Im Herzen von Sinsheim-Weiler liegt ein Garten, der wie ein kleines Paradies wirkt. Doch dieser Ort ist nicht nur ein Ort der Ruhe, sondern auch ein Reich der Wildkräuter. Silvia Weis, Kräuterpädagogin und leidenschaftliche Naturfreundin, führt ihre Besucher dort durch eine Welt, in der jedes Kraut eine Geschichte zu erzählen hat.
Gerade jetzt, im beginnenden Frühling, wenn die ersten grünen Pflanzen aus dem Boden sprießen, schwört sie auf eine ganz besondere Zubereitung: die „Grüne Neune“, eine Neun-Kräuter-Suppe, die die geballte Kraft des Frühlings in sich trägt.
In der Übergangszeit zwischen Winter und Frühling zeigt sich die Natur von ihrer üppigsten Seite – mit einer Fülle von Pflanzen, die sich unaufgefordert ihren Platz erobern. Viele von ihnen werden von den meisten Menschen nicht beachtet oder sogar als lästiges „Unkraut“ ausgerissen. Doch für Silvia Weis sind diese Pflanzen wahre Schätze der Natur.
„Im Frühjahr finden sich in der Natur überall essbare Kräuter, die sich ohne unser Zutun ihren Weg bahnen“, sagt sie und erklärt, dass es vor allem auf das Wissen ankomme, diese Pflanzen zu erkennen und richtig zu nutzen. Als zertifizierte Kräuterpädagogin ist es ihr ein Anliegen, dieses Wissen mit anderen zu teilen und die Menschen zu sensibilisieren, die wertvollen Wildpflanzen zu schätzen.
Während sie mit einer Gruppe von Kräuterinteressierten durch ihren Garten geht, zeigt Silvia auf eine Pflanze, die fast unscheinbar neben einer Treppenstufe wächst. „Das ist Vogelmiere“, erklärt sie. „Viele erkennen sie nicht und reißen sie einfach aus. Dabei ist sie ein wahres Superfood, das viel Vitamin C enthält und das ganze Jahr über wächst.“ Diese kleine Entdeckung ist nur der Anfang einer spannenden Reise durch die Welt der Wildkräuter. Silvia betont jedoch stets: „Man muss sich immer sicher sein, was man sammelt, denn Verwechslungen können gefährlich sein. Ein Beispiel ist der Ackergauchheil, dessen Blüten rot sind – im Gegensatz zur Vogelmiere, die weiße Blüten hat.“
Mit viel Begeisterung und Sachverstand führt Silvia durch ihren Garten und erklärt die Heilkraft und Verwendung ihrer Kräuter. „Unkraut ist das, was immer wieder nachwächst“, schmunzelt sie und beschreibt ihren eigenen Garten als Ort, an dem alles im Einklang mit der Natur wächst. Für Silvia ist es eine Freude zu beobachten, wie der Garten jedes Jahr mehr Leben anzieht. „Von Jahr zu Jahr sehe ich, wie sich immer mehr Vögel, Eidechsen, Schmetterlinge und Bienen in meinem Garten einfinden. Sie alle haben hier ihren Platz“, sagt sie stolz.
Silvia Weis' Faszination für Wildpflanzen begann nicht in einem botanischen Garten oder einer Kräuterschule, sondern in einer Zeit, als der Krieg in Bosnien die Menschen in die Wälder trieb und zum Überleben zwang. „Ich habe mir damals die Frage gestellt: Was würdest du essen, wenn du dich plötzlich aus der Natur ernähren müsstest?“ Diese Überlegung gab den Anstoß zu einer intensiven Auseinandersetzung mit Kräutern und Wildpflanzen. Ein Kräuterbuch half ihr dabei, sich einen nachhaltigen Umgang mit der Natur anzueignen – ein Drittel für die Tiere, ein Drittel für den Menschen und ein Drittel für die Pflanzen. Diese Philosophie begleitete sie fortan beim Sammeln, Ernten und Verarbeiten der Kräuter.
Die Entscheidung, ihr Wissen weiterzugeben, traf Silvia, als sie das Gefühl hatte, schon eine ganze Menge gelernt zu haben. Um ihr Wissen zu vertiefen, absolvierte sie einen Zertifikatslehrgang zur Kräuterpädagogin. Seitdem ist sie nicht nur leidenschaftliche Kräuterkennerin, sondern auch eine engagierte Lehrerin, die ihr Wissen gern an andere weitergibt.
Eine ihrer liebsten Zubereitungen ist die „Grüne Neune“, eine Neun-Kräuter-Suppe, die zu den ältesten Frühlingsgerichten gehört. In der Tradition wird diese oft am Gründonnerstag serviert, um den Winter zu vertreiben und den Frühling zu begrüßen. Dabei spielt die Zahl Neun eine besondere Rolle: In vielen Kulturen galt sie als magische Zahl, die mit den Vegetationskräften und dem Frühlingsanfang assoziiert wurde.
„Es gibt einen alten Brauch, bei dem Bauern zu Mariä Himmelfahrt Kräuterbüschel weihen ließen, die meist neun verschiedene Kräuter enthielten“, erzählt Silvia. Die genaue Zusammensetzung der Suppe variiert je nach Region und Verfügbarkeit der Kräuter – in Weiler kommen heute Wilder Schnittlauch, Nelkenwurz, Spitzwegerich, Geißfuß, Gundelrebe, Pimpinelle, Labkraut, Brennnessel und Löwenzahn in den Topf.
► Das Rezept zur Neun-Kräuter-Suppe
„Die Neun-Kräuter-Suppe ist wie ein Symbol für den Frühling selbst – sie steckt voller frischer, grüner Kraft“, sagt Silvia und zeigt auf einen Busch Gundelrebe, der in ihrem Garten wächst. „Die Gundelrebe wird in vielen alten Kräuterbüchern als Heilkraut bei Entzündungen und schlecht heilenden Wunden beschrieben“, erklärt sie weiter. Gundelrebe oder auch Gundermann ist ein vielseitiges Kraut, das in der Volksmedizin sehr geschätzt wird. Es hat entzündungshemmende Eigenschaften und hilft bei Bronchitis, Harnwegserkrankungen und Erkältungen.
Ebenso wie die Gundelrebe, ist auch der Geißfuß (oder Giersch) ein wunderbares Wildgemüse. „Geißfuß wächst fast überall, und obwohl viele Gärtner ihn als Unkraut verfluchen, ist er ein hervorragendes Kräutlein“, so Silvia, die in diesem kräftigen Wildkraut nicht nur einen schmackhaften, sondern auch einen medizinischen Schatz sieht, vor allem bei Gicht und Gelenkbeschwerden.
Während die Teilnehmer eifrig die gesammelten Kräuter zerkleinern, bereitet Silvia die Basis für die Suppe vor: Zwiebeln werden in etwas Öl glasig gedünstet, mit Mehl bestäubt und zu einer Mehlschwitze verarbeitet, die dann mit Gemüsebrühe abgelöscht wird. Die fein geschnittenen Kräuter kommen dazu, die Mischung wird nicht mehr gekocht, damit die wertvollen Vitamine und Nährstoffe erhalten bleiben. Die fertige Suppe wird mit Salz, Pfeffer und Muskat gewürzt und mit einem Schuss Sahne verfeinert.
Silvia dekoriert die Suppe mit Gänseblümchen, die den Frühling symbolisieren, und serviert die erste „Ladung”. „Die Suppe ist wirklich eine Geschmacksexplosion!“, ruft einer der Kursteilnehmer begeistert aus, während die anderen zustimmen und sich nach einer zweiten Kelle erkundigen. Die Frische der Kräuter und die Würze der Suppe sind ein wahrer Genuss.
Während die „Grüne Neune“ sich in den Tellern entfaltet, widmet sich Silvia der Grünen Soße, einem weiteren traditionellen Gericht, das zu Gründonnerstag gehört. Die Grüne Soße, die mit Kartoffeln serviert wird, ist nicht nur in Frankfurt ein Klassiker, sondern auch in vielen anderen Regionen ein fester Bestandteil des Frühlingsmenüs. Sie besteht aus mindestens sieben verschiedenen Kräutern, die je nach Region und Familie variieren. Silvia erklärt: „Borretsch, Kerbel, Sauerampfer, Petersilie – jedes dieser Kräuter hat eine heilende Wirkung. Borretsch hilft gegen Melancholie, Kerbel regt den Stoffwechsel an, und Sauerampfer reinigt das Blut.“
Die Grünen Soße wird auf Basis einer Mayonnaise aus Senf, Öl, Joghurt und Schmand zubereitet. Zwiebeln und Kräuter werden fein gehackt und untergerührt, die fertige Soße muss dann eine Stunde kühl durchziehen, bevor sie zu den frisch gekochten Kartoffeln serviert werden kann. Die Mischung aus cremiger Soße und den frischen, grünen Kräutern macht das Gericht zu einer herrlich erfrischenden Frühlingsspeise.
Die Kräuterküche von Silvia Weis ist nicht nur eine Feier des Frühjahrs, sondern auch ein Akt der Wertschätzung für das, was die Natur zu bieten hat. „Es geht nicht nur um das Sammeln und Kochen von Kräutern, sondern um ein tiefes Verständnis für die natürlichen Kreisläufe und die Freude an der einfachen, aber kraftvollen Nahrung, die uns die Natur schenkt“, sagt Silvia mit leuchtenden Augen.
Wenn sie sich schließlich zurücklehnt und ihren Gästen beim Genießen der frischen Kräuter-Suppe zuschaut, wird klar: In ihrem Garten gedeihen nicht nur Kräuter und Blumen, sondern auch eine Philosophie des achtsamen Umgangs mit der Natur und dem, was sie uns schenkt.
Silvia Weis
74889 Sinsheim-Weiler
Telefon: 07261 978849
E-Mail: silviaweis.allerleikraut@freenet.de
Die Redewendung „Ach du grüne Neune“ hat übrigens keinen Bezug zur berühmten Kräutersuppe, sondern stammt ursprünglich aus Berlin. Dort gab es ein Vergnügungslokal, das offiziell „Coventgarden“ hieß und in der Blumenstraße 9 angesiedelt war. Der Hinterausgang dieses Lokals führte in den sogenannten Grünen Weg, weshalb es im Volksmund „grüne Neune“ genannt wurde. Nach dem Jahr 1852 entwickelte sich das einst elegante Lokal zu einem berüchtigten Tanzcafé, dessen Ruf immer mehr verfiel. Immer wieder kam es zu Schlägereien, und das Niveau sank stetig. So wurde der Ausruf „Ach du grüne Neune“ schließlich zu einer landläufigen Redewendung, die in ganz Deutschland verwendet wurde – als Ausdruck der Überraschung oder des Erschreckens, im Sinne von „um Himmels willen“.