Etwa 28.000 an Tuberkulose erkrankte Menschen suchten in 65 Jahren auf der Charlottenhöhe Heilung bzw. Linderung oder fanden hier ihre letzte Lebensstation. Die gewaltige Zahl zeigt, welche Bedeutung diese Einrichtung für die Gemeinde Schömberg, das Land Württemberg bzw. Baden-Württemberg und darüber hinaus hatte. Ihre Geschichte ist ein Spiegelbild des Kampfes gegen die Volkskrankheit Tuberkulose, der, als er erfolgreich war, das Ende des Sanatoriums Charlottenhöhe bedeutete. Aber der Reihe nach.
Von 1905 bis 1907 errichtete der „Verein für Volksheilstätten in Württemberg“ im Forstbezirk Langenbrand die Volksheilstätte Charlottenhöhe. Die Einweihung fand am 25. Mai 1907 in Anwesenheit des württembergischen Königspaares statt. Von Anfang an erfreute sich der Verein des besonderen Wohlwollens des Königshauses und deshalb trug die Volksheilstätte den Namen der Königin Charlotte. Allerdings freuten sich nicht alle über das Sanatorium an den Hängen des Enztals. Der damalige Forstrat des Bezirks war über diese „Laus im Pelz“ seiner Wälder so verärgert, dass er der Einweihungsfeier fernblieb.
Der Verein für Volksheilstätten fühlte sich vor allem dem damaligen Mittelstand verpflichtet, dessen Angehörige in der Regel nicht sozialversichert waren. Mit 3 Mark pro Tag war der Verpflegungssatz so niedrig, dass ihn Angehörige des Mittelstandes selbst zahlen konnten. Wie sich dann das Versicherungswesen weiterentwickelt hat, zeigt die Veränderung des Anteils der Selbstzahler, der 1921 46,5 %, 1938 33 % der Kranken und 1955 nur noch 3 Selbstzahler betrug. Es konnten auf der Charlottenhöhe zunächst 92 Männer und Frauen aufgenommen werden.
Ganz entscheidenden Einfluss auf die Arbeit und Entwicklung einer Heilstätte hatte der Chefarzt. Es war ein Markenzeichen der Charlottenhöhe, dass sie in den 65 Jahren nur drei Chefärzte hatte. Von 1907 bis 1920 hatte Dr. Rudolf Schüz, von 1920 bis 1957 Dr. Erwin Dorn und von 1957 bis 1973 Dr. Dieter Schwenkenbecher die ärztliche Leitung inne.
Der Erste Weltkrieg und die Inflationszeit brachten allerlei Schwierigkeiten, die aber mit Hilfe der Versicherungsträger und staatlicher Stellen gemeistert werden konnten. Nach der Inflation setzte ein großer Andrang von Patienten, darunter viele Kinder und Jugendliche, ein. Der Verein errichtete deshalb einen Kinderbau, der 1927 eröffnet wurde. Durch bauliche und organisatorische Maßnahmen konnten nun rund 150 Erwachsene und 50 Kinder aufgenommen werden.
Von Beginn seiner Tätigkeit an befasste sich Dr. Dorn mit den Fragen der Arbeitstherapie für Tuberkulosekranke. Es gelang ihm, 1937 „Auf dem Bühl“ in Schömberg und 1942 in Schwarzenberg Arbeitsheilstätten in Betrieb zu nehmen. Hier konnten Rekonvaleszenten und chronisch Lungenkranke, je nach Leistungsvermögen, einige Stunden am Tag arbeiten. Zunächst wurden die Arbeitsheilstätten von der Charlottenhöhe aus mit verwaltet. Doch schon bald entschloss man sich, sie sich selbst entwickeln zu lassen. Nur die ärztliche Leitung blieb in einer Hand. Später bekamen die Arbeitsheilstätten den Namen des Pioniers der Arbeitstherapie: „Erwin-Dorn-Werk“.
Den Zweiten Weltkrieg überstand die Charlottenhöhe unbeschädigt, aber es waren nach dessen Ende umfangreiche Instandsetzungs- und Verbesserungsarbeiten notwendig. Der dramatische Einbruch der Patientenzahlen 1945 wurde schnell überwunden. Die Zahl der Patienten stieg ständig an. Die Belegung erreichte 1955 mit 75.722 Verpflegungstagen ihren Höhepunkt. Eine Kur dauerte durchschnittlich 140 Tage. Nach Altersgruppen geordnet, zeigt sich über all die Jahre das gleiche Bild: Die Mehrzahl der Patienten war zwischen 20 und 30 Jahre alt. Und dieser Altersgruppe fiel es besonders schwer, sich mit den Einschränkungen eines so langen Kuraufenthalts und den strengen ärztlichen Anordnungen abzufinden.
Ärzte und Verwalter konnten sich immer auf engagierte Mitarbeiter stützen, wobei gerade die Krankenschwestern einen besonders opferungswilligen Dienst leisteten. Schließlich lag selbst für Diakonissen die Charlottenhöhe am Ende der Welt, abgelegen, schlecht zu erreichen, fern von Stuttgart. Trotzdem, die letzte Oberschwester hat 39 Jahre dort gelebt.
Es wäre hochinteressant, über die Entwicklung der Behandlungsmethoden der Tuberkulose zu berichten, doch würde das den Rahmen dieses Berichtes sprengen. Es waren vor allem die großen Fortschritte in der Chemotherapie, die letztlich dazu führten, dass zu Beginn der 1970er Jahre die Zeit der Tuberkulosesanatorien abgelaufen war. Ein Schicksal, das die Arbeitsheilstätten schon in den 1960er Jahren getroffen hat. Mit der Möglichkeit, die Tuberkulose zu heilen, wurde die Arbeitstherapie durch die berufliche Umschulung abgelöst. Anstelle der Arbeitsheilstätten entstand das Berufsförderungswerk Schömberg. Am 30. September 1973 wurde das Sanatorium Charlottenhöhe aufgelöst. Es brach für die Charlottenhöhe ein neues, wenn auch kürzeres Zeitalter an.
Von 1973 bis 1994 benutzte das Berufsförderungswerk Schömberg die Charlottenhöhe als Zentrum II. Es wurden Vorbereitungslehrgänge für Umschüler sowie Berufsfindungsmaßnahmen durchgeführt. Dann wurde die Charlottenhöhe an die Charlottenhöhe GmbH verkauft, die bis 1998 Kurzeitpflege alter Menschen anbot. Als die Charlottenhöhe GmbH ihre Pforten schloss, versank die Einrichtung in einem Dornröschenschlaf. Im Jahre 2001 erwarb die Firma Veda-Consulting die ehemalige Volksheilstätte, mit dem Ziel, eine Ayurveda-Klinik einzurichten. Aber auch dieser Versuch scheiterte. Die Charlottenhöhe wurde unter wechselnden Besitzern dem Verfall preisgegeben und ist heute eine traurige Brandruine.
Friedrich Eschwey