Musik

//Wogen der Begeisterung beim Konzertabend mit Heinz Rudolf Kunze//

Lieder und Texte beleuchten Autobiografisches, Liebe und gesellschaftliche Missstände Fast alle kennen seine Lieder, aber nicht jeder kennt Heinz Rudolf...
Mann und Gitarre
Akustik-Gitarre, Hornbrille und Schal gehören zu den Markenzeichen des Rockpoeten Heinz Rudolf Kunze.Foto: Karin Ferenbach

Lieder und Texte beleuchten Autobiografisches, Liebe und gesellschaftliche Missstände

Fast alle kennen seine Lieder, aber nicht jeder kennt Heinz Rudolf Kunze. Titel wie „Dein ist mein ganzes Herz“, die eingedeutschte Coverversion des „Kinks“-Hits „Lola“, „Leg nicht auf“ oder „Finden Sie Mabel“ werden mit ihm unweigerlich in Verbindung gebracht und haben die Geschichte des Deutschrocks und den Soundtrack einer ganzen Generation mitgeprägt. Auch bei seinem erstmaligen Gastspiel im Königlichen Kurtheater lässt Kunze diese Klassiker aus 44 Jahren Musikgeschäft und 47 Alben nicht aus. Er gibt sie gegen Ende seines zweieinhalbstündigen Nonstop-Konzertes unter dem Titel „Das sagt der Richtige“ zum Besten, und das Publikum im ausverkauften Haus singt begeistert mit. Doch der 1956 im Lager Espelkamp bei Minden geborene Sohn von Flüchtlingen ist nicht nur Musiker: Er hat Germanistik und Philosophie auf Lehramt studiert, Theaterstücke übersetzt, Tausende Texte und sogar Romane verfasst, mit seinem langjährigen Freund und Kreativpartner Heiner Lürig auch drei Musicals frei nach Shakespeare-Stücken geschrieben und ist bekannt für eine kompromisslose Liebe zur deutschen Sprache. Letztere durchzieht den ganzen Abend in Form von Gedichten und Anekdoten aus seinem Leben.

Zentrale Themen des Lebens kommen zur Sprache

In seinem Solokonzert wechselt der im schwarzen Anzug mit weißem Schal gekleidete Rockpoet mehrmals von der Gitarre zum Klavier, vom gesprochenen Text zu wortgewaltigen Liedern mit Tiefgang. Getragen von seiner markanten, durchdringenden Stimme, behandelt Kunze in seinen Songs zentrale Themen des Lebens wie Liebe, Alter, Vergänglichkeit, Herkunft, Krieg und Tod – mal wütend-aufbrausend, mal melancholisch, aber stets persönlich und sehr nuanciert. Gleichzeitig reflektiert er den Zustand der Gesellschaft und politische Entwicklungen mit einem zunehmenden Vertrauensverlust in Regierungen und Institutionen und verbindet Autobiografisches mit gesellschaftlichen Beobachtungen. Er spart nicht mit persönlichen Einblicken in Körper und Seele, „Spuren von biografischer Wahrheit“, wie er selbst sagt. Etwa, wenn er zu Beginn seinen aktuellen physischen Zustand von den Haaren bis zu den Füßen beleuchtet oder im weiteren Verlauf sein „Profil“ mit buchstäblich für sich vereinnahmten Titulierungen beschreibt, die seine Vorlieben widerspiegeln. In „Du musst besser sein, Brille“ thematisiert Kunze – in Anspielung auf seine eigene, markante Hornbrille – die Kritik an gesellschaftlichen Zwängen und dem Druck, immer besser sein zu müssen. Dieser Druck führte ihn (nach dem Abitur) schließlich über den „Notausgang für’n kluges Kind“ zur geliebten Musik.

Anti-Kriegs- und Liebeslieder

Einer ganz persönlichen Interpretation von in seinen Augen viel zu oft missbrauchten Begriffen wie „Respekt“ oder „sein Land lieben“ gibt er ebenfalls Raum und fordert zu einer differenzierten, anstatt pauschalen Verwendung auf. Mit seinem Lied „Igor aus Sankt Petersburg“ gelingt Kunze ein aufwühlendes Anti-Kriegslied, in dem er die wiederkehrende Monstrosität des Krieges und die Instrumentalisierung von Menschen, insbesondere jungen Männern, durch diktatorische Staatslenker offenlegt. Seine Liebeslieder wie „Ich hab’s versucht“ und „Du wirst kleiner, wenn du weinst“ sind einfühlsame und ehrliche Auseinandersetzungen mit diesem Thema, die nicht idealisieren, sondern authentisch und vielschichtig erzählen. So handeln sie auch von Missverständnissen in der Partnerschaft und deren Konsequenzen, bis zur Trennung in „Ich gehe meine eigenen Wege“ und dem Wiederfinden in „Nimm mit mir vorlieb“. Kunze lebt mit seiner zweiten Ehefrau Gabi in der Wedemark bei Hannover. Der erstmals gespielte Song seines neuesten Albums, „Besuch mich Marie", klingt wie eine späte Fortsetzung von Kunzes Klassiker "Dein ist mein ganzes Herz". Es ist ein Lied über Liebe, die immer noch existiert, auch wenn die Protagonisten älter und vom Leben gezeichnet sind.

Überbordende Produktivität

Hoffnung machen die Lyrics in „Die Dunkelheit hat nicht das letzte Wort“, mit welchen er aufruft, „Hand in Hand der teuflischen Versuchung zu widerstehen, zu herrschen und zu hassen. Uns hilft nur mehr Verstand, um ohne Tunnelblick das Licht zu sehen“. Die familiäre Atmosphäre des Kurtheaters lässt die Nahbarkeit und scheinbar unerschütterliche Menschenfreundlichkeit des Ausnahmekünstlers, die Doppeldeutigkeit seiner feinsinnigen Texte sowie die Gefühlswelten seiner poetischen und mit Metaphern gespickten Bildsprache noch greifbarer werden. Sehr eindrucksvoll imitiert Kunze in seiner skurrilen „Norwegischen Romanze“ eine Frauenstimme, die sich mit ihrem männlichen Gesprächspartner nicht einig werden kann, ob dieser „aufs Wasser gehen soll oder nicht“. Seine überbordende Produktivität folgt klaren Regeln und ist weit entfernt von jeglichem Einfluss Künstlicher Intelligenz. Jedes Wort, jeder Ton oder Akkord scheint wohlüberlegt, bewusst gesetzt und aufeinander abgestimmt. Wo erforderlich, werden Silben gedehnt, mit Glissandi, Blues-Rhythmen und Percussion-Effekten schöne Akzente gesetzt. Auch die Mundharmonika kommt zum Einsatz, wenngleich sich Kunze über das dilettantische Gestell, welches er mit einer Zahnspange von Hannibal Lecter vergleicht, noch immer aufregt. In „Aller Herren Länder“ lässt er mit bluesig-rockigem Sound von Gitarre und Mundorgel aufhorchen und gibt so richtig Vollgas. Zur letzten von zwei Zugaben setzt sich Kunze nochmals ans Klavier, um sich mit einem nur von der Mundharmonika unterbrochenen A-cappella-Stück und „Du mein Rückenwind“ vom begeisterten Publikum zu verabschieden. Darunter auch ein Ehepaar aus Darmstadt, das mit dem Konzertbesuch ein Wellness-Wochenende in Bad Wildbad verbindet und von der Bäderstadt und ihren Möglichkeiten sehr angetan ist. Am Ende gibt es stürmischen Beifall für einen Künstler, der Haltung zeigt, Fragen stellt und dennoch bestens unterhält – mit ganz viel Herz und Verstand. (kf)

Mann spielt Klavier
Erweisen sich als kongeniale (Klang-)Partner bei der Interpretation der tiefgründigen Lieder: Heinz Rudolf Kunze und der Kawai-Flügel des Kurtheaters.Foto: Karin Ferenbach
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exklusiv online
von Stadt Bad WildbadRedaktion NUSSBAUM
15.09.2025
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