Im Sallenbusch

Weingarten: Wenn ein Kalb zur Welt kommt

Wenn ein Kalb auf die Welt kommt wie neulich im Sallenbusch, aber nicht raus will, ist der Tierarzt gefragt. Doch wie läuft das ab.
Ein Kälbchen, so schön wie von der Natur erschaffen. Leider müssen spätestens nach sieben Tagen grellgelbe Plastikschilder an den Ohren des Tieres angebracht werden.
Ein Kälbchen, so schön wie von der Natur erschaffen. Leider müssen spätestens nach sieben Tagen grellgelbe Plastikschilder an den Ohren des Tieres angebracht werden.Foto: Matthias Görner

Seit dem vergangenen Freitag hat unser Weingarten einen Einwohner mehr: Gegen 17 Uhr kam im Sallenbusch ein kleines Kalb zur Welt. Die Geburt hatte sich schon Tage vorher angekündigt, das Euter der Kuh war kräftig gewachsen, doch aus unerklärlichen Gründen wollte es nicht so recht vorangehen, bis sich das Verhalten des Muttertiers plötzlich veränderte, die Fruchtblase platzte und sich endlich auch ein kleiner Vorderlauf zeigte.

Eine gute Stunde später hing das noch nicht ganz Neugeborene mit dem Kopf nach unten schreiend und blökend an der Hinterseite der Kuh, und es brauchte noch einen kräftigen Ruck, um es aus dieser misslichen Lage zu befreien und die Kalbung zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen.

Am liebsten ist es einem Landwirt, wenn er frühmorgens in den Stall kommt und das Jungtier die sogenannte Biestmilch aus dem Euter der Mutterkuh saugt. Dann ist das Kalb bereits mit Abwehr- und Nährstoffen versorgt. Leider ist dies nicht immer der Fall, und wenn eine Geburt stecken bleibt, ist tierärztliche Hilfe nötig. Um ein Kalb aus dem Körper der Kuh herauszuziehen, steht dem Veterinär schweres Spezialgerät zur Verfügung, auf das wir an dieser Stelle nicht eingehen möchten. Kündigen sich dagegen Komplikationen bereits im Vorfeld an, so kann auch ein Kaiserschnitt Rettung für Kuh und Kalb bringen.

Blick in die Vergangenheit

Ein wahrer Meister dieser Disziplin war der inzwischen verstorbene Tierarzt Dr. Peter Stegh aus der Weingartener Bahnhofstraße. In der Nachkriegszeit war er zunächst mit dem Fahrrad, später mit dem eigenen Auto auf den örtlichen Betrieben sowie im Sallenbusch und im Sohl unterwegs, um die damals zahlreichen Nutztiere medizinisch zu betreuen. Auch die künstliche Besamung entwickelte sich in dieser Zeit weiter, und damit endete allmählich die kommunale Aufgabe der Vatertierhaltung. Für Dr. med. vet. Stegh gab es in dieser Zeit reichlich zu tun. Allein in der Siedlung Sohl standen in den siebziger Jahren gut hundert Stück Großvieh, im Sallenbusch mindestens die doppelte Zahl, hinzu kamen noch die verbliebenen landwirtschaftlichen Betriebe im Dorf. Die Kastration von Ferkeln, die Trächtigkeitsuntersuchungen und Impfungen waren Tagesgeschäft, ein Kaiserschnitt dagegen ein seltenes Ereignis. Landwirt Klaus Holzmüller erinnert sich an einen solchen Eingriff, bei dem er als Jugendlicher auf einem Nachbarhof „assistieren durfte“:

Schon die Vorbereitungen für die Operation mussten minutiös geplant und durchgeführt, Wasser zum Kochen gebracht, saubere Tücher und Seife bereitgestellt und das Arbeitsumfeld freigeräumt werden. Auch wurden kräftige Arme und Hände gebraucht, um das gut dreißig Kilogramm schwere Kalb nach dem Öffnen der Gebärmutter aus dem Körper des Muttertiers zu heben, also rief man eine genügende Zahl an Verwandten und Nachbarn zusammen. Zunächst musste jedoch die Kuh durch eine Spritze in den Rücken, ungefähr vor dem Schwanzansatz, örtlich betäubt werden. Nach dem Einsetzen deren Wirkung verharrte sie dann bewegungsunfähig an Ort und Stelle. Was dann erfolgte, war keine Mikrochirurgie, sondern harter körperlicher Einsatz und definitiv nichts für schwache Nerven. In einem ersten Schritt wurde das Operationsfeld säuberlich rasiert, daran anschließend arbeitete sich der Chirurg durch die verschiedensten Gewebeschichten, um nach und nach bis zu der Gebärmutter vorzudringen.

Aus einem Notfall wurden zwei

Waren endlich die genaue Position des Kälbchens bestimmt und ein oder zwei Hufe ertastet, so durften alle mitanpacken, um das Jungtier vorsichtig, aber mit einer gewissen Entschlossenheit zu befreien. So waren aus einem tiermedizinischen Notfall plötzlich zwei geworden. Nach der Erstversorgung des Kalbs wurde die Öffnung an der Flanke der Kuh schrittweise wieder zugenäht. Wer jemals zwei Stücke Leder mit Ahle und Faden miteinander verbunden hat, kann erahnen, wie viel Kraft, Erfahrung und Fingerfertigkeit dafür nötig waren. In späteren Jahren wurde diese Arbeit durch den Einsatz von Klammern erleichtert, eine tiermedizinische Meisterleistung war der Kaiserschnitt an einer Mutterkuh jedoch nach wie vor. Kein Wunder, brauchte man nach getaner Arbeit – mindestens einen Schnaps. Leider sind mit dem Rückgang der Nutztierhaltung Veterinäre wie Peter Stegh selten geworden. Dies bedeutet eine weitere Erschwernis für die Arbeit und die Zukunft der Landwirte in unserer Region. (gö)

Erscheinung
exklusiv online
von Redaktion NUSSBAUMRedaktion NUSSBAUM
24.06.2025
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Weingarten (Baden)
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