Zum Kriegsende vor 80 Jahren in Forchtenberg

Teil 1 Schaut man von der Kocherbrücke aus auf das beschauliche, romantische Stadtbild Forchtenbergs, das die Besucher mit dem Würzburger Tor willkommen...

Teil 1

Schaut man von der Kocherbrücke aus auf das beschauliche, romantische Stadtbild Forchtenbergs, das die Besucher mit dem Würzburger Tor willkommen heißt, ahnt man nicht, welche Schrecken die Bewohner vor 80 Jahren erlebten.

Für sie war der Krieg bereits am 10./11. April 1945 mit dem Einzug der Amerikaner zu Ende, mit einem bitteren Nachgeschmack: Zerstörte Häuser und verlorene Leben, Trümmerhaufen und die Unsicherheit, was die Zukunft mit sich bringen wird. Gab es überhaupt eine Zukunft?

Vorausgegangen war der Beschuss des Stadtkerns mit Phosphorgranaten. Begonnen hatte die Zerstörung Forchtenbergs jedoch bereits am 2. April, als um die Mittagszeit Jagdbomber angriffen und das Pfarrerhaus der erste Trümmerhaufen war. Es sollten noch viele folgen! Die Bevölkerung schlief im Stollen, dem unterirdischen Gipsbruch, der für die NSU ausgebaut worden war. Dort wurden von Fremdarbeitern, die nach Forchtenberg verschleppt worden waren und in Baracken an der Bahnhofstraße lebten, kriegswichtige Teile gebaut.
Diese Ereignisse sind von dem damaligen Forchtenberger Oberlehrer Wilhelm Müller dokumentiert worden und auch wir nachfolgenden Generationen sollten diesen Teil unserer Geschichte nicht vergessen.

Hier eine Zusammenfassung seiner Aufzeichnungen von der Enkelin Irmgard Schelling geb. Jakob:

„Es ist der 26.3.1945 und der Flüchtlingsstrom nimmt stetig zu. Die ersten Flüchtlinge brachten schon tote Säuglinge mit. Alte Frauen wurden schon ganz entkräftet in Leiterwägelchen von ihren Angehörigen nachgeführt.

Viele Frauen haben Wunden und dick angeschwollene Füße vom Gehen. Für die Flüchtlinge wurde in der hiesigen Kinderschule eine Verpflegungsstelle eingerichtet.

Mit Pferdefuhrwerken, Zugmaschinen und angehängten Wagen und Ersatzzügen wurden sie in den Kreis Backnang weitergeleitet. Das Kriegselend steigert sich von Tag zu Tag.

Soldaten- und Truppenrückzüge aller Waffengattungen gehen auch über Forchtenberg hinweg. Es gab viele Einquartierungen im Städtchen. Und man hörte den Kanonendonner vom Odenwald her.

Die Leute schafften allerlei Sachen fort in die Weinberghäuschen, vergruben ihre Habe auch an allen möglichen Orten. Viele schlafen auch in ihren Weinberghäuschen aus Angst vor Dieben oder bauen neue Hütten in Klingen, im Wald, im alten Krebsenmühlgraben (die Krebsenmühle stand am „Arzthaus“ im Kupfertal), in Weinbergsgräben.

Sie legen auch Splittergräben in der Nähe des Städtleins hinter ihren Scheunen an.

Panzersperren müssen vom Volkssturm gebaut werden, Schützenlöcher ausgegraben.

2.4.1945: Um die Mittagszeit warfen Jagdbomber Bomben auf die Bahngeleise oberhalb des Bahnhofs. Eine Bombe traf das Pfarrerhaus, Sofie Specht, Magd im Pfarrerhaushalt und ein deutscher Soldat wurden getötet. Frau Pfarrer Gelichsheimer konnte gerade noch mit ihrem Jüngsten auf dem Arm das Kellertreppchen hinuntereilen. Pfarrer Gelichsheimer war auf einem Außentermin in Zweiflingen-Friedrichsruhe.

Bis in die Nacht dauerten die Auf- und Ausräumarbeiten. Für drei Familien musste alles über das Fenster mit Leitern geborgen werden. Die Gegenstände wurden bei Nachbarn und in der Kirche untergebracht.

Am 3.4.1945 (Dienstag) Sprengung der Kupferbrücke (Öhringer Straße). Die Brücke wurde nicht vollständig zerstört, dafür aber sehr viele Ziegel, Dächer und Fensterscheiben.

Stämme mussten im Wald zur Panzersperre an der Öhringer Steige geholt werden.

Fast die ganze Forchtenberger Einwohnerschaft schläft jetzt im Stollen des Gipswerks (NSU-Werkstatt).

Es ist der 4.4.1945: Nach Abweisung aller Eingaben und Einwände seitens der Bevölkerung wurde die Sprengung der altehrwürdigen Kocherbrücke von den Nazi-Oberen befohlen und von einem Sprengkommando der Wehrmacht ausgeführt. Ihr hölzerner, überdachter Bau, der 120 Jahre alle Hochwasser überstanden hatte, versank in den Kocherfluten. Steine flogen bis auf den Marktplatz! Welch ein Bild der Verwüstung. Es gab große Schäden in der Umgebung! Alte Leute haben geweint. Alle Bewohner der Stadt waren nach der Sprengung am Kocher. Wirr und formlos lagen die Trümmer im Kocher. Balken und festgefügtes Gerüst ragen wie starre Leichenteile aus den trüben Wellen.

6.4.1945: Zweite Sprengung der Kupferbrücke.

Der Feind rückt näher, der Volkssturm schanzt und am Ziegelberg sind deutsche Soldaten in Stellung gegangen.

Das Lagerhaus wurde geleert: Weizenabgabe im Lagerhaus pro Kopf 1 Ztr.

Die Amerikaner sind inzwischen bei Oberkessach und Berlichingen. Leute, die aus dem Jagsttal nach Forchtenberg kamen, berichteten vom schnellen Vormarsch der Amerikaner.

Am 8.4.1945 hebt der Volkssturm auf der Schied, hinter der Ruine, unter dem Wäldchen 2 SMG-Stellungen (schweres Maschinengewehr) gegen den Kocher und 2 Richtung Kupfer aus.

Es ist herrliches Frühlingswetter und die meisten Leute hausen im Stollen.

Karl Heim, Herbert Weber, ich und meine Frau gingen mittags auf die Schied in die Nähe von Heims Bienenstand: Gegen 4.00 Uhr brennt die Scheune von Fritz Schulz in Ernsbach. Jagdbomber sind über Sindringen, der Feind ist vor dem Schleierhof. Sindringen steht in Brand. Starke Beschießung der Steinbergklinge. Auch über uns hinweg schwirrten Schüsse ins Kupfertal, wo sich viele Soldaten aufhalten sollen.

Am 7. April1945 bauten Soldatenim Wasen eine Haubitze auf. Sie feuerten 17 Schüsse ab und am Abend kommen 17 Schüsse zurück, die beim deutschen Geschütz einschlugen und den Friedhof verwüsteten.

Hungrige Soldaten von der Frontabsetzung suchen Quartiere. Ein Hin und Her der Soldaten. Ein zielloses Treiben. Eine Versprengten-Sammelstelle wird hier aufgemacht. So weit ist es also! Unser „Haus“ schläft, was die eigentlichen Bewohner betrifft, noch in den Betten und Kammern.

Vom 8.4. auf 9.4.1945: Wir haben erstmals im Keller geschlafen. Es waren in unserem Keller (Lehrerwohnhaus neben der alten Schule) 24 Personen.

Die Weißbacher Brücke wurde gesprengt.

Seit dem 2.4.1945 gibt es keinen Zug- und Postverkehr mehr. Die Zeitung blieb schon einige Tage vorher aus. Die Bahnlinie Öhringen-Hall ist schon länger durch Jagdbomber-Beschuss unterbrochen. Das Schleierhofer Sträßchen ist schon einige Tage vor der Kocherbrückensprengung am Ortsausgang gesprengt worden.

Über die alte Öhringer Steige wurden am 7.4.1945 nur über den Nebenweg (Armsünderweg) Fichten und andere Bäume für Straßensperren gehauen.

Das ganze Kocher- und Kupfertal war voll Nebel. Im oberen Schiedwäldchen hat das Gras gebrannt. Vier verwundete Soldaten wurden vom Schloß an die Kupferbrücke gebracht zum Abtransport. Vorher brachten Einwohner die Parole: „Der Ami kommt schon von Weißbach her!“

Zwischenzeitlich war Pfarrer Gelichsheimer daran gehindert worden, mit dem Nachen über den Kocher zu fahren, um den Amerikanern mit einer weißen Flagge die Aufgabe der Stadt zu signalisieren. Keiner durfte ein weißes Tuch aus dem Fenster hängen.

Alles flüchtete schon in den Stollen. Fluchtartig verließen die meisten ihre Keller.


9.4.1945, alles zieht in Keller und Stollen, auch in Kupfer und Kupferwald.

Fortsetzung folgt.

Erscheinung
Mitteilungen der Stadt Forchtenberg
NUSSBAUM+
Ausgabe 14/2025
Dieser Inhalt wurde von Nussbaum Medien weder erfasst noch geprüft. Bei Beschwerden oder Anmerkungen wenden Sie sich bitte an den zuvor genannten Erfasser.
Orte
Forchtenberg
Meine Heimat
Entdecken
Themen
Kiosk
Mein Konto