Im rot-goldenen Brokatmantel mit breitrandiger Federkappe und Spangenschuhen begrüßte der Maitre de Plaisir – also der Meister des Vergnügens aus früheren Zeiten – die Gäste im Eingangsbereich. Angesagt war am Sonntag, 27. 4. 2025, das „Lebendige Heimatmuseum“. Prall gefüllt, bot der historische Maltesersaal ab 11 Uhr den festlichen Rahmen für die Eröffnung durch Bürgermeister Martin Thüringer. Gleich zu Anfang sprach er mit Dank des Ideenreichtums und der Tatkraft, mit der Gudrun Achterberg und Sprecher des Heimatmuseums Jörg Marquardt diese vielschichtige und dynamische Veranstaltung ins Leben gerufen hat. Sehr positiv erwähnte er auch den inzwischen übersichtlich strukturierten Aufbau und die Gestaltung des Heimatmuseums durch den Arbeitskreis Heimatmuseum.
Das Heimatmuseum ist nun unabhängig vom Kulturkreis eine eigenständige Abteilung der Gemeinde Grafenau.
- Als Ehrengast bedankte sich die Kuratorin und Museumsleiterin der Textilsammlung Max Berk des Kurpfälzischen Museums Heidelberg, Dr. Kristine Scherer, für die Einladung und betonte die außergewöhnlich künstlerische Textilgestaltung von Gudrun Achterberg, der zwei museumsfüllende Ausstellungen in Heidelberg gewidmet waren.
- Mit einem Rückblick auf 950 Jahre Döffingen und Dätzingen stellte Joachim Ratz per Monitor die geschichtlichen Ereignisse unserer Gemeinde vor und brachte das Publikum auf seine Art zum wohltuenden Schmunzeln. Sein neu gestalteter Zeitstrahl in Jahrhundertschritten im Dachgeschoss ist ein Zugewinn an reichen Informationen für unser Museum.
- Jörg Marquardt, Sprecher des Heimatmuseums, fügte Neuerungen der Museumsarbeit hinzu. Er sprach vom Glück, dass Ernst Spingler, der Webstuhl-Techniker vom Heimatmuseum Holzgerlingen und die Grafenauer Weberin Astrid Mrkwitza ehrenamtlich den Webstuhl aus dem 18. Jh. restaurieren konnten. Eine sonst sehr kostspielige Angelegenheit. Also Ende des Dornröschenschlafs und wir sind dankbar für eine neue Museumskooperation. Außerdem ist unser Heimatmuseum inzwischen dem Verbund der Heimatmuseen im Gäu und Schönbuch, wie auch dem Museumsbund Baden-Württemberg angeschlossen.
Platz für Sonderausstellungen ist im Dachgeschoss vorhanden, wo wir 2024 eine Ausstellung des Rennwagen-Bauers URD Rennwagenbau von Hr. Ungar aus der alten Kamm-Fabrik auf sich aufmerksam machten. Sonderausstellungen werden nun auch in Zukunft eingeplant und mit anderen Heimatmuseen kommuniziert.
- Den Erlebnisraum, der das Heimatmuseum zweifellos ist, erläuterte Achterberg mit der Verbindung zwischen Denken und Fühlen und nannte den Flachswickel als durchdachtes Fasergebilde zur Aufbewahrung der Faser und die nachgeahmte Backware Flachswickel als sinnlichen Genuss. Beides formengleich, aber unterschiedlich erlebbar. Der Bezug zur Flachspflanze sollte uns auch weiterhin im Museum begegnen. Gedanken zum Begriff Heimat erläuterte sie mit vielen Facetten. Ihre Kurzform hieß „ein Vorrat an Menschlichkeit“.
- Dann ertönten Klavierklänge für den „Kleinen Trachtentreff“ mit den selbst genähten Trachten aus Grafenau von Gabi Zipperer und Erika Rechner, aus der Slowakei von Cäcilie Grollmuss, eine Tracht aus dem Museum der Böhmischen Niederlande von Peter Pinkas und aus Balingen von Eva Haage, der Betreuerin dieses Kulturguts. Sie und der Trachtenträger Jordi, mit Melanie und Helena Römer, mit Dorothea Ziegler und Emily, zeigten ein heiteres Spiel mit schwingenden Röcken, geschnürten Miedern und einem großen, schwarzen, runden Hut.
- Dann hörte man Klaviermusik von Robert Schumann: „Papillons“ op. 2, einem Klavierzyklus, aus dem Professor Michael Hauber, Leiter des Trios, op. 8, einige Stücke spielte – als Geschenk an das Heimatmuseum.
- Und schon erschienen die Schmetterlinge, noch verpuppt im Spiel der Sportakrobatik. Die Geschichte „Die grüne Fee und die Schmetterlinge“ wurde erzählt, dann wurden die Flügel zum freudigen Flattern entfaltet, bis die Insekten durch menschliche Unbesonnenheit und Gifte darnieder gingen. Nur das Versprechen des Publikums, auf Gifte zu verzichten, den Schmetterlingen auch Wildnis in den Gärten zu überlassen, machte sie wieder lebendig und sie konnten den akrobatischen Schliff durch Carina
Botsch zeigen. Pfauenauge, Zitronenfalter, Bläuling, Trauermantel und Schwalbenschwanz verabschiedeten sich in ihren großformatig von Achterberg bemalten Kostümen als Edelsteine der Lüfte.
- Die Klavierbegleitung von Ulrike Dehnen setzte sich bei den „Chor(i)feen“ zum Lied vom Weben fort. Mit kleinen Webrahmen vor sich als Notenblatt-Auflage erkannte man den Erfindungsreichtum der Sängerinnen unter Pia Gloser-Mundinger. Mit ihrem frischen Weberlied schufen sie auch die Verbindung zu den Aufführungen und deren Wiederholungen um 13/14/15 Uhr im Dachstuhl und Maltesersaal.
- Im Dachgeschoss machte ein Banner mit blauer Flachsblume die Gäste auf Anita Rudolfs Flachsbearbeitung aufmerksam. Die Seltenheit dieses Originalgeschehens lockte
viele Besucher an, denn hier konnte man Flachsbrecher, Riffelkamm und Schwingmesser sprichwörtlich erleben. Als Flachsbäuerin, wie sie sich nennt, hatte sie in 2024 eine fotografische Dokumentation vom Leinsamen zur Flachsfaser geschaffen, die das Museum nun auf einer illustrierten Info-Tafel festgehalten hat.
- Daneben agierte Ernst Spingler am Webstuhl, den er selbst funktionsfähig gemacht hatte. Gerne wurden die Fragen des Publikums zum Webevorgang oder zum komplexen Webstuhl, bzw. seiner Mechanik von ihm beantwortet. Der Fachmann konnte die Gäste von der früheren Lebenswelt beeindrucken.
- Erlebnisreich war auch – so wie bei der Flachsbearbeitung, die liebevolle Präsentation der interessanten Requisiten zum Spinnen von Wollfäden bei Dorothea Ziegler.
„Do-it-yourself“ bzw. versuch’s doch mal, war ihr Angebot ans Publikum, dem sie bei den mutigen Versuchen der Faden-Entstehung am Spinnrad half.
- Für die ganz Kleinen hatte Iris Wolff einen großen, bemalten Kaufladen aus früheren Zeiten aufgebaut, der gefüllt mit kleinen Packungen, Dosen und Fläschchen zur Einladung an das jüngste Publikum wurde, das sich bei ihr tummelte.
- Der z.Zt. freie Ausstellungsplatz daneben stand der Märchenerzählerin, Xenia Busam, zur Verfügung. Mit großer Gestik und ausdrucksstarker Mimik erzählte sie ihre Geschichten und Groß und Klein lauschten auf roten Samtkissen ihren geheimnisvollen Worten.
- Weiter beim Rundgang konnte man die Raumvitrine von Gudrun Achterberg entdecken, die dort einige ihrer Ideen in Textil präsentiert. Monitor und Vita berichten von ihren internationalen Ausstellungsbeteiligungen.
- Auch im Schlosskeller des Kulturkreises war sie zugegen, wo sie Kinder zur Bildgestaltung motivierte. Vielerlei Kreiden und buntes Material zum Aufkleben halfen, interessante Kombinationen zu schaffen. Stella, z.B. was auch Stern heißt, fand einen Stoff mit goldenen Sternen, den sie sofort aufklebte und ihre Ideen mit Wachsstiften hinzufügte. Zur freudigen Überraschung der Anwesenden wurde ein Bild mit dem Dankeschön an das Heimatmuseum versehen, das einen schönen Erlebnistag ermöglicht hatte. Die Diplom-Pädagogin Patrizia Raible beobachtete das Geschehen mit hilfreicher Zuwendung.
- Zurück im Adelsbereich des Schlosses begegnete das Publikum wiederum dem Flachs, aber auf andere Weise. Ja, der Name Flachslanden tauchte auf, ein Adliger, der als
Günstling des Königs galt und einst die wundervolle Panoramatapete im Jagdzimmer erstellen ließ, die der Förderverein in Zusammenarbeit mit dem Heimatmuseum
restaurieren und wieder anbringen ließ. Die stille Bewunderung der Besucher war spürbar.
- Über vieles im Schloss berichteten die Audio-Guides mit einfacher Bedienung. Sie konnten bei Manuela Kälberer im Erdgeschoss am Eingang ausgeliehen werden.
- Nicht zu überhören war der Ausscheller Michael Strommer, der mit großer Glocke den erneuten Beginn der Vorführungen ankündigte. Und der Maitre de Plaisir, Jordi Lowski, gab Auskunft über Ort und Zeit der Ereignisse.
- Imbiss und Getränke sorgten für Pausen, wobei die Chor(i-)feen mit Tabletts durch die Besucherdichte an den Hussen-Tischen schwebten und Kerstin Langer und Bernd Demel versuchte, den Getränke-Andrang zu bändigen.
- Der Titel „Lebendiges Heimatmuseum“ hatte sich auf freudige Weise erfüllt. Und auch der Spendentopf hatte für weitere lebendige Ereignisse, aber auch für die
weitere Gestaltung des Museums etwas abbekommen. Dynamik und Verzauberung wollen wir nicht vergessen.
Danke für dieses herausragende Ereignis, Sprecher des Heimatmuseums Jörg Marquardt und sein Team