Von Susanne Hilz-Wagner
Am Sonntag, den 29. Juni, gedachte Grötzingen im Rahmen der Grötzinger Kulturmeile 2025 dem im Frühjahr verstorbenen Maler Horst Leyendecker mit mehreren bewegenden Veranstaltungen. Neben einem musikalischen Gedenkkonzert ab 17 Uhr in der Evangelischen Kirche Grötzingen wurde Leyendecker posthum – gemeinsam mit seiner Ehefrau Jutta Leyendecker – die Ehrenmitgliedschaft im Freundeskreis Badisches Malerdorf Grötzingen e.V. in der Christuskapelle der Methodistischen Kirche verliehen. Dort konnten in einer eigenen Ausstellung auch seine Werke an diesem Wochenende bewundert werden.
Horst Leyendecker wurde am 26. März 1935 in Wuppertal-Elberfeld geboren. Seine Kindheit und Jugend am Niederrhein waren geprägt von den Umbrüchen des Zweiten Weltkriegs mit all ihren Begleiterscheinungen wie Not und Entbehrungen. Mit 15 Jahren ging er bei einem Malermeister in die Lehre, wo er viel über Maltechniken und Farben lernte. Seine Meister erkannten schon früh seine Maltalente. Daher nahm er deren Rat an, sich in der Malerei weiter auszubilden. Nach einigen Gesellenjahren besuchte er die Werkkunstschule in Düsseldorf und studierte in der Fachabteilung für Bau-, Raum- und Schildermaler. 1958 schloss er das Studium ab, das er mit Maler- und Tapezierarbeiten finanzierte. Die Semesterferien verbrachte er in Schweden. Hier verpasste er den Sommerhäusern wohlhabender Stockholmer neue Anstriche. Anschließend wechselte er an die Staatliche Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Dort schloss er bei Professor Rudolf Yelin seine Ausbildung ab und entwickelte sich zum freien Maler. In den 1970er-Jahren ließ sich Horst Leyendecker dauerhaft im badischen Malerdorf Grötzingen nieder. 1975 erwarb er das Atelierhaus direkt beim Schloss Grötzingen – es war zuvor das Atelier des bekannten Malers Otto Fikentscher gewesen. Nach intensiven Umbau- und Renovierungsarbeiten weihte Leyendecker das Haus 1976 als Wohn- und Arbeitsstätte ein. Zwei Jahre später, 1978, lernte er in Heidelberg seine spätere Ehefrau Jutta kennen. Leyendeckers künstlerisches Werk ist zutiefst von der Natur inspiriert – nicht zuletzt wohl auch als Gegengewicht zu den prägenden Kriegserlebnissen seiner frühen Jahre. Besonders die Landschaften von Grötzingen und der Schweiz, die er häufig bereiste, fanden Eingang in seine fein abgestimmten Aquarelle und Zeichnungen. Oft brachte er von seinen Reisen zahlreiche Fotografien und Skizzen mit, die er später in seinem Atelier in ruhiger Konzentration zu Bildern verarbeitete. Dabei spielte die Musik eine wesentliche Rolle in seinem künstlerischen Prozess: Leyendecker malte regelmäßig bei klassischer Musik – ganz besonders bei Klängen von Franz Schubert, dessen Werke ihn tief bewegten. Diese Verbindung zur Musik verleiht vielen seiner Bilder eine spürbare Harmonie und innere Ruhe, die seine Landschaftsdarstellungen so eindrucksvoll machen. Bis ins hohe Alter blieb Horst Leyendecker künstlerisch aktiv. Neben seiner freien Malerei war er auch als Restaurator tätig – unter anderem am Schloss Favorite in Rastatt, in der Heilig-Geist-Kirche in Heidelberg und an mehreren Kirchenbauten im südwestdeutschen Raum. Er engagierte sich außerdem im Freundeskreis Badisches Malerdorf Grötzingen e. V. und war fest in der örtlichen Kunstszene verwurzelt. Horst Leyendecker verstarb am 18. März 2025 in Grötzingen – inmitten jener Landschaft, die ihn ein Leben lang inspiriert und getragen hatte.
Im Rahmen der Grötzinger Kulturmeile 2025 fand ein Gedenk-Konzert für den Maler Horst Leyendecker in der Evangelischen Kirche Grötzingen statt. Das Konzert brachte Leyendeckers tiefe Liebe zur Musik zum Ausdruck – insbesondere zu Franz Schubert – und spiegelte seine lebenslange Verbindung zur Kunst - feierlich, berührend und persönlich. Die Einführung und Moderation übernahm die frühere Ortsvorsteherin Karen Essrich, die zu Beginn an das Leben und Wirken Horst Leyendeckers erinnerte, der seit den 1970er-Jahren mit seinem Atelierhaus beim Grötzinger Schloss ein bedeutender Teil des kulturellen Lebens des Ortes war. In bewegenden Worten zeichnete sie in ihrer Ansprache seine tiefe Verbundenheit zur Natur, sein Wirken als Künstler und seine feinsinnige Künstler-Persönlichkeit. Auch die Auswahl der Musikstücke trug eine zurückhaltende, oft melancholische Kraft in sich – Ausdruck von Würde, Abschied, Nachklang und innerer Einkehr. Anschließend stellte sie die ausgewählten Werke des Konzerts vor und erläuterte die musikalische Dramaturgie des Abends.
Das Konzert wurde vom Ensemble Quatuor Avium gestaltet, mit Felix Treiber (Violine), Sibylle Langmaack (Viola), Akiko Sato (Viola), Norbert Ginthör (Violoncello) und Norbert Krupp (Cembalo). Das Programm begann mit Heinrich Ignaz Franz Biber (1644–1704): Balletti lamentabili a 4. Dieses frühe barocke und gleichzeitig melancholisch-feierlich getragene Werk des barocken Meisters eröffnete den Abend mit tief bewegender Klangfülle. Es schuf gleich zu Beginn eine stille, andächtige Atmosphäre – ganz im Geiste eines musikalischen Gedenkens. Die fünfstimmige Besetzung erzeugte eine dichte, fast klagende Atmosphäre – ein musikalisches Sinnbild für das Nachdenken über Vergänglichkeit und Trauer. Das zweite Stück von Carl Stamitz (1745–1801): Quartett g-Moll op. 15 Nr. 2 war ein ausdrucksstarkes Werk des Mannheimer Komponisten, das mit empfindsamer Melodik und ausgewogener Harmonie die innere Ausgeglichenheit widerspiegelt, wie sie auch vielen Bildern Leyendeckers innewohnt. Die Besetzung mit Violine, zwei Violen und Violoncello verlieh dem Klang besondere Wärme.
Als Vertreter der sogenannten Mannheimer Schule verknüpfte Stamitz klassische Form mit gefühlvoller Tiefe. Sein Quartett berührte mit zarten Dialogen zwischen den Instrumenten – als ob sich Erinnerungen musikalisch begegneten. Das dritte Stück ab dem zweiten Teil des Konzerts war die Aria quarta aus Hexachordum Apollinis von Johann Pachelbel (1653–1706) - ein ruhiges, fast meditatives Stück mit barocker Klarheit. Pachelbel, bekannt für seine feinsinnige Struktur, bietet hier eine Aria mit feinen Variationen – zurückgenommen, nachdenklich und doch tröstlich. Eine würdige klangliche Brücke zur Stille des Erinnerns. In einem ruhigen Moment der Sammlung spielte Norbert Krupp ein Cembalo-Solo von feiner Ornamentik. Pachelbels barocke Meditationsmusik verlieh dem Raum einen kontemplativen Klang – fast wie ein Gebet.
Das vierte Stück komponierte Felix Treiber: „Tempi Passati“ – Quartett Nr. 3 (2024) und war eine Uraufführung an diesem Spätnachmittag. – Das eigens für diesen Anlass komponierte Werk versteht sich als musikalischer Rückblick und zugleich als Dialog mit der Gegenwart. In schwebender Harmonie und unerwarteten Klangwechseln vermittelt das Stück ein Gefühl von Zeit und Übergang – wie geschaffen für ein Gedenken an einen Künstler, dessen Werk zwischen Naturbeobachtung und zeitloser Poesie stand. Diese Uraufführung seines neuen Werkes durch den Komponisten selbst führte von der Rückschau in die Gegenwart. „Vergangene Zeiten“ – so der Titel – reflektiert musikalisch, wie Erinnerung und Gegenwart sich durchdringen. In zarten Schichtungen, wechselnden Rhythmen und lyrischen Bögen wurde ein leiser, moderner Nachruf hörbar.
Das fünfte Stück von Franz Schubert (1797–1828): Vier Menuette für Streichquartett D 89 war Leyendeckers Lieblingskomponist, den er oft während seiner Arbeit im Atelier hörte und der im Konzert nicht fehlen durfte. Die vier Menuette, leichtfüßig, innig und stets von einer unterschwelligen Melancholie durchzogen, spiegelten in idealer Weise Leyendeckers Sinn für Harmonie, Schönheit und Innenschau wider. Sie präsentieren eine stille Eleganz und melancholische Schönheit. Wie ein innerer Tanz von Licht und Schatten spannten sie einen weichen musikalischen Bogen über das Gedenken. Das sechste Stück von Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809–1847) war Tema con Variazioni op. 81 Nr. 1. – Das letzte Werk des Abends war zugleich ein spätes Werk Mendelssohns. Zwar nicht sein allerletztes Komponat (dies war das Streichquartett op. 80), doch stammt es aus demselben Spätjahr 1847. Es bildet mit seinem klaren Thema und der poetischen Verarbeitung den Abschluss des Konzerts. Der Variationssatz, abwechselnd innig, lebendig und zart, führte das Publikum mit leiser Tiefe aus dem Abend – ein würdiger Schluss für dieses Gedenkkonzert. Die „Variation über ein Thema“ entwickelt sich von feinem, fast tröstlichem Grundton zu einem eindrucksvollen Nachklang – als würde der Komponist selbst mit leisem Lächeln Abschied nehmen. Für das Gedenkkonzert war dies ein ergreifender, würdevoller Schlusspunkt. Nach anhaltendem Applaus bedankte sich die anwesende Witwe des Künstlers, Jutta Leyendecker, sichtlich bewegt bei allen Verantwortlichen und Beteiligten für dieses besonders stimmungsvolle und würdevolle Gedenken an ihren Mann.
Der Freundeskreis Badisches Malerdorf Grötzingen e.V. hatte im Anschluss an das Gedenkkonzert ab 18.30 Uhr in die Christuskapelle der Methodistischen Kirche in der Mühlstraße eingeladen. Das Ehepaar Horst und Jutta Leyendecker war bereits Mitglied im Verein und wurde an diesem Abend als Ehrenmitglied aufgenommen. Der symbolische Tag der Aufnahme wurde auf den 90. Geburtstag des Malers Horst Leyendecker datiert, der aber kurz zuvor verstorben war. Die Witwe Jutta Leyendecker wurde nicht nur als Ehefrau aufgenommen. Sie hat selbst die Geschichte des Badischen Malerdorfes Grötzingen mit seiner Künstlerkolonie erforscht und ein Buch dazu herausgebracht. Es trägt den Titel: „Die Grötzinger Malerkolonie – Hinaus ins Freie!“ Auch ihr gebührt Anerkennung und Achtung für ihr eigenes kulturelles Wirken. Die Festrede zur feierlichen Verleihung der Ehrenmitgliedschaft hielt Rütger Boeddinghaus, 1. Stellvertretender Vorsitzender des Freundeskreises Badisches Malerdorf Grötzingen e.V., in Anwesenheit vieler Vereinsmitglieder und Interessierter. Im Anschluss an die Verleihung sprach Jutta Leyendecker nicht nur erneut ihren Dank an alle Beteiligten, vor allem für die ihrem Gatten erwiesene Würde und Anerkennung aus, sondern berichtete persönlich und eindrucksvoll über den Werdegang ihres Hauses: vom Atelier zum Wohn- und Künstlerhaus, in dem die künstlerische Tradition mit Liebe nach dem Kauf vom Maler Fikentscher gepflegt wurde. Eine Freundin der Familie Leyendecker, die Schriftstellerin Martina Bilke, trug drei eigene Gedichte zu drei ausgewählten berühmten Malern vor – darunter auch eines zu einer Allegorie von Caspar David Friedrich. Ihre Worte gaben dem Abend eine besondere poetische und persönliche Note. Sichtlich bewegt schauten alle Anwesenden anschließend noch staunend auf die zur Kulturmeile Grötzingen an diesem Wochenende in der Christuskapelle ausgestellten Gemälde von Horst Leyendecker, die sein Gedenken auf eindrucksvolle Weise abrundeten.