Björk und das Mannheimer Nationaltheater, das hat eine gewisse Tradition. Bereits 2018 stand dort die Opernfassung von „Vespertine“ auf dem Spielplan – eine ebenso spannende wie bombastische Inszenierung, die das Album der isländischen Popmusikerin in die Welt der Klassik holte, erfolgreich und von der Kritik gefeiert. Nun also nur logisch, dass diese Tradition einen weiteren Impuls erhält, ein weiteres Album von Björk „klassifiziert“ wird.
Zum Mannheimer Sommer, der dieses Jahr wegen des Theaterumbaus in noch größeren Umfang als sonst im Schwetzinger Schloss stattfindet, hat das Theater zu diesem Zweck „Wooden Elephant“ eingeladen – ein junges, internationales Quintett, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, ganze Pop-Alben in einen klassischen Kontext zu stellen, ohne Technikeinsatz, 100 Prozent handgemacht, eigenständig, kreativ und mit durchaus unorthodoxen Mitteln.
Dass das durchaus herausfordernd ist, liegt bereits vorab auf der Hand. „Homogenic“, das dritte Album der isländischen Künstlerin, ist nämlich nicht nur ihr Schlüsselwerk im Übergang von Pop zu orchestraler arrangierten Alben, sondern lebt vom Zusammenspiel von komplexen elektronischen Beats, fragilen neoklassischen Arrangements und vor allem der einzigartigen Stimme Björks. Die zu entfernen und sie adäquat in die Tonsprache eines Kammermusikquintetts zu fassen, das weiß auch Mastermind Ian Anderson im anschließenden Künstlergespräch, ist wohl die größte Aufgabe eines solchen Unterfangens. Ob sie wohl gelingt? Wir schauen mal.
Der schwierigste Part für die fünf Musiker*innen steht wohl am Anfang des Abends: Den ikonischen Beat von „Hunter“, den Techno-Pionier Mark Bell Björk für den Song maßgeschneidert hat, in ein klassisches Korsett zu bringen, ist ein Vorhaben, das durchaus Potenzial zum Scheitern hat. Doch es funktioniert: Die Geigen werden zu Rhythmusinstrumenten, Bögen treffen perkussiv auf gedämpfte Seiten, während Ian Anderson und Stefan Hadjiev Björks Gesangslinien fragmentarisch auf Bratsche und Cello hin- und herjonglieren. Die wilde Jagd kann beginnen.
Bei Jóga kommt dann erstmals das Quintett in seiner gesamten Pracht zur Entfaltung. Alle fünf Musiker*innen fungieren gleichermaßen als Solisten und im Kollektiv, führen das eingängige Hauptmotiv mit Björks Gesangsparts zusammen und sorgen so sicherlich für das Highlight des Abends. Gänsehaut.
„Unravel“ nimmt dann erst einmal wieder ein wenig den Druck aus dem Kessel, kommt fast schon ein wenig zu klassisch daher, ganz im Gegensatz zu „Bachelorette“. Der im Original schon durch die opulenten Streicher am ehesten „klassisch“ arrangierte Song des Albums überrascht: Zwar behalten "Wooden Elephant" die Motive, doch sie zaubern daraus mit gezupftem Bass und Percussioneinsatz einen leichtfüßigen Jazz-/Latin-Hybrid, der die Tiefen des Stückes optimal auslotet, durchaus auch mal dissonant bricht, und statt isländischer Kühle einen Hauch Tango in den schwül-heißen Mozartsaal bringt.
„All Neon like“ gibt den Kontrastpunkt: Statt Bombast nun wieder Minimalismus, lange, stehende Töne, eine Glasharfe aus Wassergläsern und ein Kazoo, das den Synthesizer des Original-Outros imitiert und das Stück gegen Ende beinahe skurril wirken lässt.
Das perkussive „Five Years“ und das leise „Immature“ folgen. Highlight hier: Aoife Ní Bhriains Einsatz eines Gitarrenplektrums an der Geige, was ein loopartiges Fundament erzeugt, auf das der Rest der Instrumente aufbaut.
In „Alarm Call“ kommen dann wieder kreative Stilmittel zum Einsatz – ein Glockenspiel, schwingende Stimmgabeln, das Knistern von Aluminumfolie, ein kurzer, hypnotischer Augenblick der Entspannung, bevor dann „Pluto“ donnernd, wild und ungestüm am Abendhimmel aufgeht. Hier entfaltet sich die volle Übersetzungs-Kreativität des Quintetts: Die technoiden Industrialbeats des Originals werden maschinenartig adaptiert, türmen sich zu dissonanten Klangkaskaden, bis das Stück mit dem Zerreißen eines Stücks Pappe sein abruptes Ende findet. Kurze Stille, langer Applaus.
„All is full of love“ beschließt den offiziellen Part - leise, unaufgeregt und wie eine kleine Traumreise führen Cello und Geigen durch das Labyrinth bordunartiger Bratschentöne, bis am Ende zumindest im Mozartsaal zur Erfrischung des Publikums ein kleiner perkussiver Regenguss fällt.
Minutenlanger begeisterter Beifall beschließt den offiziellen Teil, doch das Publikum will mehr, und bekommt es auch. Neben „How to disappear completely“ und „Optimistic“ von Radioheads Album Kid A gibt es als Zugabe ein fulminantes „Don‘t hurt yourself“ von Beyoncé (aus „Lemonade“) – zwei weitere Pop-„Elefanten“, denen die Fünf auf ihren hölzernen Instrumenten bereits auf Albumlänge gehuldigt haben. Man kann nur sagen: Experiment mehr als geglückt, welcome back to Mannheim, Björk. Und bald gerne auch wieder „Wooden Elephant“. (jr)