Eine mutige Tat

Wie Hildegard Ernst 1945 Unteröwisheim rettete

Mit ihrem Mut hat Hildegard Ernst 1945 viele Menschenleben in Unteröwisheim gerettet und einen Fliegerangriff auf den Ort verhindert.
Evangelische Kirche in Unteröwisheim
Evangelische Kirche in UnteröwisheimFoto: hjo

Am 8. Mai 1945 endet der Zweite Weltkrieg in Europa durch die vollständige Kapitulation der deutschen Wehrmacht. Ende März 1945, als die alliierten Truppen schon weite Teile Deutschlands eingenommen hatten, rückte auch das damals von rund 1500 Menschen bewohnte Unteröwisheim (heute ein Stadtteil Kraichtals) in den Fokus, denn auch hier stand der Einmarsch der Soldaten kurz bevor.

Verschiedene Informationsquellen hatten berichtet, dass die Amerikaner bereits den Rhein überquert und sich weiter in Richtung Westen bewegen würden. Die deutsche Verteidigung versuchte, in den Kraichgauorten in einer nahezu aussichtslosen Abwehrschlacht die Stellung zu halten. Soldaten der Wehrmacht hatten Schützengräben ausgehoben, um die gegnerischen Kräfte zu stoppen. Im Radio, dem damaligen „Volksempfänger“, hörte man von der anrückenden Front und von schweren Kämpfen am „Tor zum Kraichgau“.

Hildegard Ernst rettete in Unteröwisheim viele Leben.
Hildegard Ernst rettete in Unteröwisheim viele Leben.Foto: privat

Eine mutige Tat einer jungen Frau

Bereits am 1. März war die Stadt Bruchsal von einem verheerenden Bombenangriff der Amerikaner, der 40 Minuten dauerte und bei dem 80 Prozent der Innenstadt zerstört wurde, getroffen. Über 1000 Menschen hatten ihr Leben verloren. Dank der mutigen Tat der damals 21-jährigen Hildegard Ernst (nach ihrer Heirat Höpfinger) sollte es vier Wochen später in Unteröwisheim nicht so weit kommen. Der Ort stand unter deutscher Kommandantur und Soldaten bereiteten sich auf den Ansturm vor. Am 2. April, es war Ostermontag, begann der Angriff.

Nachdem bereits die ersten Geschosse großen Schaden angerichtet und die Alliierten Häuser und Scheunen in Brand gesetzt hatten, versuchten die verzweifelten Menschen ihr Vieh aus den Ställen zu retten und ihre Habseligkeiten zu bergen. Hildegard Ernst, die an diesem Tag zur Heldin von Unteröwisheim werden sollte, hatte beobachtet, wie der damalige Bürgermeister August Gromer einen deutschen Offizier aufforderte, den Kampf aufgrund der nahezu aussichtslosen Lage einzustellen. Trotz gegenseitigen Befehls der Heeresleitung hatte sich der Kommandeur darauf eingelassen und „keine Gegenwehr“ befohlen.
Dazu muss man wissen, dass man zu dieser Zeit eine solche Missachtung als Hochverrat betrachtete und mit den „Verrätern“ meist kurzen Prozess gemacht wurde. In Mannheim, so erzählen es Geschichtsbücher, waren nur wenige Tage zuvor drei Männer erschossen worden, weil sie an einem Gebäude die weiße Fahne gehisst hatten.

Diese Gedenk- und Hinweistafel wurde an der evangelischen Kreuzkirche in Unteröwisheim angebracht.
Diese Gedenk- und Hinweistafel wurde an der evangelischen Kreuzkirche in Unteröwisheim angebracht.Foto: hjo

Eine Frau fasste den Mut

Auch in Unteröwisheim hatte der Offizier sein Leben riskiert und auch hier sollte nach dem Willen der Verteidiger die weiße Fahne hängen. Am besten gut sichtbar hoch oben am Kirchturm in Richtung Westen. Doch wer hatte den Mut, unter heftigem Beschuss „des Feindes“ den Turm der evangelischen Kreuzkirche zu besteigen, um ein weißes Leintuch aufzuhängen? Keiner konnte sich für das gefährliche Vorhaben erwärmen. „Wenn niemand da ist, mache ich es“, soll Hildegard Ernst, eine fitte Sportlerin und damals gute Turnerin, gesagt haben.

In den Aufzeichnungen von Karl-Heinz Glaser, Vorsitzender des Heimat- und Museumsvereins Kraichtal, steht zu lesen, dass die mutige junge Frau nur getan hatte, „was getan werden musste“. Also besorgte sie sich eine Bohnenstange und ein Leintuch und befestigte das Tuch – international gebräuchliches Zeichen des Ergebens - unter heftigem Beschuss an einem Schallladen des 41 Meter hohen Glockenturms.

Hildegard Ernst hatte von oben beobachten, wie am Ortseingang bereits erste Soldaten auftauchten und sich amerikanische Panzer in Stellung brachten, da sie vom Unteröwisheimer Bahnhof aus von den Deutschen unter Feuer genommen wurden. Als man die Fahne gut sehen konnte, ließen die Kampfhandlungen nach.

Größere Zerstörung verhindert

Wie später zu erfahren war, sollte noch an diesem Tag der Ort aus der Luft bombardiert werden. Eine schnelle und unblutige Tat hatte einen Fliegerangriff und eine weit größere Zerstörung des Ortes verhindert. Weniger Glück hatte Menzingen (auch heute ein Kraichtaler Stadtteil), denn nur wenige Stunden später ging der Ort im Bombenhagel amerikanischer Tiefflieger in Flammen auf. Im fast vollständig zerstörten Menzinger Wasserschloss verbrannten dabei Museumsgegenstände aus Heidelberg, die man zu deren Schutz im Kraichgauer Dorf ausgelagert hatte. Festgehalten ist auch, dass bei der „Schlacht von Unteröwisheim“ trotzdem auf beiden Seiten hohe Verluste zu beklagen waren.

Es sollen bei den Gefechten jeweils etwa 30 amerikanische und deutsche Soldaten sowie Einwohner gefallen sein. Hildegard Höpfinger, geborene Ernst, die am 24. November 1933 in Unteröwisheim geboren wurde und am 1. Januar 1993 verstarb, bekam nach ihrer Heirat mit Heinz Höpfinger zwei Söhne und war eine anerkannte Persönlichkeit im Ort. Sie erhielt später die Ehrenbürgerwürde der damaligen Stadtgemeinde Unteröwisheim.

Am 2. April 2025, dem 80. Jahrestag des Ereignisses, wurde an der evangelischen Kreuzkirche in der Ortsmitte vom Heimat- und Museumsverein Kraichtal eine Gedenktafel angebracht und mit einem anschließenden Gedenkgottesdienst zudem an die mutige Tat der jungen Frau erinnert. „Der Gottesdienst ist gleichzeitig eine Mahnung, wie wichtig Zivilcourage und das Bemühen um Frieden ist, gerade in unserer heutigen Zeit“, so der einheimische Pfarrer Gunter Hauser, der viele Jahre in Bretten gewirkt hatte.

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exklusiv online
von red/Quelle: hjo
23.05.2025
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