Es ist zwar viel von der Zeitenwende die Rede, doch auch in der Gemeinde geht der Alltag weiter, Gewohnheiten werden gepflegt und man davon aus, dass es schon noch irgendwie „werden wird“. Die Fakten sprechen jedoch eine klare Sprache: Die lange Phase des Wirtschaftswachstums ist bereits beendet und die kurz- und längerfristigen Prognosen sind ernüchternd: Nach einem zwar schwachen, gleichwohl noch merklichen wirtschaftlichen Wachstum der Jahre 2010–2019 mit 1,3 % je Jahr (inflationsbereinigt), brach die Wirtschaft ein (Gründe i. w.: Pandemie, Inflationsbekämpfung und Ukraine-Krieg) und wird das Niveau von 2019 voraussichtlich erst 2026 wieder erreichen. Die langfristigen Prognosen bis 2070 (!) des Sachverständigenbeirats der Bundesregierung gehen von 0,4-0,7 % je Jahr aus. Diese Fakten verändern die Situation aller Gebietskörperschaften, einschließlich der Gemeinde Mühlhausen, da mit dem quasi-Nullwachstum die Einnahmen aus Steuern bzw. Umlagen zurückgehen und zugleich Kosten (Klimaschutz, Rüstungsausgaben, Sozialausgaben etc.) in die Höhe schnellen. Daher können allein aus Finanzierungsgründen viele Gewohnheiten nicht fortgesetzt werden; je früher dies eingesehen wird, desto wirkungsvoller können die sich abzeichnenden Probleme – zwar nicht abgewendet, aber zumindest gemindert werden. Die SPD im Gemeinderat hat bereits mehrfach auf die Notwendigkeit einer längerfristigen Planung der Gemeinde verwiesen, die mit der Aktualisierung des Gemeindeentwicklungskonzepts verbunden ist. Auch haben wir auf eine Verbesserung der Informationspolitik in Sachen Gemeindefinanzen verwiesen, denn ohne eine frühzeitige Information der gewählten Vertreter können keine verantwortungsvollen Entscheidungen bzgl. Investitionen, Personalausgaben, Sozialausgaben u. a. m. für die kommenden Jahre getroffen werden.
Die geschilderten Veränderungen werden den Gemeinderat und die Bürgerschaft der Gemeinde Mühlhausen – wie alle anderen Gemeinden auch – in den kommenden Jahren massiv beschäftigen. Eine der Fragen, die in der Diskussion um die „Zeitenwende“ vielfach ausgeblendet wird, aber zugleich für die Gemeinden von grundlegender Bedeutung ist, richtet sich auf die Frage nach dem Zusammenhalt der Gemeinschaft unter Bedingungen drastischer Veränderungen. Es geht also darum, den „sozialen Kitt“ zu stärken, damit das Gemeinwesen den Erschütterungen durch die wirtschaftlichen Umbrüche standhält. Wie grundlegend diese Frage ist – und welche Antworten auf sie möglich sind – vermittelt der frühere Verfassungsrechtler Wolfgang Böckenförde: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Er verweist damit auf Voraussetzungen, wie solidarische Umgangsformen, auf eine Art „Gemeinsinn“, ein gemeinsam verbindendes Ethos, ohne die die Gesellschaft zerfallen würde. Während in Zeiten stetigen wirtschaftlichen Wachstums Schwächen des Gemeinsinns und Unzufriedenheit durch finanzielle Zuwendungen bzw. durch Konsum befriedet werden konnten, steht dies nun nicht mehr zur Verfügung. Damit erscheinen Kultur, Sport, Jugendarbeit, Bildung u. a. m. in einem anderen Licht, denn in diesen Bereichen werden die Grundlagen gemeinschaftlichen Handelns erlernt und praktisch umgesetzt: Kein Fußballspiel ohne Anerkennung der geltenden Spielregeln, keine Theateraufführung ohne die Abstimmung im Team und keine Musikveranstaltung ohne gemeinschaftliche Proben. Daher ist es sehr zu begrüßen, dass ein reges Vereinsleben in der Gemeinde existiert, doch auch außerhalb von den bekannten Vereinen findet eine „Kulturarbeit“ und eine „Arbeit des Gemeinsinns“ statt, die mehr Beachtung finden sollte. Die grundlegende Bedeutung des Sozialen und der Kultur für den Zusammenhalt des Gemeinwesens wird beispielsweise zunehmend in der Fachliteratur zur Stadt- und Regionalplanung hervorgehoben, auch die Bandbreite an praktischen Projekten zeigt vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten: gemeinschaftliche Nutzung des öffentlichen Raums für Gartenprojekte, gemeinsame Werkstätten in Form von Repair Cafés oder Workspace/Makerspace, nachbarschaftliche Pflege von Grünflächen oder ehrenamtliche Organisation der Kinderfreizeit während der Schulferien.
Einem Verlust von – oder Verzicht auf – materiellen Wohlstandszuwachs können daher Zuwächse an Lebensqualität durch „Arbeit des Gemeinsinns“ gegenüberstehen. Diese Chancen sollten genutzt werden!
Für die SPD: Dr. Michael Mangold (Gemeinderat)