Indes wird die Stimmung im Ort immer ernster, die Leute immer erregter. Die Verteidiger haben ihre Stellungen im Ort und im Wald ums Feld drumherum eingenommen. Man hatte das Gefühl, ausgerechnet bei uns in unserem heimeligen Dorf in unserer vertrauten engeren Heimat müsse das Vaterland nun endgültig verteidigt werden! Die Panzersperren waren ringsum fertiggestellt, Sandsäcke vor den Kellerfenstern deponiert, Löschwasser in Bottichen und Zubern stand bereit. Das Lebensnotwendigste war in Kellern und Bunkern verstaut. Gegen Abend wird in der Gaststätte „Deutsches Haus“, Hauptstraße 36, der Hauptverbandplatz „Kaiser III“ eingerichtet. Stabsarzt Dr. Falk und Sanitätsfeldwebel Gluth werden in Oedheim einquartiert. An der Hauswand zur Hauptstraße war eine Halterung zum Einstecken einer Eisfahne, dort wurde die Rot-Kreuz-Fahne eingesteckt. Bis zur Nacht vom 5. auf den 6. April wurden hier auch verwundete Soldaten und Zivilisten behandelt, bevor sie zur weiteren Behandlung zum Krankenhaus in Schwäbisch Hall abtransportiert wurden.
Dann am Abend, ungefähr um 19.00 Uhr erfolgte die Sprengung der bereits durch Fliegerangriff am 8. November 1944 beschädigten Kocherbrücke durch ein deutsches Sprengkommando. Dabei blieb in der Mitte des Flusses der Teil eines Brückenpfeilers stehen, auf welchem die Figur des Brückenheiligen St. Nepomuk unversehrt stehen blieb, während sich die Stahlträger der Behelfsbrücke v-förmig nach unten durchbogen. Über diese Sprengung haben sich viele Oedheimer erregt und haben sich auch nicht gescheut, sich über dieses Ärgernis zu äußern. Einer dieser Oedheimer war der unbescholtene Bauer Emil Baumgart, geb. am 24.12.1881, welcher nach der Sprengung gegenüber seines Hauses beim „Kreuz“ zusammen mit dem Vater des damaligen Ortsgruppenleiters darüber diskutierte. Emil Baumgart schimpfte über die sinnlose Sprengung der Kocherbrücke, die schon erfolgte, als auf der anderen, der nördlichen Seite noch deutsche Truppen standen. So war es kaum möglich, deutsche Verwundete über den Kocher herüberzubringen. In seiner Erregung soll Emil Baumgart gesagt haben: „Diejenigen, die das Sprengen der Brücke angegeben haben, gehörten oben draufgesetzt.“ Bewiesen ist, dass er denunziert wurde. Wer der Denunziant war, konnte nicht bewiesen werden, auch nicht bei der späteren Gerichtsverhandlung nach dem Krieg.
Der 2. April, Ostermontag
Schon frühmorgens ist Fliegeralarm. Der Stromausfall war vorüber. „Für wie lange?“, stellte man sich selbst die bange Frage. Inzwischen hatte sich die Front nahe an Oedheim herangeschoben. Die amerikanischen Truppen waren von Mosbach über die Krumme Ebene bis zur Jagst vorgedrungen. Von nun an lag Oedheim – vom 2. bis 13. April – in der Hauptkampflinie (HKL) der Kriegsfront. Täglicher Artilleriebeschuss und Luftangriffe versetzten die Einwohner in Todesangst. In Kellern, Bunkern und Erdlöchern versuchten die Menschen diese Kriegstage zu überleben. Pfarrer Gentner und Kaplan Klaus suchten unermüdlich den Menschen in den unterirdischen Schutzräumen Trost und Hoffnung zu spenden. Während dieser Tage leisteten die eingesetzten SS-Verbände erbitterten Widerstand, viele Amerikaner und Deutsche starben. Zwei Panzer der Amerikaner wurden durch Panzerfäuste abgeschossen. Verwundete und gefallene Amerikaner wurden sofort nach Mosbach zurücktransportiert. Während all den Kampftagen kam kein feindlicher Soldat bei Oedheim über den Kocher, nur bis zum Neudorf. Deutsche Stoßtrupps jedoch setzten des Nachts häufig über den Fluss, auch noch nach der Besetzung der rechten Flussseite.
Am Abend dieses Tages, als Emil Baumgart gerade mit dem „Füttern“ im Stall beschäftigt war, kamen zwei SS-Leute, um ihn zu verhaften. Er hatte nicht einmal die Zeit, um sich umzuziehen. Seine Frau Pauline fragte bestürzt die SS-Männer: „Wollt ihr ihn in diesem alten Schaff-Kittel mitnehmen?“ Darauf entgegnete einer von den beiden: „Der braucht keinen anderen Kittel mehr!“ Dass gerade ihm, dem rechtschaffenen Emil Baumgart, der sein Leben lang von niemandem etwas Unrechtes wollte, seine Äußerungen vom Vortage zum Verhängnis wurden, ist bis zum heutigen Tage nicht nachvollziehbar und mehr als bedauerlich. Er sprach ja nur aus, was viele, ja, alle von uns, dachten! Emil Baumgart war schon immer ein frommer Mann gewesen. Noch am Ostersonntag hatte er gebeichtet, an beiden Osterfesttagen kommuniziert, also auch noch am Morgen seiner Verhaftung. Zunächst wurde der Verhaftete zum SS-Stab gebracht, welcher in der „Krone“ etabliert war. Noch am gleichen Abend wurde er zur Kreisleitung nach Heilbronn abgeführt. Dort wurde er im Weinkeller neben der Kanzlei des Kreisleiters Drautz vermutlich noch am späten Abend, sicher aber noch in der gleichen Nacht, durch Genickschuss und zwei Brustschüsse hingerichtet.
Am anderen Morgen, also am 3. April, wurde er jedenfalls tot aufgefunden, das ist bezeugt. Die Hinrichtung erfolgte auf Befehl des Kreisleiters ohne Untersuchung, ohne Möglichkeit einer Verteidigung und ohne Urteilsspruch. Bezeugt ist, dass der Oedheimer Ortsgruppenleiter den Befehl seines Vorgesetzten, des Kreisleiters Drautz, Emil Baumgart vor Ort zur Abschreckung aufzuhängen, nicht befolgt hat. Wegen der Kriegswirren in Heilbronn zu dieser Zeit konnte der Leichnam erst am 10. April im Heilbronner Hauptfriedhof bestattet werden. Später erinnerte sich der Totengräber an das Grab des Toten wegen der Bekleidung – dem blauen Kittel. Das Grab wurde geöffnet, die Leiche konnte identifiziert werden, weil sich in der oberen Tasche ein Holzlos-Zettel befand mit seinem Namen. Gleich nach der Identifizierung erfolgte die Überführung auf den heimatlichen Friedhof. Die Einsegnung erfolgte am 28. April um 9.00 Uhr durch Pfarrer Gentner. Sein Grab befindet sich im Sammelgrab der Oedheimer Ziviltoten. Der Text auf dem damaligen Grabkreuz – damals gab es weniger Grabsteine, sondern vornehmlich Grabkreuze aus Holz – ist noch in Erinnerung: „Die Nazi-Terrornacht hat dich meuchlings umgebracht, du hast der Wahrheit die Ehre gegeben, dafür schenke dir Gott das ewige Leben“.
Von alldem hat sein Sohn Alfons erst später erfahren, er kam erst im Jahre 1949 aus der Kriegsgefangenschaft zurück.
(Anm.: Laut Ehrenchronik vom I. WK von Alois Brielmaier war Emil Baumgart Sohn des Franz Baumgart und dessen Ehefrau Genoveva geb. Spohrer. Seinen Wehrdienst leistete er ab dem 17. Oktober 1902 bei der 5. Batterie des Feldartillerie-Regiments 65 ab. Als er im August 1914 zum Kriegsdienst eingezogen wurde, war er verheiratet mit Pauline geb. Vogt und hatte mit ihr 4 Kinder. Er kämpfte an verschiedenen Fronten mit, war Träger des Eisernen Kreuzes II. Kl. und wurde erst am 28. Dezember 1918 in die Heimat entlassen.)
Fortsetzung folgt.