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Recht & Justiz

Unterschiedliche juristische Betrachtungsweisen bei der Nutzungsänderung eines Bürogebäudes in eine Flüchtlingsunterkunft in Mühlhausen, Im Rauchleder 16 (Teil 2)

In der vergangenen Woche haben wir Hintergrundinformationen zur Umnutzung des Anwesens „Im Rauchleder 16“ in eine Flüchtlingsunterkunft gegeben....
Anwesen "Im Rauchleder 16", Mühlhausen
Anwesen "Im Rauchleder 16", MühlhausenFoto: R.M.

In der vergangenen Woche haben wir Hintergrundinformationen zur Umnutzung des Anwesens „Im Rauchleder 16“ in eine Flüchtlingsunterkunft gegeben. Heute wollen wir den bereits vor der Gemeinderatssitzung avisierten Antrag der Freie Wähler – Bürgerliste e.V. sowie die Einlassungen der Verwaltung beleuchten.

Die Verwaltung (hier Bürgermeister und Bauamtsleiter) stellten den Gemeinderatsmitgliedern sowie den Zuschauerinnen und Zuschauern „ihre rechtliche Sicht“ zur angedachten Umnutzung dar, wobei sie sich auf § 246 (10) BauGB beriefen. Dort steht, dass in Gewerbegebieten für Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte oder sonstige Unterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbegehrende von den Festsetzungen des Bebauungsplans abgewichen werden kann, wenn an dem Standort Anlagen für soziale Zwecke als Ausnahme zugelassen werden können oder allgemein zulässig sind und die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.

Gemäß den schriftlichen Festsetzungen des dort relevanten Bebauungsplans über die Art der baulichen Nutzungen sind Anlagen für soziale Zwecke allgemein zulässig. Laut Auskunft der Verwaltung habe das Baurechtsamt mitgeteilt, dass Flüchtlingsunterkünfte Anlagen für soziale Zwecke sind, welche im Bebauungsplan „Um den Hummelberg I + II“ als allgemein gültig zugelassen sind.

Die Freie Wähler – Bürgerliste e.V. hatte diesbezüglich eine andere rechtliche Vorstellung, hatte deshalb drei Tage vor der o.g. Gemeinderatssitzung einen offiziellen Antrag sowohl an die Verwaltung als auch an alle politischen Mitbewerber eingereicht.

GR Oliver Grigoras-Stelli stellte dem Plenum den Antrag vor und begründete diesen:

„Bevor ich auf die Begründung unseres Antrags eingehe, möchte ich zu den einleitenden Ausführungen der Verwaltung Stellung beziehen. Aufgrund ihrer Ausführungen entsteht der Eindruck, dass die von uns beantragte Änderungsvorschrift § 246 (12) Nr. 2 BauGB nicht zulässig sei.

Wenn dies tatsächlich der Fall ist, fordere ich Sie als Bürgermeister dazu auf, den Antrag der Freie Wähler -Bürgerliste e.V. als rechtswidrig zu titulieren und dies in der Sitzungsniederschrift zu protokollieren. Auf rechtswidrige Beschlussvorschläge ist gem. § 43 (2) GemO hinzuweisen.

Ist dies nicht der Fall, dann muss für alle Anwesenden festgestellt werden, dass die von uns beantragte Änderungsvorschrift im vorliegenden Fall möglich erscheint und formell zur Abstimmung gestellt werden kann.

Mit einem Auszug aus einer Kommentierung aus 2015 begründen Sie Ihre rechtlichen Bedenken. Uns liegen hier mehrere andere Kommentierungen vor, die die Zulässigkeit des § 246 (12) Nr. 2 BauGB bestätigen.

Mit dem heutigen Beschlussvorschlag soll das Gebäude „Im Rauchleder 16“ der Nutzung als Flüchtlingsunterbringung zugeführt werden, sodass die Gemeinde der Erfüllung ihrer entsprechenden Pflichtaufgabe nachkommen kann.

In § 246 (8 – 17) BauGB hat der Gesetzgeber Sonderregelungen für den erleichterten Bau / erleichtertere Nutzung von Unterkünften zur Unterbringung von Geflüchteten und Asylbegehrenden in den Kommunen geschaffen. Die Rechtsfolge des § 246 (10) BauGB ist, dass die Nutzungsänderung in Gewerbegebieten ermöglicht wird und diese Nutzungsänderung auf unbefristete Zeit erfolgt. D.h., dass das Gebäude „Im Rauchleder 16“ auch noch in 30 Jahren zur Unterbringung von Geflüchteten genutzt werden kann, selbst dann, wenn die Gemeinde keinen Bedarf mehr sieht. Dieser Bereich des Gewerbegebiets „Im Rauchleder“ würde daher dauerhaft geprägt und die Verwaltung verliert insoweit eine gewisse Planungshoheit.

Im Unterschied hierzu erfordert eine Befreiung nach § 246 (12) Nr. 2 BauGB, wie von uns beantragt, jedoch nicht, dass in dem betreffenden Gewerbegebiet Anlagen für soziale Zwecke als Ausnahme zugelassen werden können oder dort allgemein zulässig sind. Die gesetzlichen Hürden sind demnach geringer und bieten der Gemeinde bei der Umsetzung mehr Rechtssicherheit.

Wesentlicher Unterschied ist jedoch, dass aufgrund der geringeren gesetzlichen Hürden eine solche Nutzungsänderung nur für bis zu 3 Jahre erfolgen kann, maximal jedoch bis zum 31.12.2027. Dadurch bewahrt sich die Gemeinde eine entsprechende bauplanerische Hoheit über das Gewerbegebiet. Zudem sieht der Gesetzgeber vor, dass die Nutzungsänderung einmalig um weitere 3 Jahre verlängert werden kann, sodass das Gebäude „Im Rauchleder 16“ bis zum 31.12.2030 nach dieser Vorschrift als Flüchtlingsunterbringung genutzt werden kann. Als Fraktion sehen wir die Vorteile ganz klar bei der Befreiungsvorschrift nach § 246 (12) Nr. 2 BauGB.

Als Gemeinde vergeben wir uns nichts, diesem Antrag auf Befristung stattzugeben. Zudem bietet dieser Befreiungstatbestand mehr Rechtssicherheit, da der Absatz 10 BauGB sehr oft Grundlage von Rechtsstreitigkeiten vor den Verwaltungsgerichten ist. Daneben handelt es sich um ein gewisses Entgegenkommen gegenüber den Anwohnerinnen und Anwohnern, das aufgrund des Verwaltungshandelns verlorene Vertrauen zurückzugewinnen.

Im vorliegenden Fall ist die Besonderheit, dass wir aufgrund der Situation im Gewerbegebiet und den Vorgaben des Baugesetzbuches die Möglichkeit haben, die Unterbringung von Flüchtlingen rechtlich zu steuern. Dieses Ziel verfolgt unser Antrag, nicht mehr und nicht weniger. Die Unterbringung von Flüchtlingen wird hiermit nicht verhindert, sondern die rechtliche Situation und Planungshoheit der Gemeinde verbessert.

Eine befristete Nutzungsänderung ist auch ein wichtiges Zeichen nach Außen, insbesondere an Investoren, die für sich die Unterbringung von Flüchtlingen als Geschäftszweig sehen. Letztlich erscheint der Eindruck, dass die Erteilung von unbefristeter Nutzungsänderung insbesondere Investoren zugutekommt. Zudem kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Flüchtlingssituation in den nächsten 4 Jahren verbessert.“

Zur Thematik „Unzulässigkeit des Antrags der Freie Wähler – Bürgerliste e.V.“ stellt GR Bruno Sauer zusammenfassend klar, dass keiner der Antragsalternativen gesetzeswidrig ist. Ansonsten hätte BM Spanberger i.S.v. § 43 (2) Satz 1 GemO bereits nach der Einreichung am Montag vor der Gemeinderatssitzung darauf hinweisen müssen. Der Antrag wurde wunschgemäß einen Tag später an die anderen Fraktionen weitergeleitet.

Die Verwaltung, das örtliche Bauamt und das Baurechtsamt des RNK haben die gleichgehende Sichtweise, dass § 246 (10) BauGB hier einschlägig ist und berufen sich auf ihre entsprechende Kommentierung.

Die Fraktion der Freie Wähler-Bürgerliste e. V. sieht § 246 (12) BauGB als parallel gleichwertig anwendbar und beruft sich ihrerseits auf die ihr vorliegenden Kommentierung.

Differente Bewertungen, welche Rechtsgrundlage einschlägig ist, sind in einem Rechtsstaat durchaus möglich. Beide Optionen sind rechtlich anwendbar.

Im weiteren Verlauf der Sitzung fand der Antrag der Freie Wähler – Bürgerliste e.V. auf Befristung leider keine Mehrheit.

Ebenso wurde der Vorschlag der Verwaltung, das Integrationsbüro im EG des o.g. Anwesens unterzubringen, abgelehnt. Dies verbleibt weiterhin im Rathaus.

Die Idee seitens der Verwaltung, die Ansiedlung des offenen Treffs „Fi-bbs“ ggf. dort alternativ unterzubringen, fiel ebenfalls durch. Die Einrichtung verbleibt in der Hauptstraße 77.

Zur weiteren Vorgehensweise:

Unverzüglich nach Erteilung der baurechtlichen Nutzungsänderung kann das Anwesen „Im Rauchleder 16“ zur Flüchtlingsunterbringung genutzt und bezogen werden.

Im laufenden Jahr 2025 muss die Gemeinde damit rechnen, dass von der vorläufigen Unterbringung beim Landkreis 68 Personen in die kommunale Anschlussunterbringung der Gemeinde Mühlhausen zugewiesen werden.

Für die Freie Wähler-Bürgerliste e. V.

Reimund Metzger, Gemeinderat

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Gemeinderundschau Mühlhausen
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Ausgabe 29/2025
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