Der Himmel war grau und regnerisch – kein Grund für Armin Fenner, sich an diesem durchwachsenen Frühsommertag von seiner Mission abbringen zu lassen: Wer kommt, wird geführt. So lautet sein Versprechen – und so standen am Sonntagmorgen tatsächlich zwei wetterfeste Gäste aus Nordrhein-Westfalen am Startpunkt des Neckargemünder Hochwasserpfads.
Gemeinsam mit dem sachkundigen Führer begaben sie sich, ausgestattet mit Regenschirm und Neugier, auf eine ebenso informative wie anschauliche Tour entlang des Neckars.
Seit vielen Jahren ist es Armin Fenner ein Anliegen, die Geschichte und Bedeutung der Hochwasserereignisse in Neckargemünd greifbar zu machen. Mit großer Sachkenntnis, einem dicken Ordner voller Zusatzmaterial und einem feinen Gespür für anschauliche Erklärungen führt er Interessierte entlang des 2,5 Kilometer langen Hochwasserpfads auf beiden Seiten des Neckarufers. Der Pfad wurde 2014 von der Stadt Neckargemünd gemeinsam mit dem Naturpark Neckartal-Odenwald eingerichtet. Die Idee und das Konzept stammen von Michael Hahl (Projektbüro Proreg), die grafische Umsetzung steuerte Gabriele Henn bei.
Zehn Tafeln entlang von Neckar und Elsenz bilden die Etappen des Pfades, der sich einem ambivalenten Thema widmet: Hochwasser ist für die betroffenen Anwohner mit Leid und oft auch erheblichen Schäden verbunden – zugleich übt der Anblick der sich über die Ufer ergießenden Wassermassen eine eigentümliche Faszination aus. Der Pfad greift diese doppelte Perspektive auf und spannt einen Bogen von historischen Flutereignissen bis hin zu aktuellen Herausforderungen der Gewässerdynamik und Hochwasservorsorge. Gleich die erste Tafel am Hanfmarkt beeindruckt mit einem gemalten Pegelbild, das das große Hochwasser von 1824 zeigt – die Fluten reichten damals über das Dach des heutigen Buswartehäuschens hinaus.
Fenner veranschaulicht den Zusammenhang zwischen menschlichem Handeln und Naturkatastrophen: Entwaldung nach den napoleonischen Kriegen, großflächige Rodungen und eine zunehmende Versiegelung von Böden begünstigen Hochwasserereignisse – damals und in der Gegenwart. „Heute verlieren wir jedes Jahr Bodenfläche in der Größenordnung von eineinhalb Bodenseen durch Versiegelung“, rechnet Fenner vor.
Er schlägt den Bogen zurück bis ins Mittelalter: Die verheerende Magdalenenflut von 1342 war nicht nur ein meteorologisches Extremereignis, sondern ein Einschnitt in der europäischen Geschichte. Ganze Landstriche wurden verwüstet, Mutterboden in Mengen abgetragen, die sonst in 200 Jahren verloren gingen – Hungersnöte und die Pest folgten auf dem Fuß.
Neben historischen Einblicken gewährt Fenner auch geologische Rückblicke: Die Entstehung des Neckartals im Zuge tektonischer Prozesse, die Mäandrierung des Flusses, die Entstehung des Umlaufbergs Hollmuth – alles wird zum Teil eines großen Zusammenhangs. Auch der berühmte Fund des Homo heidelbergensis bei Mauer, eingebettet in Sedimente des Neckars, findet seinen Platz in der Führung.
Markierungen an Hauswänden in Neckargemünd und entlang des Uferwegs in Kleingemünd zeigen, wie hoch Elsenz und Neckar in der Vergangenheit stiegen – etwa beim sogenannten Jahrhundertwasser 1993/94, das zur Gründung des Zweckverbandes Hochwasserschutz Elsenz-Schwarzbach führte. Während der Neckar durch seine Funktion als Schifffahrtsstraße kaum renaturiert werden kann, wurden an der Elsenz bereits rund 70 Rückhaltebecken gebaut, um Flutspitzen zu entschärfen. Was Armin Fenner auszeichnet, ist nicht nur sein Fachwissen, sondern die Art, wie er es vermittelt: lebendig, anschaulich, engagiert. Ob es um Eisgänge auf dem Neckar geht, wie im Januar 1929, oder um frühe Maßnahmen zur Hochwasserabwehr mit Nachtwachen und Beleuchtung – immer gelingt es ihm, das Geschehen mit einem Augenzwinkern und zugleich mit tiefem Respekt vor den Naturgewalten darzustellen.
Selbst das Zusammenspiel von Prall- und Gleithang erklärt er mit Leichtigkeit, ebenso wie den gewaltigen Einzugsbereich des Neckars: 14.000 Quadratkilometer – fast so groß wie ganz Baden-Württemberg. „Um den Neckar vollständig zu bändigen, müssten wir das ganze Land betonieren – und selbst das würde wohl nicht reichen“, sagt Fenner nachdenklich gestimmt. Am Ende der rund zweistündigen Führung ging der Blick noch einmal zurück ins Jahr 1817, das „Jahr ohne Sommer“, verursacht durch den Vulkanausbruch des Tambora in Indonesien. Auch dieses Ereignis führte zu Missernten, Hungersnöten – und auch zu einem denkwürdigen Hochwasser in Neckargemünd.
Die beiden Teilnehmer zeigten sich beeindruckt: „Das war sehr interessant“, lobten sie den fachkundigen Führer. Und tatsächlich: Wer sich mit Armin Fenner auf den Weg macht, sieht die Stadt mit anderen Augen – und versteht ein Stück mehr von der großen Kraft, die ein Fluss wie der Neckar entfalten kann. (du)