Heimat- und Geschichtsverein Baltmannsweiler und Hohengehren
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Wahrheit oder Legende?

„Die Welt starrt in Waffen im Eisenkleid, / Es klirret und rasselt und gährt weit und breit. / Da’s sein muß, so zieh‘n wir begeistert in’s Feld,...
Propagandakarte, wahrscheinlich 1914
Propagandakarte, wahrscheinlich 1914Foto: Privatbesitz

„Die Welt starrt in Waffen im Eisenkleid, / Es klirret und rasselt und gährt weit und breit. / Da’s sein muß, so zieh‘n wir begeistert in’s Feld, / Wir fürchten Gott nur, sonst nichts auf der Welt.“ Dieser Text steht auf einer ungelaufenen Ansichtskarte, wahrscheinlich aus den Anfangstagen des Ersten Weltkriegs.

Viele Jahre lang vertrat der Verfasser dieses Beitrags als Geschichtslehrer die durch historische Fotografien scheinbar belegte Meinung, Anfang August 1914 habe eine große Kriegsbegeisterung die gesamte Zivilbevölkerung des damaligen Kaiserreichs erfasst. Man sprach in der Wissenschaft in Anlehnung an zeitgenössische Quellen vom sogenannten „Augusterlebnis“ oder vom „Geist von 1914“. Lokalgeschichtliche Forschungen entlarvten jedoch bereits vor der Jahrtausendwende diese Ansicht als Legende. Nicht überall jubelten nämlich die Menschen, als die Nachrichten vom Kriegsbeginn bekannt wurden und zumeist junge Männer in die Kasernen einrückten, um für einen angeblich zeitlich kurzen Waffengang ausgebildet zu werden. Viele Deutsche glaubten immerhin, in einen gerechten Verteidigungskrieg zu ziehen. Der Jubel war in Wirklichkeit in den Städten größer als auf dem Lande, er war stärker vor allem im Besitz- und Bildungsbürgertum als bei Arbeitern und Bauern und lauter bei der jungen als bei der älteren Generation. Auf dem Lande herrschte zumeist tiefe Niedergeschlagenheit, und sogar im Morgenblatt der „Münchener Neuesten Nachrichten“ hieß es am 4. August 1914 unter dem Titel „Der zweite Mobilmachungstag“: „Schwerer Kummer aber ist bei vielen unserer Bauernfamilien eingezogen, denn die Väter oft sehr kinderreicher Familien müssen fort, die Söhne, Pferde und Wagen werden von den Militärbehörden gefordert, und draußen steht die Ernte.“

Wie sah wohl die Situation in Baltmannsweiler und Hohengehren aus? Auch in diesen beiden Dörfern veränderte der Kriegsbeginn das Leben der Bevölkerung einschneidend. Einen wenn auch sehr nationalistisch gefärbten Eindruck gibt die 1936 erschienene und vom damaligen Hauptlehrer Albert Eberle verfasste Ortsgeschichte Baltmannsweilers. Eberle schreibt: „Wie eine Bombe schlug sie [die Kriegserklärung vom 1. August 1914] in unser stilles Dorf ein. Die Mobilmachung wurde durch die Ortsschelle und durch Plakate bekanntgegeben. Alles stand auf den Straßen oder schaute zum Fenster heraus und besprach lebhaft das große Ereignis. Viele Frauen weinten. Mütter und Kinder bangten um ihre Angehörigen. Die wehrpflichtigen Bauern aber standen unter ihren Scheunentoren, in die sie bald die gereifte Ernte […] einzuführen gehofft hatten [und] nickten einander ernsten Blickes zu“. Die Männer, die in den folgenden Tagen und Wochen infolge der Mobilmachung „einrücken“ mussten (und vielleicht auch wollten), wurden von ihren Angehörigen auf die Bahnhöfe nach Esslingen, Reichenbach und Winterbach begleitet, wo allen ein schwerer Abschied bevorstand. Die „Ausmarschierten“ fehlten nun als Arbeitskräfte, an ihre Stelle traten vermehrt Frauen und Mädchen aus der Gemeinde, die sogar als Streckenarbeiterinnen bei der Reichsbahn beschäftigt wurden, aber auch Kriegsgefangene.

Ein beliebtes Kommunikationsmittel der Soldaten im Feld mit den Angehörigen, Freunden und Bekannten in der Heimat war die Feldpost. Fast 28 Milliarden Sendungen wurden an die Front bzw. von dort in die Heimat befördert. In diesen Zeitdokumenten inszenierten sich aber in aller Regel die Soldaten – sowohl bewusst als auch unbewusst – selbst und stellten eine oft scheinbare Wirklichkeit her, zudem boten sie ihren Lesern selten Informationen über den wahren Kriegsverlauf. Überdies machten Zensur, Rücksichtnahme auf die Adressaten und häufige Sprachlosigkeit der Schreiber die Feldpostbriefe und -karten zu einer Ansammlung alltäglicher Themen und nichtssagender Details. Doch gerade der Austausch solcher trivialen Nachrichten war der Hauptsinn solcher Post, denn sie stärkte die Schreiber emotional und bot ihnen eine Orientierung an den glücklicheren Tagen der Vorkriegszeit. Auch diesmal geht die Bitte an die Einwohnerschaft beider Gemeinden, dem Heimat- und Geschichtsverein noch vorhandene Unterlagen zu jenen ersten Kriegstagen 1914 vorübergehend zur Verfügung zu stellen. (auh)

Soldatengruppe, links sitzend Ernst Paukert, rechts außen Hermann Maier aus Baltmannsweiler
Soldatengruppe, links sitzend Ernst Paukert, rechts außen Hermann Maier aus Baltmannsweiler.Foto: Privatbesitz
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Ausgabe 13/2025

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