Freitag, 18 Uhr, nach einem kräftigen Regenschauer strahlender Sonnenschein, 13 Winzer der „Weißen-Burgunder-Charta“ treffen letzte Vorbereitungen an ihren überdachten Ständen in der Dielheimer Grünanlage, auf der zum sechsten Mal „Wein im Bahnhof“ stattfindet. Bürgermeister Thomas Glasbrenner und seine Frau begrüßen die ersten Gäste. Rund 100 Weine aus dem Kraichgau und der Badischen Bergstraße werden zum Verkosten angeboten, an einem Stand auch aus der benachbarten Pfalz. Bei „La Pala“ studieren bereits einige das Angebot der unterschiedlichen Flammkuchen, und von Bodo Dörre sind erste Töne seiner „handgemachten“ Musik zu hören. Neu hinzugekommen ist das kulturelle Angebot im Saal des Theaters im Bahnhof. Hier stellt die Dielheimer Künstlerin Elke Weickelt Bilder zum Thema „Tier und Mensch“ aus und das „Urgestein“ des Theaters Friedrich E. Becht rezitiert eigene und fremde Gedichte im Stundentakt zum gleichen Thema.
Der Wettergott meinte es gut mit den Veranstaltern und Besuchern, drückende Schwüle und brennende Sonne lassen nach und schon bald finden sich Männlein und Weiblein gleichermaßen ein, um mit großem Probierglas kleine Schlucke edlen Weines zu verkosten. Beispielsweise ein leichter Auxerrois und ein gehaltvoller Grauer Burgunder, ein Riesling mit feiner Säure und ein schwerer Spätburgunder, auch mit „Pinot Noir“ bezeichnet. Trockene Sekte aus Flaschengärung und mit Hand gerüttelt waren genauso vertreten wie leichte spritzige Seccos, große „Gewächse“, die erst nach einigen Jahren ihr volles Potential entwickeln, genauso wie Trinkweine für jeden Tag und: Traditionell erzeugte Weine genauso wie Neuschöpfungen als Cuvées oder als Barrique-Weine.
Im Saal des Theaters: Eine überdimensionale Maus schaut einem Jungen zu, wie er sich fröhlich im Grünen bewegt, Hund und Katz in Menschenkleidung umarmen sich innig und drei farblose gelangweilte Männer schauen hilflos auf zwei riesige Wespen über ihren Köpfen. Die Rede ist von den mit Acryl auf Holz gemalten Bildern der Dielheimer Künstlerin Elke Weickelt. Auf rund 20 Werken dominiert selten der Mensch, fast immer das Tier, sichtbar an den unwirklichen Größenverhältnissen. Mal stellt das Tier eine Bedrohung dar, mal will es den hilflos wirkenden Menschen beschützen oder gar belehren, nur selten gehen die beiden auf Augenhöhe miteinander um. Dabei fällt auf, dass in den Gesichtern der Tiere durchaus menschliche Gefühle ablesbar sind. Weickelt erklärt auf Nachfrage, dass die überproportional groß gemalten Tiere für die Natur als solche stehen, in der der einzelne Mensch nur eine untergeordnete Rolle spiele. Sie freue sich aber über jede weitere Interpretation von Menschen, die sich für ihre Bilder interessieren.
„Wenn ich die Gesichter rings studiere, frage ich mich oft verzagt: Wie viel Menschen gibt’s und wie viel Tiere? –Und dann hab’ ich – unter uns gesagt – äußerst dumm gefragt.“ Nachzulesen ist dies bei Joachim Ringelnatz in seinem Gedicht „Mensch und Tier“, genauso wie: „Dummer Mensch spricht oft vom dummen Vieh, doch zum Glück versteht das Vieh ihn nie.“ Rezitiert wurde das Gedicht in ganzer Länge von Friedrich Becht, der für seinen Auftritt eine ganze Reihe von Gedichten zusammengestellt und auch eigene beigesteuert hatte. Da geht es um das Lama, das im „Land des weisen Brahmas lebte“ und dem es nicht glückte, „im weiten Bogen zu spucken“. Die Seekuh weidet „stumm auf dem Grund des Ozeans“ und die Weihnachtsgans „liegt tiefgefroren in der Truhe, ohne Kopf, Hals und Gekröse“. „Hinter eines Baumes Rinde wohnt die Made mit dem Kinde“ und „Der Goldfisch glotzt mich an und schwimmt im Kreise“. Ein weiteres Gedicht widmet sich dem Bienensterben, und im Gedicht von Jean de Lafontaine wünschen sich Frösche einen König, weil sie von der Demokratie genug haben. Vom Lama bis zum Regenwurm, von heiter bis besinnlich, von Wortspielen bis zu Knittelversen war ein weiter Bogen gespannt über Tier und Mensch im deutschen Sprachraum – kein einfaches Unterfangen, es soll ja auch die Intension des Urhebers beim Publikum ankommen.
Wieder einmal war „Wein im Bahnhof“ eine Veranstaltung, die Weinliebhaber aus nah und fern anlockte, aber auch Familien und Gruppen, die einen unterhaltsamen und genussvollen Abend verbringen wollten. Vielleicht hätte man die Weinverkostung mit dem kulturellen Beiprogramm einläuten sollen, denn danach fanden nur noch wenige den Weg in die Ausstellung und zum Gedichtvortrag.
Text: Anton Ottmann