Aus den Rathäusern

Urlaub in früheren Zeiten

Von Gemeindearchivar Ulrich Kobelke Die Frage „Wohin fuhren die Menschen früherer Zeiten in Urlaub?“ ist nicht ganz einfach zu beantworten, denn...
Gesamte Gruppe mit Kindern und Helferinnen und Hefern - in der Mitte Pfarrer Heinrich Grimm
Zeltlager mit Pfarrer Heinrich Grimm in Herrenwies im NordschwarzwaldFoto: Gemeindearchiv

Von Gemeindearchivar Ulrich Kobelke

Die Frage „Wohin fuhren die Menschen früherer Zeiten in Urlaub?“ ist nicht ganz einfach zu beantworten, denn es kommt ganz darauf an, aus welcher Bevölkerungsgruppe die Antwort kommt. Damit das Thema hier nicht überstrapaziert und in eine soziologische Untersuchung ausartet, beschränke ich mich bei einer Antwort auf den durchschnittlichen Plänkschder vor 80 oder 100 Jahren.

Also alle höheren Schichten der Gesellschaft wie beispielsweise Adel oder höheres und gehobenes Bürgertum bleiben hier außen vor. Muster über Urlaubsverhalten dieser Menschen können wir nachlesen in Romanen wie den „Buddenbrooks“ oder dem „Zauberberg“ von Thomas Mann oder – höchst amüsant und erfrischend – in Walter Kempowskis „Tadellöser & Wolf“ – übrigens nutzte man in diesen Kreisen weniger das Wort „Urlaub“ als viel passender den Begriff der „Sommerfrische“.

Für uns „normale“ Plänkschder – und damit unterscheiden wir uns wohl nicht wesentlich von anderen Dorfbewohnern der nahen und weiteren Umgebung – war die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem eine Zeit des Aufbaus und der Neuorientierung und „Urlaub“ war etwas für die, die es sich schon immer leisten konnten. Wir fuhren nicht in Urlaub und ich erinnere mich nur an einen einzigen Urlaub meiner Kindheit, als wir 1955 einige Tage auf dem Dobel im Nordschwarzwald verbrachten – noch mit Bahnfahrt und „Zimmer frei“ – Schild am Haus, Wasch-Lavoir im Zimmer und Etagenklo!

Der Plänkschder, der ein paar Tage Urlaub hatte, nutzte diese, um aufgeschobene anfallende Arbeiten in Haus und Garten zu erledigen. Wer noch ein Stück Ackerland – meist gepachtet – hatte, für den gab es gerade in der sommerlichen Erntezeit genug zu tun. Und denjenigen, denen es wirtschaftlich schon besser ging und die vielleicht dabei waren, sich ein Haus zu bauen oder ein altes zu renovieren, brauchten über mangelnde Arbeit ebenfalls nicht zu klagen! Vielleicht hatten sich Verwandte oder Freunde zur gleichen Zeit Urlaub genommen, um zu helfen, den Keller auszuheben – per Hand mit der Schaufel natürlich – oder das Dach zu decken – auch diese Form der nachbarschaftlichen Mithilfe war damals selbstverständlich und dafür wurden natürlich Urlaubstage geopfert!

Ob vielleicht mal bei einigen ein ganzes Wochenende für eine „Sommerfrische“ drin war – möglich, aber ich kenne kaum jemanden. Urlaub war etwas für höhere Bevölkerungsschichten, so die Meinung in der Dorfbevölkerung. Das höchste der Gefühle war vielleicht mal ein Verwandtenbesuch – so man welche auswärts hatte.

Dann brauchte man auch keine Hotels oder andere Beherbergungsbetriebe, denn selbstverständlich übernachtete man bei der Verwandtschaft und wurde natürlich auch von dieser versorgt. Dafür rückten diese auch mal mehr oder weniger gerne in ihren Wohnungen oder Häusern für diese Zeit zusammen.

Ein anderes Beispiel: Mein Großvater als Bahnbeamter hatte Anspruch auf eine gewisse Zahl an Freifahrtscheinen, die natürlich nur für ein Jahr galten. Da konnte es vorkommen, dass die Großeltern eine Tagesfahrt (gerne auch am Sonntag, denn da konnte man sowieso nicht arbeiten) per Bahn nach Freiburg unternahmen. Dort machten sie einen Spaziergang durch die Stadt, besuchten das Münster, gönnten sich vielleicht ein Mittagessen im Lokal und schon war es wieder Zeit für die Heimfahrt. Das war dann der Jahresurlaub gewesen! Auch Frankfurt und der Zoo konnte so damals ein gut erreichbares Reiseziel sein, denn schnell war man von dort wieder in heimischen Gefilden. Da man es nicht anders kannte, gab es darüber auch keine Klage. Man schlief nicht gern in der Fremde im fremden Bett! „Dahoam isch halt dahoam!“ so die Devise.

Und wie sah es bei den Kindern aus? Ferienprogramme wie heute in den Gemeinden gab es nicht. Man musste schon selbst sehen, wie man die sechs Ferienwochen gestaltete. Das aber war damals für die Kinder kein Problem. Man verabredete sich mit Freunden und überlegte, was man tun könnte. Beliebte Ziele waren für die Plänkschder Buben die Bellen, das Dolle-Loch, das Zeitze-Loch oder der nahe Grenzhöfer Wald. Auch mal die ehemaligen Panzer-Hallen im Oftersheimer Wald konnten für die selbst erfundenen Geländespiele ein lohnendes Ziel sein. Diese tunnelartigen und mit Bewuchs getarnten Hallen waren ursprünglich als Schießstand der Schwetzinger Panzer-Kaserne von der Wehrmacht erbaut worden. Heute finden wir dort das Oftersheimer Gewerbegebiet Hardtwald. Nach dem Krieg wurden die Hallen und auch die Wälder der engeren Umgebung von den hier stationierten US-Streitkräften zu Ausbildungszwecken für Übungen genutzt – und was konnte es für die Buben Schöneres geben, als im Laub der Wälder zurückgelassene Ausrüstungsgegenstände oder gar verschossene Übungshülsen zu entdecken.

Und natürlich gab es ja den Sportplatz, wo man sich ausgiebig sportlich vergnügen konnte – allein natürlich, ohne Aufsicht – höchstens mal ein Platzwart, der allzu großem jugendlichen Drang Einhalt gebot. Zum Mittagessen kam man wieder an den heimischen Tisch, denn im Gegensatz zu heute war die Mutter oder die Oma daheim und hatte frisch gekocht! – Und am Abend war es die Abendglocke, die unwiderruflich zur Rückkehr an den häuslichen Herd mahnte!

In einem Gespräch sagte einmal ein Freund: „Ich wurde von den Eltern nirgendwohin zu einem „Event“ oder einem Training gefahren, denn schließlich hatten wir kein Auto, aber wenn ich nach Hause kam, war die Mutter immer da!“ Für Kinder ein himmlischer Zustand. Da es ja außer den konfessionellen Kindergärten für Kleinkinder keinerlei Betreuungsangebote gab, blieb den Schulkindern nur der Sportplatz, die Straße oder die nahe Umgebung, um sich auszutoben.

Und unterm Strich dürfen wir Alten heute sagen: Wir hatten damals Freiheiten, von denen Kinder heute nur noch träumen können (und von denen unsere Eltern auch nichts wussten)! Überwachung per Handy, Smart-Watch oder ähnlicher IT-Elektronik – noch nicht erfunden! Eigenverantwortung wurde in der Gruppe erlernt, kleinere Verletzungen nicht so ernst genommen und wie in einem früheren Artikel bereits ausführlich beschrieben: „Koppelöcher und andere Bletze“ waren unter dem Begriff „Lebenserfahrung“ abzuhaken und dienen heute als schmückendes Beiwerk alter Erzählungen!

Eine Ausnahme bildeten die jährlichen Zeltlager, die von kirchlicher Seite angeboten wurden. Für wenig Geld ging es in den Schwarzwald oder in den Odenwald, wo die Helfer auf einem Platz im Wald die großen Zelte aufschlugen. Einige Mütter und Verwandte hatten sich bereit erklärt, die Jugendlichen zu bekochen und so wurde schon im Vorfeld in der Gemeinde Lebensmittel gesammelt, die dann im Zeltlager in den Kochtopf kamen.

Die älteren Teilnehmer fungierten als Gruppenführer der jüngeren, über allem wachten kirchliche Mitarbeiter wie z.B. der Kaplan oder wie in Plankstadt der katholische Pfarrer Heinrich Grimm. Im Lager fanden regelmäßig Gottesdienste statt, die „Schauspieler-Gruppe“ probte für eine Aufführung – manchmal unter Anleitung eines Lehrers, der mitgefahren war - die dann nach der Lagerzeit im örtlichen Jugendheim oder im Gemeindehaus besonders für die Elternschaft zur Aufführung gelangten. Bis ins hohe Alter erzählen Teilnehmer, wie toll es in diesen Zeltlagern war! Ohne die Zeltlager wären viele Jugendliche in dieser Zeit nie aus Plankstadt herausgekommen und hätten die Schönheiten der Natur im Schwarzwald nicht kennengelernt.

Auf evangelischer Seite waren es der spätere Pfarrer Gerhard Niemann und einige ältere Jugendliche, die für die jüngeren derartige Lageraufenthalte organisierten und durchführten.

Auch den Mitgliedern der Pfadfinder vom Stamm St. Georg kamen die Grundideen des Pfadfindergedankens zugute, indem sie an vielen Fahrten in den Ferienzeiten teilnahmen und so bis nach England gelangten.

Hier ein Wort zu Pfarrer Heinrich Grimm – zwar ein „Pfarrherr“ alter Art, aber ein Mann mit klugem Sinn für die Bedürfnisse der Zeit – er war Pfarrer von St. Nikolaus von 1948 bis zu seinem Tod im Februar 1962. Auch ermöglichte er so manchem Jugendlichen eine höhere schulische Ausbildung und er war sich auch nicht zu schade, manchem selbst Nachhilfeunterricht in Latein zu geben. Daneben erwies sich in der Aufbauzeit nach dem Krieg sein kaufmännisches Talent als äußerst wirkungsvoll zum Wohle der Pfarrgemeinde. So begab er sich auch 1954 zu Fuß in die Schwetzinger Kaserne und überredete mit Hilfe eines Übersetzers den Kommandeur der US-Pioniere zum Aushub des Kindergartens St. Nikolaus. Hintergrund war, dass die Pioniere auch das neue Sportgelände an der Jahnstraße mit ihrem schweren Gerät planiert hatten, da wollte der Pfarrer eben auch seinen Anteil und er hatte mit seiner Mission Erfolg. - Diese Maßnahmen der Amerikaner entsprangen nicht nur der reinen Hilfsbereitschaft, sondern waren auch Teil des großen Nachkriegsziels der Umerziehungsmaßnahmen der Deutschen im Rahmen des Entnazifizierungsprogramms.

Als die wirtschaftlichen Verhältnisse der Menschen ab der Mitte der 50er Jahren verbesserten, war für viele natürlich auch ein Urlaubsaufenthalt möglich, zumal dann auch immer mehr über ein Auto verfügten. Viele werden sich sicher erinnern, wie sie zusammengepfercht mit vielen Gepäckstücken im Kleinwagen mit der ganzen Familie ins Gebirge oder noch weiter bis nach Italien oder Spanien fuhren.

Wenn wir heute die Diskussionen in der Gesellschaft über Arbeits- und Urlaubszeiten sowie überhaupt über Freizeit im Rahmen der „Work–Life–Balance“ verfolgen und einen Vergleich mit diesen alten Zeiten nach dem Krieg anstellen, dann können sich Zeitzeugen nur staunend die Augen reiben über die Entwicklung. Oft ist nicht nur der Sommerurlaub eine Selbstverständlichkeit geworden, hinzu kommen der Skiurlaub im Winter und auch Kurzreisen zu Ostern und Pfingsten.

Die derzeitigen globalen Veränderungen in Politik und Weltwirtschaft werden wieder neue Denkweisen befördern und wir können nur gespannt in die Zukunft blicken.

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