Schon um den Palmsonntag, 25. März 1945 – der Geschützdonner war schon zu hören und die Front war nicht mehr weit entfernt – setzte der Rückzug der deutschen Wehrmacht in unserer Region ein, welcher sich auch in unserem Dorf bemerkbar machte. Die einzelnen Gruppen – Flüchtlinge und einzelne Wehrmachtsteile – welche durch unseren Ort zogen oder einquartiert wurden, zogen nach kurzem Aufenthalt wieder weiter. Es war ein ständiges Kommen und Gehen, auch deshalb wuchs die Nervosität der Bevölkerung mehr und mehr. Zunächst kamen die rückwärtigen Wehrmachtsformationen und -stäbe, wie Feldküchen und Feldbäckereien, Nachschubkolonnen, Nachrichtenleute, Lazarette und Gefangenentransporte. Dann kamen kleine, noch geschlossene Truppenteile, Reste von früheren, jetzt aber kaum noch kampffähigen Einheiten sowie einzelne versprengte Soldaten, die in den vorausgegangenen schweren Kämpfen zerschlagen wurden. Diese auf dem hastigen Rückzug befindlichen abgekämpften deutschen Truppen und die versprengten Soldaten erst recht, machten auf die Dorfbewohner einen denkbar schlechten Eindruck, sie erweckten eher Mitleid als Vertrauen auf wirklichen Widerstand gegen den Feind. Ihre Ausrüstung war mangelhaft, die Verpflegung gering und unregelmäßig. Im Ganzen hatte man den Eindruck einer in Auflösung befindlichen Truppe. Die Soldaten sehnten sich nach dem Ende des sinnlosen Krieges. Allen stand tiefe Niedergeschlagenheit im Gesicht. Kurz vor Ostern kamen dann Teile der 17. SS-Panzer-Grenadier-Division angerückt. Dieser Wehrmachtsteil war verhältnismäßig gut ausgerüstet, verpflegt und kampffähig. Jedoch waren Treibstoff und Munition auch bei dieser Truppe knapp. Als Ausrüstung brachte die SS-Formation mit dem Namen „Götz von Berlichingen“ Artillerie, PAK-Geschütze (Panzerabwehrkanonen), DO-Geräte (Nebelwerferbatterien) sowie Schützenpanzer mit. Sie richteten sich in der Umgebung von Oedheim – teilweise in bereits vom Volkssturm vorbereiteten – Stellungen ein. Die Artillerie wurde nördlich des Aspenloch- und Lohwaldes, am Häseleswäldle, aufgefahren. Die DO-Geräte auf dem Neuberg und in der Kocher-Au, links vom Kocher. Die Schützenpanzer wurden zur Tarnung in Scheunen untergestellt, einer davon in der Scheune von Edmund Volz, Ecke Neuenstädter/Friedhofstraße. Ein anderer in der Kaplanei-Scheuer unterhalb der Kirche.
Am Tage fuhren dann diese Schützenpanzer rasselnd und mit hoher Geschwindigkeit in gedeckte Stellungen in z.B. Streuobstwiesen auf der Degmarner Höhe – die Bäume blühten schon –, um von dort den von Untergriesheim über die Hohe Straße anrückenden Feind in nordwestlicher Richtung zu beschießen. Mit der SS-Einheit kamen auch verschiedene Wehrmachtsleute sowie eine größere Anzahl Volkssturm-Männer. Auch eine Pioniereinheit rückte an, diese Gruppe sollte die Sprengung der Kocherbrücke vorbereiten.
Die Sprengung der Kocherbrücke ging ursprünglich auf Hitlers „Nero“-Befehl vom 19. März 1945 zurück, laut dem alle für den Feind nutzbaren Einrichtungen auf dem Rückzug zerstört werden sollten.
Nachfolgend werden die einzelnen Kampftage in Oedheim geschildert, beginnend mit dem Ostersonntag, 1. April 1945:
Der 1. April, Ostersonntag
Durchmarschierende Soldaten der Wehrmacht und Volkssturm-Männer machen Rast im Dorf, nachdem sie schon tagelang unterwegs waren. Sie waschen sich und richten wieder ihre Montur so gut es eben geht, danach geht es wieder weiter. Der Geschützdonner wird immer lauter, feindliche Flugzeuge, auch die der Aufklärer, sind ständig bedrohlich über uns. Wegen Stromausfall kann die Alarmsirene auf dem Rathausdach nicht geschaltet werden. Immer mehr und emsiger richten sich die Leute zum Überleben in Kellern und Bunkern ein. Auch während des Gottesdienstes am Ostermorgen waren noch Sprengungen zu hören, die noch auf dem in Auflösung begriffenen Flugplatzbetrieb vorgenommen wurden. Umso mehr fing die Oedheimer Bevölkerung an, sich dort zu bedienen. Das heißt, es wurde dort alles geholt, was nicht niet- und nagelfest war. Besonders die großen Berge von Flugzeugschrott aus abgeschossenen deutschen und feindlichen Jagd- und Bombenflugzeugen wurden nach Wertstoffen – Leder, Gummi und Buntmetallen – durchsucht. Hubert Herold fertigte kurz nach Kriegsende übrigens Schuhe für Männlein und Weiblein aus ebendiesem Material. Auch Strohschuhe wurden gefertigt für diejenigen Leute, welche nicht in der glücklichen Lage waren, solch kostbares Gut wie Leder und Gummi zu besitzen. Die Dorfjugend indes war darauf aus, Leuchtspurpistolen zu finden sowie säckeweise die dazu passende Leuchtspurmunition in den Farben gelb, rot und grün. Damit ließen sich wunderschöne Spiele durchführen, jedoch auch sehr gefährliche. Davon später ausführlich. Die Buntmetalle, wie Kupfer, Messing, Silber- und Platinlegierungen wurden gegen Ende des Krieges bis lange noch nach dem Kriege mehr oder weniger illegal gesammelt und verhökert. Manche machten sich geradezu einen Sport daraus.
Fortsetzung folgt