Es raschelt im Papier im Häuschen. In dem sitzt Finn. Und Finn sollte um diese Zeit wahrlich nicht aktiv sein. Es ist schließlich Nachmittag. Definitiv nicht die Stunde für einen Igel, um die Welt zu erkunden. Diese Welt besteht derzeit aus einer umgebauten IKEA-Box. Finn ist einer der ersten Pfleglinge in der Obhut Elke Pelzers. Die gebürtige Ruhrpottlerin hat kürzlich die Igelhilfe Weinheim ins Leben gerufen. Am 7. April setzt sie einen ersten Post auf Facebook ab: „Wir sind startklar, ab sofort nehmen wir hilfsbedürftige Igel auf.“ „Drei Stunden später hat das Telefon geklingelt“, erinnert sich Pelzer.
Die zierliche Frau mit den dunklen Haaren ist von Haus aus Diplom-Wirtschaftsinformatikerin. Seit 20 Jahren ist sie im Tierschutz tätig, hat selbst drei Katzen zu Hause. Doch nur helfen reicht Pelzer nicht. „Wenn ich etwas mache, dann möchte ich Fachkenntnisse haben“, sagt sie. Also besucht sie Onlineseminare, lernt alles über die Katze samt Physis, Kommunikation, Krankheiten oder auch Hygiene und legt eine Prüfung ab nach Artikel 11 des Tierschutzgesetzes. Was sie aus Liebe zu Katzen macht, lässt sie später für Hunde folgen. Wie kommt sie aber zu Igeln? „Ich habe eine Freundin in Philippsburg, die eine Station hat“, sagt Elke Pelzer. Diese Freundin habe sie gefragt, ob sie eine Igel-Dame zum Überwintern aufnehmen würde. Pelzer sagt zu. Mit Ronja hat sie ihren ersten Pflegling. Es folgten weitere. Und damit kommt der Gedanke der Igelhilfe.
Während Pelzer erzählt, streckt Finn seine Nase aus dem Haus. Er trippelt noch ein paar Schritte weiter heraus. Der Jungigel, der vermutlich im vergangenen Spätsommer geboren wurde, stammt von einer Futterstelle in Ladenburg, bringt Husten mit und Untergewicht. Mit etwas mehr als 500 Gramm ist er in Pelzers Unterlagen notiert. Dass er nun so tagaktiv ist, gefällt seiner Pflegemama nicht. Wie es sein sollte, ist in der danebenstehenden Box zu sehen. Hier liegt Roger. Eine Kugel im Schlaf. Er wurde auf einer Straße zwischen Ladenburg und Schriesheim mit blutigem Nasenauslauf aufgegriffen. Der Besuch bei der Tierärztin zeigt keine schlimmeren Verletzungen. Pelzer beobachtet ihn, um sicherzugehen, dass sie – wenn es so weit ist – ein gesundes Tier wieder in die Freiheit entlässt.
„Es ist gut, wenn Igel nach maximal 14 Tagen wieder in ihre Umgebung können“, sagt Pelzer auf die Verweildauer bei sich angesprochen. Sie werde Tiere nie länger als nötig beherbergen, schiebt sie nach. Ohnehin hat sie nur sieben Plätze. Und Igelhilfen sind stark gefragt. Gerade jetzt im April; der Zeit, in der Igel ihren Winterschlaf beenden. Pelzer hat mit ihren jetzigen Pfleglingen in weniger als zwei Wochen das Trio voll. Maja, die als Erstes zu ihr kam, hat es nicht geschafft. Auf dem Tisch der Igelhilfe sei sie nach dem Tierarztbesuch gestorben. „Das gehört dazu“, weiß Pelzer.
Mit der Auffangstation hat der Tag der leidenschaftlichen Tierschützerin eine neue Struktur. Die beginnt morgens mit dem Wiegen der Tiere, dem Reinigen und Auffüllen der Boxen und später dem Füttern mit hochwertigem Katzendosenfutter, Rührei und Vitaminpräparaten, dazu benötigte Medikamente. Es ist ein Rundumservice, den Finn und Roger erhalten. Das alles bezahlt Elke Pelzer aus der Privatkasse. Ebenso die Tierarztbesuche. Sie macht es gern. „Wenn ich helfen kann, ist das schön“, sagt sie.
Was sie aber umtreibt, sind Fragen, die sich viele zu Beginn einer neuen Tätigkeit stellen. Etwa die Frage: Wie wird es werden? Die Informatikerin in ihr hat eine sehr rationale Sicht: „Es ist wie mit allem: Man wächst rein.“ Und so lässt sie es auf sich zukommen, wie sie sagt. Das Rationale ist übrigens schnell vergessen im Umgang mit ihren Schützlingen. Die werden mit viel Zuneigung und Ansprache überschüttet. Offensichtlich mit Erfolg. „Mittlerweile mag er mich ein bisschen“, lacht sie, den Blick auf Igel Roger gerichtet. Der schläft noch immer. Finn aber stromert in seinem Kasten hin und her. Er habe Hunger, sagt Pelzer. Und dann wird das Herz der Pflegemama weich und sie greift zur Katzenfutterdose. Essenszeit ist eigentlich erst in einigen Stunden. Doch einem hungrigen Kerlchen die Zwischenmahlzeit verweigern – das will und kann sie nicht.
Wenn Finn auskuriert ist, wird er wieder an seiner Futterstelle ausgesetzt. „Igel sind ihrem Standort treu“, sagt Pelzer. Zumindest in einem gewissen Radius. Das zeigt sich im Gehege in Pelzers Garten. Das ist seit einigen Tagen unbewohnt. Igel-Dame Ronja, das erste Pflegekind, hat sich auf den Weg in die Umgebung gemacht. Dieser Abschied war nicht ganz leicht, gesteht Pelzer. Doch vielleicht gibt es bald einen Nachfolger. Denn Roger kann nicht in sein Revier im Nirgendwo zurück. Er müsse noch beobachtet und vor allem gefüttert werden in den Tagen nach seinem Aufenthalt bei der Igelhilfe. „Ich suche für ihn jetzt eine Unterkunft“, sagt Pelzer noch zu Beginn des Gesprächs. Später geht es um Ronja und ein leeres Gehege. Und Roger, der eine Heimat braucht. „Ich fürchte es fast“, sagt Elke Pelzer in Gedanken an ihren heimischen Garten. Und lacht.
Interessierte können auf der gleichnamigen Facebook-Seite die Arbeit der Igelhilfe Weinheim verfolgen. Wer indes einen Igel findet, der Hilfe benötigt, meldet sich per WhatsApp, Tel. 01511 2388120, oder Messenger bei Elke Pelzer. (cs)