In der langen Weinbaugeschichte unserer Heimatgemeinde ist die seit den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts verstärkt einsetzende Mechanisierung eine kurze Etappe. Nur sehr wenige Bewirtschafter größerer Rebflächen setzten frühzeitig auf die für den Weinbau entwickelten Schmalspurtraktoren mit ihren Möglichkeiten für Pflanzenschutz und Bodenbearbeitung.
Für die Mehrzahl der kleinen Erzeuger blieb der Weinbau reine Handarbeit. An Ausrüstung bedurfte es wenig. Im Grunde genügten eine Rebschere, ein Karst und eine Buckelspritze, um die übers Jahr anfallenden Aufgaben zu erledigen – der winterliche Rebschnitt, die Pflege der Laubwand und das Hacken des Bodens ließen sich von der körperliche Anstrengung gewohnten Winzern mit nur wenigen Handwerkzeugen erledigen. Auch der Weg in den Weinberg wurde oftmals ausschließlich zu Fuß zurückgelegt, später erleichterte mitunter ein Kreidler- oder Zündapp-Moped, gerne auch mit einem kleinen Anhänger, den Aufstieg in die teilweise steilen Weinbaulagen.
Schwierig wurde es dagegen bei der Weinlese. Der Abtransport von über einer Tonne Trauben aus einem acht Ar großen Familienweinberg stellte alljährlich eine kaum in Eigenleistung zu bewältigende Aufgabe dar. Man brauchte daher einen Bauern zur Unterstützung. Hatte dieser einen leistungsstarken Traktor mit Anhänger, so verlief die Sache meist problemlos – von den langen Wartezeiten bei der Traubenannahme abgesehen. Über lange Zeit bis in die neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurden auch noch Pferde- und noch früher Ochsengespanne eingesetzt, und dabei kam es in der ohnehin nervlich angespannten Phase der Traubenernte gelegentlich zu Komplikationen.
So erinnert sich der Weingartener Landwirt Klaus Holzmüller an eine Geschichte, in der die an das Fuhrwerk angebundenen Ochsen aus purer Langeweile oder in jugendlichem Übermut den beladenen Anhänger umstießen und die frisch geernteten Trauben wieder eingesammelt werden mussten. Der Weingartener Schreiner und Winzer Willi Hill erzählte gerne von einem Vorfall, bei dem eine Fuhre auf dem Weg vom Weinberg zur zu Hause vorbereiteten Traubenpresse sogar im Walzbach landete und die Arbeit eines ganzen Jahres verloren war. Diese Geschichte ist plausibel, denn nicht immer konnte das Gespann über mehrere Stunden im Weinberg warten, bis die Lese abgeschlossen war. Da auch im Winzerkeller der Zeitplan für die Traubenannahme sehr eng war, suchte man oftmals nach kreativen Lösungen. Besonders Mutige ließen sich vom Bauern den Anhänger in den Weinberg fahren und dort abstellen. Den Heimtransport erledigte die Hangabtriebskraft. Bei diesem riskanten Manöver waren Umsicht und Erfahrung gefragt. Insbesondere dem Bremser, der mittels einer Handkurbel den Bremsbalken gegen die eisenbeschlagenen Räder drückte, kam eine besondere Verantwortung zu, denn die Gesetze der Physik lassen sich selbst bei der Weinlese nicht außer Kraft setzen, und keinesfalls durfte man die Kombination von Schwerkraft und Massenträgheit auf den steilen Wegen in unseren Weinbergen unterschätzen.
Gisela Posselt, die Tochter des Weingartener Landwirts, Fleischbeschauers und Gemeinderats Ewald Gablenz aus der Bruchsaler Straße, durfte als Kind mit ihrem Vater morgens auf dem Wagen in die Weinberge fahren und nach dem Abspannen auf dem Pferd nach Hause reiten. Nachmittags nach der Schule wurden die Wagen mit den Trauben wieder abgeholt. Ewald Gablenz war der vorletzte Weingartener Landwirt, der seine Felder mit einem Pferdegespann bestellte. Darüber hinaus ist er vielen Weingartnern als Kutscher beim Wein- und Straßenfest und bei zahlreichen Hochzeiten bekannt. Auch Gisela Posselt erinnert sich, dass ihrem Vater „mal die Pferde durchgingen“. Er hatte seine Zugtiere mitsamt Wagen in einem Steinbruch im Mauertal abgestellt, um in seinem nahegelegenen Weinberg zu arbeiten. Als er zurückkam, war das Gespann verschwunden. Er fand es wieder in dem Hof neben dem Gasthaus „Zum Goldenen Löwen“. Dort stand das Tor offen, und die Tiere hatten vermutlich auf ihrem rasanten und führerlosen Heimweg den geraden Weg in das Anwesen der Familie Margulski gewählt, um einen Aufprall auf die Ecke der Gastwirtschaft zu vermeiden.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass nur wer nichts macht, auch keine Fehler macht. Die Arbeit mit Zugtieren mag aus heutiger Sicht romantisch erscheinen, sie erforderte gleichzeitig Umsicht und eine ruhige Hand. Gerade was so spielerisch wirkt, ist oftmals das Ergebnis jahrelanger Praxis und Erfahrung. Wir können daher nur mit einem gewissen Respekt auf diejenigen zurückschauen, die trotz der Beschränktheit ihrer Mittel und Möglichkeiten ansehnliche Ergebnisse erzielt haben. (gö)