Vortrag von Prof. Dr. Thomas Schnabel, dem langjährigen Leiter des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg, am 12. November 2024
Am 12. November 2024 hielt Prof. Dr. Thomas Schnabel in der bis auf den letzten Platz besetzten Pachthofscheuer in Ernsbach einen Vortrag mit dem Titel „Hohenlohe und der Nationalsozialismus – Eine notwendige Auseinandersetzung“. Rund 150 Interessierte lauschten gebannt den Worten des Heilbronner Historikers, der die erfreulich hohe Teilnehmerzahl dahingehend kommentierte, dass sich der Untertitel des Vortrags vollkommen bestätigt habe, denn ganz offensichtlich verspürten viele Menschen in Hohenlohe das Bedürfnis nach einer Auseinandersetzung mit diesem schwierigen Thema.
Als besondere Ehrengäste waren anwesend der hohenlohische Landtagsabgeordnete Arnulf von Eyb MdL (CDU) sowie Renate S. Deck, die Begründerin der Weiße Rose-Gedenkstätte in Forchtenberg, die sie zusammen mit ihrem Mann bis heute betreut. Auch mehrere Kreisräte sowie ehemalige und aktuelle Bürgermeister aus dem Hohenlohekreis kamen zur Veranstaltung.
Der Forchtenberger Bürgermeister Michael Foss begrüßte in seiner Funktion als Vorsitzender des Vereins „Sophie Scholl in Forchtenberg – Gedenken und Erinnern im Hohenlohekreis“, der die Veranstaltung organisiert hatte, das Publikum und ging in kurzen Worten auf die Entstehungsgeschichte des Vereins ein, der 2021 anlässlich des 100. Geburtstags der in Forchtenberg geborenen Widerstandskämpferin Sophie Scholl gegründet wurde. Zu den Aufgaben des Vereins zählt neben der finanziellen Unterstützung der Weiße Rose-Gedenkstätte auch die Förderung der historischen Bildungsarbeit zum Thema Nationalsozialismus. Der Vortrag von Prof. Schnabel stellte in diesem Rahmen die zweite Veranstaltung dar.
Anschließend sprach Landrat Ian Schölzel als zweiter Vorsitzender des Sophie-Scholl-Vereins eine kurze Begrüßung. Er ging unter anderem auf die noch immer – vor allem in Bezug auf die lokalen Strukturen und Akteure – mangelhafte Aufarbeitung der NS-Zeit in Hohenlohe ein. Nach seinen Worten sei die Beschäftigung mit der NS-Geschichte nicht allein auf die Vergangenheit, sondern gerade angesichts heutiger Angriffe auf die Demokratie auch auf Gegenwart und Zukunft ausgerichtet. Diesen Gedanken, dass man aus der NS-Vergangenheit durchaus etwas für den Umgang mit heutigen Problemen lernen könne, griff später auch Prof. Schnabel in seinem Vortrag und der folgenden Diskussionsrunde noch einmal auf.
Nach einer kurzen Vorstellung des Referenten durch Kreisarchivar Dr. Thomas Kreutzer ergriff Prof. Schnabel, der das Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart von dessen Anfängen bis zu seinem Ruhestand 29 Jahre lang geleitet hatte, das Wort. Im Folgenden weitete er den Betrachtungshorizont deutlich über die 12 Jahre währende Zeit des NS-Regimes hinaus, indem er die Bedingungen vor Augen führte, unter denen Hohenlohe später zu einer „Hochburg der Nationalsozialisten“ in Württemberg werden konnte. Unterfüttert mit zahlreichen Statistiken zu Wirtschaft, Demografie und Wahlen, stets in Relation zu den Verhältnissen in Württemberg und im Deutschen Reich, beschrieb er Hohenlohe im frühen 20. Jahrhundert als bäuerliche, kaum industrialisierte und von Auswanderung geprägte Region. In der Weimarer Republik war der konservative Württembergische Bauern- und Weingärtnerbund politisch vorherrschend, was es den Nationalsozialisten anfangs schwermachte, hier Fuß zu fassen.
Vor allem die in der jüngeren Generation wachsende Unzufriedenheit in der Bauernschaft sorgte für verstärkten Zulauf zur NSDAP, die erstmals bei den Reichstagswahlen im Juli 1932 in sehr vielen Orten Hohenlohes die meisten Stimmen, zum Teil auch schon die absolute Mehrheit, erhielt. Als besonders bemerkenswert stellte Prof. Schnabel dabei die konfessionellen Unterschiede heraus, denn die NSDAP setzte sich vor allem in den protestantisch geprägten Orten auf breiter Front durch, während die Bewohner der katholischen Orte, z.B. im Jagsttal, den Nazis nichts abgewinnen konnten und fast durchweg die Zentrumspartei wählten.
Als „Ironie“ der Geschichte bezeichnete es der Referent, dass die Hoffnungen der hohenlohischen NSDAP-Wähler auf einen wirtschaftlichen Aufschwung, die sie mit dem Aufstieg Hitlers zum Reichskanzler verbunden hatten, herb enttäuscht wurden. Alle Wirtschaftskraft wurde in die Aufrüstung gesteckt, von der ländliche Regionen mangels Industrie nicht profitieren konnten. Aufrechterhalten wurde die heimische Wirtschaft, auch die Landwirtschaft, vor allem durch den massiven Einsatz von Zwangsarbeitern aus den besetzten Gebieten. Hohenlohe blieb bis in die Nachkriegszeit hinein Notstandsgebiet. Schlimmer noch, aufgrund der Verbohrtheit der politischen und militärischen Führung, die den längst verlorenen Krieg nicht beenden wollte, wurde Hohenlohe in den letzten Wochen und Monaten des Zweiten Weltkriegs zum Kriegsschauplatz, der zu Zerstörungen und Tausenden Todesopfern führte.
Massenhaft Opfer des NS-Terrors wurden auch in Hohenlohe die Angehörigen der aus rassistischen und politischen Gründen verfolgten Bevölkerungsgruppen, wie Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, Behinderte und Regime-Gegner. Zu den „ersten jüdischen Pogromopfern in Deutschland“ zählten Hermann Stern und Arnold Rosenfeld, die im März 1933 an den Folgen von Misshandlungen durch SA-Schläger im hohenlohischen Creglingen starben.
Anschließend schilderte Prof. Schnabel die mangelhafte und stockende Aufarbeitung des NS-Terrors durch die bundesdeutschen Gerichte, aber auch insgesamt innerhalb der Nachkriegsgesellschaft. Letzteres brachte er damit in Verbindung, dass im Zuge der Entnazifizierung echte Verbrecher häufig allzu gnädig behandelt wurden, während viele kleine Mitläufer zur Rechenschaft gezogen wurden. Viele Täter konnten nach einer gewissen Übergangszeit unbehelligt in ein normales Leben zurückkehren. Nicht nur, aber auch in Hohenlohe kam es bisweilen vor, dass der frühere, von der Besatzungsmacht entfernte NS-Bürgermeister später von den Bürgern wieder ins Amt gewählt wurde.
Der facettenreiche Abend, der allerhand Stoff zum Nachdenken bot, endete nach einer ausführlichen Frage- und Diskussionsrunde, in der Prof. Schnabel eindringliche Worte zur Verteidigung unserer demokratischen Grundordnung gegenüber politischem Extremismus fand, mit spontanen Dankesworten von Arnulf von Eyb MdL an den Referenten für seinen Vortrag und an die Zuhörerschaft für ihr Interesse.