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Wohnraumpotenzial-Erfassung – mit welchem Ziel?

In der Gemeinderatssitzung am 24.06.2025 wird ein gemeinsam von Bündnis 90/Die Grünen, SPD und Die Linke eingebrachter Antrag zur Wohnraumpotenzial-Erfassung...
Freie Wähler Dossenheim
Freie Wähler DossenheimFoto: Raoul Schulz

In der Gemeinderatssitzung am 24.06.2025 wird ein gemeinsam von Bündnis 90/Die Grünen, SPD und Die Linke eingebrachter Antrag zur Wohnraumpotenzial-Erfassung behandelt werden.

Ziel dieser Erfassung soll es sein, eine fundierte Grundlage zu erarbeiten, „um gezielt Maßnahmen zur Aktivierung leerstehender oder untergenutzter Gebäude und Wohnungen einzuleiten.“ Konkret geht es also zum einen darum, Leerstand zu vermindern.

Bzgl. „untergenutzter Gebäude und Wohnungen“ kann man darunter nach unserem Verständnis sowohl bisher nicht für Wohnraum genutzte Räumlichkeiten (z. B. nicht ausgebaute Dachgeschosse oder ehemals gewerblich genutzte Räume) als auch ein (von wem?) als unpassend definiertes Verhältnis von Wohnfläche zur Anzahl Bewohner verstehen. Was ist damit gemeint? Ist es die 100-qm-Wohnung für zwei Personen, die mittlerweile im Home-Office arbeiten und dafür Arbeitsräumlichkeiten benötigen, oder ist es das Einfamilienhaus des Rentnerehepaares, das nach dem Auszug der Kinder in seinem gewohnten Zuhause gemeinsam alt werden möchte?

Mit diesen Maßnahmen soll die Nachfrage nach Wohnraum auch ohne weitere Ausweisung von Bauflächen befriedigt werden. Denn nicht nur die Ausweisung von Neubaugebieten ist für Teile der Bevölkerung und der Politik ein rotes Tuch, auch die Alternative der sog. „Lückenbebauung“ verliert angesichts des damit verbundenen Wegfalls von Frei- und Grünflächen gerade auch in Verbindung mit dem Klimawandel zunehmend ihren Reiz.

Angesichts der Tatsache, dass Dossenheim bereits die Einwohnerzahl erreicht hat, für die die Infrastruktur der Gemeinde aktuell ausgelegt ist, und eine weitere Erhöhung früher oder später entsprechende Investitionen nach sich ziehen wird, kann man sich durchaus die Frage stellen, ob es überhaupt wünschenswert ist, Maßnahmen zur Erhöhung der Einwohnerzahl zu ergreifen. Dies mag nach einer egoistischen „Das Boot ist voll“-Mentalität klingen, aber angesichts der Tatsache, dass die Gemeinde bereits mit den aktuellen und anstehenden Investitionen zum Erhalt der bestehenden Infrastruktur an ihre finanzielle Belastungsgrenze gelangt, dürfen auch solche grundsätzlichen Fragestellungen nicht ausgeklammert werden.

Es stellt sich auch die Frage, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass von Teilen des Gemeinderats die Notwendigkeit für einen solchen Antrag gesehen wird. Einerseits ist es – wie nicht zuletzt die langjährige Diskussion um das „Augustenbühl“ gezeigt hat – in weiten Teilen der Bevölkerung und Politik grundsätzlich nicht mehr gewünscht, bisherige Freiflächen in Baugebiet umzuwandeln. Die Argumente hierfür sind durchaus unterschiedlich und reichen vom Schutz der Natur über den Erhalt von Naherholungsgebieten bis zur Bewahrung landwirtschaftlicher Flächen für die Nahrungsmittelproduktion. Hinzu kommen seit Jahrzehnten stark steigende Baukosten, die zum erheblichen Teil auf gestiegene Rohstoff- und Energiepreise sowie Arbeitskosten, zum großen Teil aber auch auf ständig neue und schärfere Bauvorschriften (Wärmedämmung, Heizungssystemen, Schallschutz, Brandschutz usw.) zurückzuführen sind. Damit in Verbindung stehen bürokratische Genehmigungsverfahren, Nachweise, Gutachten usw. Die meisten dieser Faktoren sind ganz oder teilweise auf entsprechende politische Entscheidungen zurückzuführen. Auch wenn einzelne Maßnahmen für sich betrachtet durchaus mit bester Absicht erdacht und sinnvoll erscheinen mögen, so wirken sie in ihrer Summe in Hinblick auf die Schaffung von verfügbarem und bezahlbarem Wohnraum als fehlgeleitete Politik, die die Bautätigkeit zunehmend abgewürgt hat und einen großen Teil der Bevölkerung zunehmend von der Möglichkeit des Erwerbs von Immobilieneigentum ausschließt. Somit verbleiben weite Teile der Bevölkerung zeitlebens in einem Mietverhältnis und müssen auch hierbei immer größere Teile ihres Einkommens für Mietzahlungen aufwenden. Denn nach einfacher Marktlogik steigen die Mieten ebenfalls, wenn Bau- und Instandhaltungskosten steigen und außerdem die Angebotsseite daran gehindert wird, sich an die gestiegene Nachfrage anzupassen. Der zu einem Teil ebenfalls direkt oder indirekt auf politische Entscheidungen zurückzuführende starke Anstieg der Nebenkosten tut sein Übriges.

Anstatt jedoch an den eigentlichen Ursachen anzusetzen und Einsicht zu zeigen, versucht sich die Politik seit Jahren mit Mietendeckeln, Strafzahlungen für Leerstände usw. an einfachen Scheinlösungen, die es nebenbei ermöglichen, vom eigenen Versagen abzulenken und den Unmut der Bevölkerung auf Sündenböcke wie Investoren, Bauherren oder generell Vermieter zu lenken. Gerade im Vermietungsbereich hat ebenfalls die Politik mit einer sehr einseitigen Gesetzgebung über Jahrzehnte hinweg dafür gesorgt, dass immer mehr kleine Vermieter, die mehrheitlich nicht in Renditen denken und den Grundsatz „Eigentum verpflichtet“ noch ernst nehmen, sich aus dem Vermietungsgeschäft verabschiedet haben und Wohnungen lieber leer stehen lassen, um sich den Aufwand mit immer mehr Bürokratie und Auflagen sowie den Ärger mit übervorteilten Mietern zu ersparen.

Dies alles soll jedoch nicht in Abrede stellen, dass die Gemeinde zur Durchführung einer Wohnraumpotenzial-Erfassung berechtigt wäre. Dieses lässt sich sowohl aus dem Baugesetzbuch als auch aus dem Kommunalrecht ableiten. Entscheidend sind dabei für uns Freie Wähler die datenschutzkonforme Datenverarbeitung sowie die Intention des Verfahrens, d.h. welche weiteren Schritte darauf basierend geplant sind. Zur Datenschutzkonformität gehören u. a. eine nicht zweckmissbräuchliche Nutzung vorhandenen Datenmaterials, die Datenerhebung bei Betroffenen auf Grundlage einer informierten, freiwilligen und jederzeit widerrufbaren Einwilligung, strikte Vertraulichkeit sowie eine konsequente Anonymisierung bei Auswertung und Veröffentlichung von Daten. In Bezug auf die Folgeschritte stellt sich uns die Frage, ob die Antragssteller eine Satzung auf Grundlage des ZwEWG (Gesetz über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum) anstrebt, bzw. was passiert dann mit den Daten? Gehen die Gedanken womöglich in Richtung Zwangsgeld, Zwangsbelegung, Enteignung oder dem Aufbau von gesellschaftlichem Druck?

Dies sehen wir Freie Wähler nicht nur angesichts einer zunehmenden Sensibilität weiter Teile der Bevölkerung in Bezug auf tatsächliche oder empfundene Eingriffe in die persönliche Freiheit sowie Bevormundung durch politische Entscheidungsträger und einer daraus resultierenden Zuwendung zu populistischen politischen Kräften durchaus kritisch. Der Entwicklung von Maßnahmen, die Vermieter auf freiwilliger Basis dazu ermuntern, Leerstand zu vermeiden, ungenutzten Raum zu Wohnzwecken auszubauen oder umzunutzen sowie Bewohnern von Eigentum oder auch von Mietwohnungen auf ebenfalls freiwilliger Basis eine gewünschte und lebensumstands- bzw. altersgerechte Verkleinerung des Wohnraums zu ermöglichen, stehen wir dagegen durchaus offen und konstruktiv gegenüber. Jedoch sollte sich niemand der Illusion hingeben, damit den Nachfragedruck, der sich aus der speziellen und durchaus erfreulichen wirtschaftlichen Situation der Metropolregion und insbesondere Dossenheims ergibt, spürbar oder gar langfristig mindern zu können.

Wir Freien Wähler Dossenheim werden gegen den Antrag zur Wohnraumpotenzial-Erfassung stimmen.

(Raoul Schulz und Holger Ridinger)

Erscheinung
Gemeinde-Nachrichten Dossenheim
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Ausgabe 25/2025
Dieser Inhalt wurde von Nussbaum Medien weder erfasst noch geprüft. Bei Beschwerden oder Anmerkungen wenden Sie sich bitte an den zuvor genannten Erfasser.
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