NUSSBAUM+
Dies und das

Zum Abschluss unserer Berichtsreihe „Kriegskinder in Ubstadt-Weiher“ / Heute: Agnes Beyerle, geb. Herzog aus Weiher

Anlässlich 80 Jahre Kriegsende hat sich der Heimatverein Ubstadt-Weiher e. V. mit der Berichtsreihe „Kriegskinder“ den Schicksalen der Kinder und...
Foto: Familie Beyerle

Anlässlich 80 Jahre Kriegsende hat sich der Heimatverein Ubstadt-Weiher e. V. mit der Berichtsreihe „Kriegskinder“ den Schicksalen der Kinder und der Heimatvertriebenen während und nach dem Zweiten Weltkrieg in Ubstadt-Weiher gewidmet. Zum Abschluss dieser Reihe lesen Sie heute noch die Erinnerungen unseres 100-jährigen Mitglieds Agnes Beyerle aus Weiher. Als junge Erwachsene war sie als Rotkreuz-Helferin bei einem Fliegerangriff im Einsatz.

Hier ihr Bericht: Im März 1945, ich war bereits seit zwei Jahren beim Roten Kreuz als Helferin, mussten wir bei Fliegeralarmen für alle Notfälle bereit sein. Bisher war noch nichts Dramatisches passiert. Aber an diesem klaren, sonnigen Samstagnachmittag erlebten wir am Bahnhof Ubstadt-Weiher, wie ein Personenzug mit verwundeten deutschen Soldaten beschossen wurde. Auch das „Rote Kreuz“ auf dem Dach des Zuges hielt die Alliierten nicht davon ab, den Zug zu beschießen. Wir versorgten im Keller des Bahnhofsgebäudes die frischen Verletzungen der Soldaten notdürftig. Die Jagdbomber, kurz „Jabos“ genannt, flogen ab und es gab Entwarnung.

Die verletzten, zuvor aus dem beschossenen Zug evakuierten Soldaten wurden von uns Helfern wieder zurück in den Zug gebracht. Ich kümmerte mich gerade um einen am Bein verletzten Soldaten, als es erneut Beschuss gab. Schnell bugsierten wir die verwundeten Soldaten wieder zurück aus dem Zug in den Keller des Bahnhofsgebäudes. Der Soldat, dem ich gerade behilflich war, hatte große Mühe, wieder auf die Beine zu kommen und stützte sich voll auf mich. Wir waren noch auf dem Gleis, als es wieder in einiger Entfernung Geschosse hagelte. Seltsamerweise hatte ich in diesem Moment keine Angst. Ich hatte volles Vertrauen darauf, dass meine weiße Kleidung mit dem Rot-Kreuz-Häubchen gut sichtbar war und uns schützte.

Das ganze Spektakel war Gott sei Dank nur von kurzer Dauer und die „Jabos“ flogen wieder ab. Den verletzten, humpelnden Soldaten konnte ich mit einiger Mühe wieder in den Zug setzen, in der Hoffnung, dass er im nahen Lazarett gut versorgt wird.

Am Ostersonntag 1945 war die Kirche wie üblich gut besucht, als es draußen gewaltig rumpelte. Zusammen mit anderen Mädchen und jungen Frauen suchten wir hinter einem Pfeiler nahe des „Alten Chors“ Schutz. Plötzlich rief jemand: „Alles raus aus der Kirche, der Feind ist da!“ Wir mussten die Kirche verlassen und schnellstens nach Hause eilen. Kurz vor meinem Elternhaus in der Hauptstraße 16 war eine „Panzersperre“ aus Baumstämmen errichtet, und vor unserem Haus hatten einige Soldaten Tage zuvor einen Schützengraben ausgehoben, da man erwartete, dass der Feind von Süden in den Ort kam.

Da die amerikanischen Panzer jedoch von Westen kamen, nutzte dieser Schützengraben nichts und wurde wenige Tage später wieder zugeschoben. Weil aber die Aushuberde nicht reichte, wurde er mit altem Müll, zerbrochenem Geschirr, Schutt und allerlei Zeug wieder aufgefüllt.

In den darauffolgenden Sommermonaten, mittlerweile hatte die amerikanische Besatzung die Franzosen abgelöst, wollte ich einmal ins Dorf laufen. Einige Häuser weiter, das Tor dort war offen, standen mehrere Nachbarn mit ratlosen Gesichtern um einen jungen Mann, der sich das Bein gebrochen hatte. Der örtliche Sanitäter Anton Köhler hatte das Bein notdürftig versorgt, allerdings musste der junge Mann ins Krankenhaus. Aber wie? Es gab keine Autos und die Straßen waren auch noch in sehr desolatem Zustand. Das Rote Kreuz besaß jedoch eine altertümliche fahrbare Trage zum Transport. Anton Köhler, meine Kusine Maria und ich schoben so den Verletzen mit der Trage über Ubstadt nach Bruchsal ins Krankenhaus. Verkehr gab es noch keinen, so konnten wir auf der Straßenmitte laufen. Vorsichtig gingen wir den Soldaten aus dem Weg, vor allem die dunkelhäutigen Amerikaner machten uns Angst. Als Mädchen musste man sich vor allen Männern in Acht nehmen. Aber unsere Rot-Kreuz-Kleidung nötigte auch ihnen Respekt ab. Glücklich erreichten wir das Krankenhaus in Bruchsal, unser Patient konnte dort versorgt und danach von uns wieder nach Hause gefahren werden.

Mit diesem Bericht endet unsere Serie „Kriegskinder“. Wir bedanken uns bei der Interviewerin Beate Harder sowie bei den mutigen Erzählerinnen und Erzählern, die ihre oft schmerzlichen und bewegenden Geschichten mit uns geteilt haben, damit diese Erinnerungen bewahrt werden, sowie bei all jenen, die mit ihrem Engagement und ihrer Unterstützung dazu beigetragen haben, diese wichtigen Stimmen für zukünftige Generationen hörbar zu machen.

Erscheinung
Mitteilungsblatt Ubstadt-Weiher
NUSSBAUM+
Ausgabe 24/2025
Dieser Inhalt wurde von Nussbaum Medien weder erfasst noch geprüft. Bei Beschwerden oder Anmerkungen wenden Sie sich bitte an den zuvor genannten Erfasser.
Orte
Ubstadt-Weiher
Kategorien
Dies und das
Panorama
Meine Heimat
Entdecken
Themen
Kiosk
Mein Konto