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VON WILDDIEBEN, MÖRDERN UND ANDEREN JAGDFREVLERN

Es begann wie ein Märchen und endete böse. ALSO: Es war einmal ein reicher Geschäftsmann aus Karlsruhe namens Karl Vogelmann. Dieser fand an Östringen...

Es begann wie ein Märchen und endete böse.

ALSO:

Es war einmal ein reicher Geschäftsmann aus Karlsruhe namens Karl Vogelmann. Dieser fand an Östringen ein so großes Wohlgefallen, dass er sich hier im Jahre 1870 eine hübsche Villa erbaute. Nicht genug damit, er legte um seine Villa auch noch einen ebenso hübschen kleinen Park an und pachtete eine Jagd. Alle lebten glücklich und zufrieden, bis, ja, bis er im Jahre 1879 im Alter von nur 37 Jahren auf der Pirsch einen Wilderer überraschte und von diesem angeschossen wurde. An den Folgen dieser Verletzung verstarb er am 13. Oktober 1879.

Diese Untat geschah am Grenzstein zur Zeuterner Gemarkung im Frühmesswald.

Der Mörder wurde nie gefasst, Karl Vogelmann aber geriet in Vergessenheit, nicht einmal eine Gedenktafel am Tatort erinnert noch an ihn und sein trauriges Schicksal. Lediglich seine Villa existiert noch immer, wenn auch aus dem Park schon längst ein Parkplatz wurde. Nach dem Krieg wurde das Gebäude in der Hauptstraße 47 als „Östringer Krankenhaus“ bekannt und diente anschließend drei Generationen Östringer Kinder als Kinderkrippe.

Da erging es dem Kronauer Jagdgehilfen Sebastian Zipperlin doch deutlich besser. Auch er wurde in Erfüllung seiner Pflicht am Dreikönigstag 1827 von einem unbekannten Wilddieb angeschossen und verstarb nach schwerem Leiden an den Folgen seiner Verwundung. Zur Erinnerung an das Verbrechen wurde am Tatort eine Gedenksäule errichtet. Der „Zipperlinstein“ in der Nähe der Autobahn ist bei Wanderern und Radlern ein beliebtes Ausflugsziel, zumal neben ihm auch noch ein attraktiver Rastplatz eingerichtet wurde.

Ich war der festen Meinung, dass ein derartiges Verbrechen in unserer Zeit undenkbar und eher der bayerischen Folklore um die Moritat vom Wildschütz Jennerwein zuzuordnen sei. Leider wurden wir alle eines anderen belehrt. Vor fast genau 3 Jahren wurde am 31. Januar 2022 bei Kusel eine Streifenwagenbesatzung von zwei Wilderern heimtückisch erschossen, als sie den Laderaum eines verdächtigen Fahrzeugs kontrollieren wollte.

Andererseits wurde in nicht allzu ferner Vergangenheit das Wildern im Östringer Wald noch von Teilen der Bevölkerung durchaus als Jedermannsrecht betrachtet, ähnlich dem Sammeln von Pfifferlingen.

Schon als Kind war mir bekannt, dass an der Fischbach bei der Brett von Fasanen bevorzugte Schlafbäume standen. Und bekannt war auch die Tatsache, dass Fasane sich in ihrer Nachtruhe nicht durch Licht stören lassen. Wenn man also am Lauf seines Kleinkalibergewehrs eine Stablampe befestigte, konnte man in aller Ruhe seine still dasitzende Jagdbeute ausleuchten und diese dann erlegen. Und es war auch kein allzu gut gehütetes Geheimnis, in welchem Keller ab und an einige Fasanen zum Abhängen von der Decke baumelten.

Und es lief auch das Gerücht, dass ein notorischer Wilderer, der ansonsten nicht zu fassen war, kurzerhand zum Jagdaufseher ernannt wurde. Eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Er konnte stolz mit Hund und Büchse in aller Öffentlichkeit durch den Ort marschieren, und in seinem Revier herrschte absolut Ruhe und Ordnung.

Zumindest fand hierzulande die Wilddieberei waidmännisch statt, wenigstens ist mir bisher nichts Gegenteiliges zu Ohren gekommen. In der Hardt hingegen scheint der Gebrauch von Schlingen üblich gewesen zu sein. Um die Schlinge zu formen, nimmt man einen dünnen elastischen Draht und macht an seinem einen Ende eine Öse. Das freie Ende des Drahts führt man durch diese Öse hindurch und befestigt es an einem Baum, Strauch oder Ähnlichem. An einem Wildwechsel wird die so gebildete Schlinge quer zur Laufrichtung des Wildes aufgehängt. Ein Reh passiert dieses Hindernis zunächst mit dem Kopf, ohne Lunte zu riechen, bis es endlich mit den Vorderbeinen daran anstößt. Geht das Tier geradeaus weiter, wird sich die Schlinge zuziehen, ebenso, wenn es sich rückwärts zu befreien sucht. Es verendet schließlich qualvoll, wenn sich bei den vergeblichen Befreiungsversuchen der Draht tief ins Fleisch eingegraben hat.

Etwas humaner, aber mit mehr Geschick und Mühe verbunden wird die Sache, wenn die Schlinge an einem grünen Bäumchen befestigt wird. Dieses wird zur Erde heruntergebogen und in dieser Stellung so fixiert, dass sich die Sperre löst, wenn an der Schlinge gezogen wird. Das Bäumchen schnellt dann hoch, reißt das Beutetier mit sich in die Höhe und tötet es so auf der Stelle. Die Methode hat auch den Vorteil, dass Füchse und andere Fleischfresser keinen Zugriff mehr haben. Einem Festessen mit Rehrücken steht dann im Hause des Wilddiebs nichts mehr im Wege.

Kleinere Vögel wurden auch gerne gewildert, aber ausdrücklich nicht zum Verzehr wie in südlichen Landen. Viele Östringer Bürger betrieben in Hof oder Garten als Liebhaberei eine mehr oder weniger große Voliere. Diese „Vogelhecke“ wurde auf diese Weise mit mehr oder weniger seltenen „Sing“-Vögeln besetzt. Beliebt war beispielshalber der „Kerschdebisser“ vulgo Kreuzschnabel. Diese Tiere dienten auch als Tauschobjekt mit anderen Liebhabern.

Gefangen wurden die Vögel mit Leimruten. Der dazu benötigte Leim wurde dadurch hergestellt, dass Mistelbeeren, Kolophonium und Fichtenharz in Leinöl so lange eingekocht wurden, bis eine klebrige zähe Masse entstanden war. Diese wurde auf den bevorzugten Sitzplatz des gewünschten Vogels aufgestrichen. War der Vogel erst einmal auf den Leim gegangen, gab es für ihn kein Entkommen mehr und er war eine leichte Beute.

Und auch ganz andere Tiere wurden gewildert. Ein Bekannter hätte gerne in seinem Garten zwecks Schädlingsbekämpfung Waldameisen angesiedelt. Er zog also bewaffnet mit Schaufel und großem Rucksack in den Wald und befüllte diesen trotz heftiger Attacken der Ameisen mit einem schönen Ameisenhaufen inklusive seiner wehrhaften Bevölkerung. Anschließend transportierte er diese wimmelnde Last auf dem Rücken nach Hause und entleerte den Rucksack im Garten am vorgesehenen Standort in der Annahme, die emsigen Tierchen machten sich umgehend ans Werk, aus dem mitgebrachten Baumaterial einen neuen Haufen zu errichten. Leider ging das Experiment komplett in die Hose. Er war der Meinung, das habe daran gelegen, dass er halt leider die Ameisenkönigin nicht miterwischt habe.

Und gegen Ende der 1960er-Jahre war bei den Enten im Bruchsaler Schlossgartenteich ein unerklärlicher Schwund zu verzeichnen. Wenn böse Buben in der Nacht, wenn alles schlief – auch die Enten – über das Geländer am Tümpel stiegen und über eines der arglos schlummernden Tiere eine Jacke warfen, war dieses eine wehrlose Beute. In gewissen WGs soll dann auch des Öfteren einmal Entenbraten serviert worden sein.

(Dr. Wendel Deschner)

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Östringer Stadtnachrichten
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Ausgabe 08/2025
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