Vergeben, aber nicht vergessen: Tränen, bewegende Worte und großartige Kunst beim Besuch der Merzbacher-Sammlung
Werner Merzbacher wurde 1928 in Öhringen geboren, sein Vater, Julius Merzbacher, war in Öhringen ein angesehener Arzt. Er und seine Ehefrau wurden im Holocaust ermordet. 1939 kam Werner Merzbacher mit einem Kindertransport in die Schweiz. Heute zeigt der mittlerweile 95-jährige seine Kunstsammlung im Erweiterungsbau des Kunsthauses Zürich. Eine 40-köpfige Öhringer Reisegruppe durfte, begleitet von Öhringens Oberbürgermeister Thilo Michler, den Kunstsammler in Zürich inmitten seiner farbenprächtigen Bilder treffen.
Es war ein bewegender Moment im Kunsthaus Zürich. Auf Initiative des Öhringer Oberbürgermeisters Thilo Michler besuchten rund 40 Gäste aus Öhringen in Kooperation mit der Volkshochschule Öhringen die Merzbacher-Sammlung. Der 1928 in Öhringen geborene Werner Merzbacher nahm sich zwei Stunden Zeit, um die Reisegruppe mit bewegenden Worten zu begrüßen und anschließend der exzellenten Führung durch Kunsthistorikern Kerstin Bitar beizuwohnen.
Im Kunsthaus erinnerte er an die Verdienste seiner Eltern in Öhringen. Werner Merzbachers Vater Julius Merzbacher war hier Arzt. Einige der Anwesenden erinnern sich noch aus Erzählungen ihrer Eltern an ihn. Er war ein nicht religiöser Jude und Deutscher, der im Ersten Weltkrieg freiwillig gekämpft hat und für seine Tapferkeit mehrfach ausgezeichnet wurde. Dank seiner Verdienste und patriotischen Gesinnung, durfte er seine Praxis unter den Nationalsozialisten zunächst weiterführen. Aber auch er wurde auf offener Straße beschimpft. Im Sommer 1937 rief ihm ein Junge mit ausgestrecktem Arm „Heil Jud!“ zu, worauf Julius Merzbacher sich tätlich wehrte und daraufhin zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Seine Praxis musste er aufgeben. Die Familie zog mit den beiden Söhnen Rolf und Werner nach Konstanz zu den Großeltern mütterlicherseits. Nach der Kristallnacht veranlassten die Merzbachers, die Kinder jenseits der Grenze in Sicherheit zu bringen. Am 16. Februar 1939 ermöglichte das Schweizerische Hilfswerk Werner Merzbacher gemeinsam mit 300 anderen jüdischen Kindern die Ausreise. Werner Merzbacher glaubte, die Trennung sei nur für ein halbes Jahr. Er hat seine Eltern danach nie wiedergesehen.
Vor der Führung durch die Ausstellung sagte Werner Merzbacher sichtlich bewegt: „Ihr Besuch ist für mich ein sehr emotionaler Moment. Sie gehören einer anderen Generation an und tragen keine Schuld an den Greueltaten der dreißiger und vierziger Jahre. Meine Einstellung zu dieser Zeit war und ist: Wir müssen vergeben, denn Sie tragen keine Schuld an den schlimmen Geschehnissen. Doch vergessen dürfen wir niemals.“ Und dann lässt er die Gruppe an seiner bewegenden Lebensgeschichte teilnehmen.
Der Schweizer mit US-amerikanischer Staatsangehörigkeit lebte ab 1939 bei einer christlichen Arztfamilie in Zürich. 1949 wanderte er in die USA aus. Dort lernte er seine Ehefrau Gabriele Mayer kennen. Im Pelzgeschäft ihres Großvaters Bernhard Mayer kam er nicht nur in Berührung mit seinem späteren Beruf als Pelzhändler, sondern auch mit der Kunst. Mayers impressionistische Gemälde wurden zum Grundstock der Sammlung von Werner und Gabriele Merzbacher. 1964 zog die Familie mit drei Kindern nach Zürich. „Einer der Höhepunkte meines Lebens war, wie ihr in Öhringen eine Straße nach meinem Vater benannt habt“, offenbart er mit Wertschätzung den Besuchern. Die Merzbacherstraße im Öhringer Norden wurde Anfang der 1990er Jahre nach der Familie benannt.
Als Werner Merzbacher die letzte Karte seiner Eltern, geschrieben im September 1942 an seinen älteren Bruder Rolf, vorliest, fließen bei vielen Zuhörenden die Tränen. Alle spüren, dass es ein Abschiedsbrief für immer ist: „Lieber Rolf, nun muss ich dir leider doch schreiben, dass wir vor der Abreise sind. Aber mach dir keine Sorgen, wir sind mit vielen anderen. Ich hoffe, dass alles wieder besser wird. Lieber Rolf, werde ein guter, braver Mann.“ Wenig später wird das Ehepaar ins Konzentrationslager Majdanek transportiert.
OB Thilo Michler: „Die Sammlung Merzbacher ist einfach großartig.“
Im Erweiterungsbau des Kunsthauses Zürich, geschaffen vom britischen Architekten David Chipperfield, sind rund 70 Bilder und fünf Skulpturen der Merzbacher-Sammlung, die zu den bedeutendsten privaten Kollektionen der Welt gehört, zu sehen. Die Hauptvertreter der wichtigsten europäischen Strömungen des
20. Jahrhunderts, Impressionismus, Postimpressionismus, die „Fauves“, russische Konstruktivisten, italienische Futuristen sind vertreten. OB Thilo Michler zeigte sich beeindruckt: „Die Sammlung Merzbacher ist einfach großartig. Das Hauptthema der Farbe zieht sich wie ein roter Faden durch jedes Werk.“
Besonders an dem Besuch war auch das Treffen mit dem in Zürich wohnhaften Martin Wiedmann, der ein langjähriger Weggefährte von Werner Merzbacher ist und dazu auch Sohn des in Öhringen geborenen Malers Willy Wiedmann. Dessen „Wiedmann Bibel“ besitzt nicht nur Papst Franziskus, sondern auch das Öhringer Weygang-Museum.