Sie spricht nicht besonders laut. Sie spricht nicht besonders leise. Sie verzichtet auf von Aufmerksamkeit heischende Rhetorik. Und doch, und vielleicht deshalb, gehört ihr die ganze Aufmerksamkeit. Es ist mucksmäuschenstill im Rathausgewölbe Durlach, als Anna Schreiber bei der Ausstellung „gesichtslos“ mit Fassung über „Prostitution – mit Geld kaschierte Gewalt“ spricht.
Das Besondere: Anna Schreiber nimmt zwei Perspektiven ein. Zum einen berichtet sie als Psycho- und Traumatherapeutin, zum anderen aus ihrer eigenen Erfahrung, die sie als junge Frau als Prostituierte gemacht hat.
In ihrer Aussage ist Anna Schreiber ganz klar: „Jede Prostitution ist Gewalt. Frauen sind nicht käuflich.“ Sollten, so fragt sie, unsere Kinder wirklich in einer Situation aufwachsen, in denen Frauen gekauft werden können?
Kaum eine Frau prostituiere sich freiwillig. Es gebe immer „eine Geschichte davor." Ohne diese sei Sex mit Fremden unvorstellbar. Dennoch entstünde der Eindruck eines freien Willens. Auch sie habe damals gedacht und erzählt, sie überlasse ihren Körper freiwillig Männern, damit sie ihn zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse benutzen könnten.
Heute weiß sie: „Ich hatte durch sexualisierte Gewalt in meiner Kindheit nie gelernt, auf meinen Körper aufzupassen.“ Sie habe damals an ihre Freiwilligkeit glauben müssen, um sich vor der Realität zu schützen. Für Zuhälter, Bordell- und Immobilienbesitzer und andere, die an der Prostitution verdienen, sei das Märchen der Freiwilligkeit jedoch eine clevere Verkaufsstrategie. „In der Prostitution wird viel verkauft“, sagt sie, „der Körper, die Würde, die Gesundheit und die Realität. Denn die ist hart, brutal und heftig.“
Die Unterscheidung zwischen freiwilliger und Zwangsprostitution sei falsch, so Anna Schreiber. „Beide sind Sex gegen Geld und beide richten physischen und psychischen Schaden mit lebenslangen Folgen an.“ Anal und Vaginal seien die Frauen und ihr Körper lebenslang beschädigt, wenn sie am Tag zwanzig-, dreißigmal Sex hätten.
Männer könnten nicht unterscheiden, ob eine Frau einen Orgasmus vortäusche. Sie denken, die Frau sei eine Naturgeile und sie gäben legalisiert Geld für etwas, was die Frau gerne und freiwillig tue.
Wer sich prostituiere, gerate in eine automatische Dissoziation und spüre nicht mehr, was passiert. Ohne diese Abspaltung von Gefühlen und Erlebtem sei Prostitution nicht möglich. „Das Innerste eines Menschen wird beschmutzt“, sagt sie, „Sperma und Schweiß von einem fremden Menschen sind eklig.“ Nur weil die Erlebnisse in Einzelteilen aus dem stimmigen Zusammenhang brächen, könne eine Frau sagen, es mache ihr nichts aus.
Der Ausstieg sei unglaublich schwer. Prostitution finde im kriminellen Milieu statt. „Die Frauen erleben sich als gezeichnet und haben Angst, niemals zu den anderen Frauen zu gehören“, teilt Anna Schreiber mit, „Sie fühlen sich abhängig, hilflos und stigmatisiert.“
Auch in ihren Forderungen ist sie ganz klar. Es brauche einen Paradigmenwechsel und eine neue Gesetzgebung. Es brauche Menschen, die fühlen und hoffen können, wo es die betroffenen Frauen nicht mehr können. „Es braucht uns und unsere Haltung“, sagt Anna Schreiber. „Prostitution ist keine Arbeit, sondern mit Geld kaschierte Gewalt. Ein Frauenköper ist unbezahlbar!“ (rist)
Ausstellung „gesichtslos - Frauen in der Prostitution im Rathausgewölbekeller Durlach, bis 23. Juni
Samstag, 21. Juni, 19.30 Uhr
Prostitution und Gleichstellung
Eine gesellschaftspolitische Podiumsdiskussion
Anna Schreiber: Körper sucht Seele. Versus-Verlag, 22,90 Euro