Pünktlich beginnen konnten Sabina Toldo und Roland Kraft nicht. Das Interessierte waren unter die Arkaden des Alten Rathauses gekommen, und damit der Einladung der Volkshochschule Badische Bergstraße zum Vortrag zur Geschichte Hemsbachs gefolgt. Es mussten noch Stühle herbeigeschafft werden, damit alle gut 40 Gäste einen Sitzplatz hatten. Die hörten im Anschluss in einem Dialog zwischen Toldo, Leiterin der VHS-Außenstelle in Hemsbach, und dem Ur-Hemsbächer Kraft einen sympathischen wie fundierten Vortrag zu Geschichte und Geschichten der Stadt.
Begonnen hat alles, so sagte Kraft, im Jahr 500 v. Chr. Da hätten Kelten die Region besiedelt. Einer der ersten Siedler war Hermingis. Er gab der Stadt ihren Namen. Den Kelten folgten 100 n. Chr. die Römer. Sie brachten der Strada Montana ihren Namen und den Weinbau. Die erste urkundliche Erwähnung Hemsbachs erfolgte 795 n. Chr. im Lorscher Kodex. Über das Mittelalter ging es weiter bis in die Neuzeit, mit der Entwicklung des Dorfes zur Stadt, die rasant verlief: In 20 Jahren wuchs die Bevölkerung Hemsbachs laut Kraft von 4.500 nach dem Krieg auf 13.000 Menschen, geschuldet einer intensiven Bebauung ab dem Ende der 1950er-Jahre. Diese Entwicklung brachte eine Veränderung von der Landwirtschaft hin zu Gewerbe und Industrie mit sich. „Mittlerweile sind alle Betriebe weggezogen, es ist schade drum“, warf Kraft eine kleine Portion Melancholie in die Runde im Erinnern früherer Zeiten, als es noch Zigarrendreherei und Tonziegelei in der Stadt gab.
In seinen Ausführungen widmete sich Kraft auch den alten Gebäuden. Darunter dem Alten Rathaus, zugleich Ort der Veranstaltung. Dessen Erdgeschoss datierte er auf das Jahr 1618. Das älteste Gebäude ist mit einem Alter von ca. 600 Jahren die Zehntscheuer, Überbleibsel der früheren Tiefburg. Aber auch die Laurentiuskirche und das Rothschild-Schloss, das heutige Rathaus, blieben nicht unerwähnt. Letzteres kam im 19. Jahrhundert zu seinem jetzigen Aussehen, und wurde 2007 umfassend saniert. „Ich glaube, dass unsere Gemeinde sehr stolz sein kann auf das schöne Rathaus“, so Kraft.
Was als Geschichtsstunde mit vielen Jahresangaben begann, wurde im weiteren Verlauf eine äußerst unterhaltsame Stunde, in der Kraft mit Wissen glänzte, das – bis zu diesem Zeitpunkt – längst nicht jeder teilte. Darunter Sagen wie die Geschichte der Wallfahrt auf den Kreuzberg, aber auch der Wahrheit entsprungene Räubergeschichten rund um das Treiben des Hölzerlips, der mit seiner Bande zu Beginn des 19. Jahrhunderts sein Unwesen trieb. Ein Überfall zwischen Hemsbach und Laudenbach führte zu deren Ende, an der Aufstellung eines Gedenksteins an der Stelle des Überfalls hatte Kraft selbst mitgewirkt.
Der Referent würzte seine Ausführungen immer wieder gerne mit einer Prise Humor. So kommentierte er die herzogliche Verpfändung Hemsbachs im 15. Jahrhundert mit Blick auf die finanziellen Bredouillen im Haushalt: „Ich will nicht sagen, man sollte Hemsbach heute verpfänden – aber es wäre eine Möglichkeit.“ Und er, der Teil des Hölzerlips-Stammtischs war, berichtete auch von den Taten der Stammtischbrüder. „Wir haben manches Unwesen in Hemsbach getrieben“, grinste er in Erinnerung an die Verhüllung des Vierritterturms analog zu der des Reichstags durch den Künstler Christo, oder die Gefangennahme von Altstadträten, die mit Bier ausgelöst werden mussten. Er sprach auch über persönliche Erfahrungen, darunter die Flugzeugabstürze am 15. Mai 1953 über der westlichen Feldflur. Er pflanzte als Fünfjähriger zusammen mit seinem Vater und anderen Helfern ganz in der Nähe Tabakstecklinge, als ein US-Bomber mit zwei Maschinen eines entgegenkommenden US-Transportgeschwaders zusammenstieß. „Es fiel Feuer vom Himmel“, schilderte Kraft die Eindrücke des Unglücks, bei dem einige US-amerikanische Soldaten ums Leben kamen.
Einen Menschen vermisste Roland Kraft an diesem Abend an seiner Seite. „Die Veranstaltung war ursprünglich zusammen mit Volker Pauli geplant“, hatte Toldo bereits zu Beginn der Veranstaltung gesagt. Kraft führte aus, dass mit Pauli auch die Präsentation anders gewesen wäre. „Volker Pauli hätte alles im Dialekt gesagt, und ich es auf Hochdeutsch gemacht“, so Roland Kraft. Nun stand er an diesem Abend, den Sabina Toldo dem Altbürgermeister widmete, alleine unter den Arkaden – aber in Gedanken aller war Volker Pauli dabei. (cs)