern Standard. Sterilisierte Erde wurde in Laborversuchen von Milben besiedelt, wenn man darauf Nacktschnecken hielt. Auch Springschwänze, ebenfalls wichtige Urinsekten, sowie Einzeller, Fadenwürmer und Moosableger scheinen den schleimigen Shuttleservice zu nutzen. Und dazu noch vielerlei keimfähige Pflanzensaat.

Natürlich sind Nacktschnecken nicht als Transportdienstleister von Bedeutung. Die Allesfresser fallen oft über Kothaufen her, zum Beispiel von Hunden, und helfen so, die Landschaft zu säubern. Gänzlich auf diese Tätigkeit spezialisiert hat sich gleichwohl eine Gruppe: Mistkäfer, der Name lässt es vermuten, ernähren sowohl sich selbst wie auch ihre Larven von Exkrementen. In mitteleuropäischen Wäldern sind vor allem Vertreter der Gattung Anoplotrupes aktiv. Die schönen, dunkelblau glänzenden Tiere zeigen sich häufig auf Wanderwegen. Anoplotrupesstercorosus ist eine absolute Schlüsselart. Zum einen dominieren diese Spezies schon alleine durch ihre Häufigkeit den Prozess der Dungbeseitigung, und parallel dazu nutzt ihr Wirken der Bodenverbesserung. Ein echtes Multitalent!

Die Käfer betreiben eine primitive Form der Brutfürsorge. Sie graben bis zu zehn Zentimeter tiefe Tunnel mit mehreren Seitengängen ins Erdreich; in jeden davon legt das Weibchen jeweils ein Ei. Etwas frischen Mist als Futter dazu gepackt, und fertig. Durch diese Buddelei wird der Boden aufgelockert, belüftet und zeitig gedüngt. Das Vergraben von Kot hat allerdings auch noch einen positiven Nebeneffekt: Exkremente enthalten häufig Krankheitserreger und Parasiteneier. Die können sich aus dem Untergrund heraus nicht mehr so leicht verbreiten. Auch wenn sie beim Landen manchmal etwas ungeschickt wirken und mitunter mit Hindernisses kollidieren, sind Waldmistkäfer recht gute Flieger. Das müssen sie auch sein, denn ihre Ressource ist nicht vorhersehbar. Die Käfer haben keine Ahnung, wann und wo irgendwann ein Tier seinen Darm entleert. Zum Auffinden frischer Haufen verfügen sie allerdings über einen hervorragenden Geruchssinn. Wabern die typischen Düfte herbei, heißt es: nichts wie hin. Im Gegensatz zu manch anderen Mistkäfern ist Anoplotrupes stercorosus überhaupt nicht wählerisch. Die Krabbler fressen auch gammlige Pilze oder stark verwestes Aas – eine natürliche Müllabfuhr in Miniatur. (wird fortgesetzt)

Erscheinung
Mitteilungsblatt Hessigheim
NUSSBAUM+
Ausgabe 35/2025
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