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„Wenn ich nach Hause komme“

Eine besondere Lesung erwartete die mehr als 40 interessierte Zuhörer/innen am vergangenen Freitag im Foyer des Rathauses. Anton Knittel, Leiter des...
Foto: E. Schenek

Eine besondere Lesung erwartete die mehr als 40 interessierte Zuhörer/innen am vergangenen Freitag im Foyer des Rathauses. Anton Knittel, Leiter des Literaturhauses Heilbronn stellte Gedichte und Prosa des in Heilbronn geborenen Ernst S. Steffen vor, dessen Texte hauptsächlich im Gefängnis entstanden sind. „Wenn ich nach Hause komme“ heißt das neu aufgelegte Buch mit einer Einleitung und einem Nachwort von Anton Knittel. Er hat viel über den ehemaligen Häftling recherchiert und erinnerte die Anwesenden auf beeindruckende Weise an den traurigen Werdegang des nahezu vergessenen Autors.

Ernst S. Steffen formulierte in seinen Gedichten existenzielle Fragen. Er suchte vergeblich Halt und einen Platz in der Gesellschaft. „Ich werde nicht nach Hause kommen. So wird es sein, wenn ich nach Hause komme.“ Auch aus der letzten Zeile seines Gedichts „Heimkehr“ spricht viel Trauer, verlorener Glauben, schwindendes Vertrauen. Die ergreifenden Texte, die wir an diesem Abend hörten – sie berührten ebenso tief wie Ernst S. Steffens unglücklich verlaufendes Leben, das er vorwiegend in Heimen und in Gefängnissen verbrachte.

Ernst S. Steffen wurde am 15.6.1936 in Böckingen als unehelicher Sohn von Frieda Diebold und Ernst Christian Steffen geboren. 1938 heirateten die Eltern, 1954 wurden sie geschieden. Steffen war viel auf sich alleine gestellt und wurde bereits als 11-Jähriger bei den Behörden aktenkundig. Sein kriegstraumatisierter, alkoholkranker Vater neigte zu häufigen Gewaltexzessen. Im Anschluss eines Krankenhausaufenthaltes kam der 12-jährige Steffen in eine Pflegeanstalt. Nach einer „kriminalbiologischen Untersuchung“, angeordnet durch den ehemaligen NS-Psychiater Eyrich, bestanden große Zweifel an Steffens charakterlichen Qualitäten. Immer wieder geriet Ernst S. Steffen in die Mühlen der Justiz, war nie lange in Freiheit. Es gelang ihm nicht, außerhalb der Gefängniszellen Fuß zu fassen. 1962 landete er in der Strafanstalt Bruchsal. Dort bot Gefängnisassessor Rolf Zelter Schreib- und Filmzirkel für die Häftlinge an und entdeckte Steffens Schreibtalent. Zelter führte ihn an die moderne Dichtung heran und machte den Autor öffentlich bekannt.

Seine Hoffnung anzukommen, äußert Ernst S. Steffen auch gegenüber Siegfried Unseld, Verleger des Suhrkamp-Verlages, ein Vetter seiner Mutter und Namensgeber seines zweiten Vornamens. Der Schriftwechsel zwischen Unseld und Steffen befindet sich heute im deutschen Literaturmuseum in Marbach.

Die deutsche Schriftstellerin Hilde Domin (1909 – 2006), würdigte Steffens Lyrik. Sein Gedichtband „Lebenslänglich auf Raten“ war zuvor (1969) herausgekommen. Weitere Autoren, wie z.B. Günter Grass und Martin Walser wurden auf Steffen aufmerksam. Die Schriftstellerin Rosemarie Bronikowski (1922 – 2016) nahm Ernst S. Steffen Ende der 1960-er Jahre in ihre Familie auf. Für Tochter Sybille war Steffen wie ein Bruder. Ihr Lieblingsgedicht „Komm lass’ uns Steine brechen, statt des Brots …“ ist eines der bisher unveröffentlichten Gedichte Steffens. 1967 wurde er aufgrund eines Gnadengesuchs vorzeitig aus der Haft entlassen.

Am 10. Dezember 1970 starb Ernst S. Steffen mit 34 Jahren an den Folgen eines Autounfalls.

Die Biografie Steffens und seine zu Herzen gehenden Gedichte beschäftigten die Zuhörer auch nach der Lesung noch. Bei Sekt, kleinen Knabbereien und netten Gesprächen konnte der sehr ergreifende Abend ausklingen.

Herzlichen Dank an die zahlreichen Besucher für ihr Interesse an dieser Veranstaltung sowie an Herrn Knittel für die packende Beschreibung des Buches und des Autors. Unser großer Dank geht auch an Bürgermeister Alexander Krüger für die Bereitstellung der Räumlichkeiten und dem notwendigen Inventar und, nicht zuletzt, unserem großartigen Büchereiteam, Anja Grotzer-Sauer und Adela Pflug für die tolle Unterstützung.

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