Die aktuelle Ausstellung „All Memory Is Theft“ im ZKM Karlsruhe befasst sich mit einer Retrospektive zu Johan Grimonprez. Sie läuft bis zum 8. Februar 2026.
Wie kommt das Reh ins Bett? Nun, es springt, auf der Leinwand, durchs Fenster, ist plötzlich da und löst sich dann einfach wieder auf. Doch das ist eigentlich nicht die Antwort, weil auch bereits die Frage nicht eigentlich die Frage ist. Gibt es überhaupt Fragen und Antworten bei den Filminstallationen von Johann Grimonprez?
Ja. Viele. Zur Realität. Zum Bewusstsein. Zur Vorstellungskraft. Zur Politik, zu Archiven, zur Geschichte. Und zum Da-Zwischen, vor allem auch dazu. Denn eines der großen Themen von Johann Grimonprez in seiner Ausstellung „All Memory Is Theft“ im Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe (ZKM) ist das Between, wie er beim Rundgang erläutert. Between ist das englische Wort für zwischen, All Memory Is Theft bedeutet in etwa „Jede Erinnerung ist Diebstahl“.
Johann Grimonprez ist ein belgischer Film- und Medienkünstler mit großen, internationalen Erfolgen. Sein Spielfilm Soundtrack to a Coup d’Etat war 2025 für den Oscar in der Kategorie bester Dokumentarfilm nominiert. Der Film ist in der Ausstellung in Endlosschleife zu sehen. In ihm setzt sich der Künstler mit der Rolle der Kolonialmächte bei der Ermordung des kongolesischen Premierministers Patrice Lumumba in der ehemaligen belgischen Kolonie Kongo in den 196er Jahren auseinander. 130 Minuten ist das Werk an sich lang.
130 Minuten? Damit nimmt es nur einen Bruchteil der Zeit ein, die Besucher*innen in der Ausstellung verbringen könnten, ohne etwas mehrmals sehen zu müssen. „Wir haben hier Filmmaterial für mindestens drei Monate“, sagt Johan Grimonprez. Damit, so Philipp Ziegler, der die Ausstellung zusammen mit Daniel Daniel Pies kuratiert hat, sei das Projekt eine Einladung zum Flanieren und sich treiben lassen und zugleich dazu, sich in die einzelnen Elemente zu vertiefen. Er hoffe, dass die Besucher*innen sich dafür Zeit nähmen. Neben den Filmen gibt’s Archivquellen, Fotografien, Zeichnungen, literarische Textbausteine… zu sehen.
Viel Fläche gewährt Johan Grimonprez Alfred Hitchcock. „Ich habe als Siebenjähriger ein Buch mit einem Bild von Alfred Hitchcock gesehen, und er sah aus wie mein Vater“, erklärt er seinen persönlichen Bezug. Hitchcock zu präsentieren stünde auch für ein Between: „Er hat am Übergang von Film zu Fernsehen gearbeitet“, so Jan Grimonprez. Im Unterschied zum klassischen Film werde im Fernsehen das Schauen durch Werbeblocks unterbrochen.
Ganz anders wird der Blick der Besucher*innen irritiert, wenn sie die Ausstellung betreten. Auf einer großen Leinwand ist ein Wald zu sehen. In Schwarzweiß ruht er sozusagen – oder doch nicht? Denn in unregelmäßigen Abstanden wird die Idylle, die so in Sicherheit wiegen könnte, unterbrochen: Ein Haus fällt aus dem Nichts herab, zerschellt, verschwindet. Das führt zurück zu der Frage: Wie kommt das Reh ins Bett? Nun, neben allem anderen, was es hier rund um Medien, Film, Kunst, „Film-Archäologie“, wie Philipp Ziegler sagt, Flanieren und Konzentrieren, Treiben lassen und Vertiefen gibt, existieren auch interaktive Elemente: Das Reh spring genau dann ins Bett, wenn jemand an einem Sensor vorbeigeht, mit dem diese Einblendung ausgelöst wird.