Über 1.000 Meter hoch, am Fuße der Hornisgrinde gelegen, wirkt der Mummelsee wie ein Stück aus einer anderen Welt. Fast kreisrund, von den Tannen des Schwarzwaldes umschlossen, schimmert er selbst an sonnigen Tagen geheimnisvoll dunkel. Aus dem Wasser ragende Baumwurzeln, mit Moos und Flechten bewachsene Felsen und Bäume sorgen für eine mystische Atmosphäre. Hinter der Postkartenidylle verbirgt sich ein Ort voller Mythen, Rätsel und Sagen.
Der Mummelsee ist ein sogenannter Karsee, der in der Eiszeit durch Gletscherbewegungen entstanden ist. Er ist knapp 18 Meter tief und misst etwa 800 Meter im Umfang. Für Geologen ein klarer Fall, für Sagenliebhaber dagegen ein See ohne sichtbaren Grund. Was sich in seiner Tiefe wirklich verbirgt, darüber wird seit Jahrhunderten spekuliert und gestritten. Einige sind der Auffassung, dass der See „bodenlos“ sei und unterirdische Verbindungen bis ins Rheintal habe. Und wer nachts am Ufer lauscht, meint bisweilen, geheimnisvolle Klänge aus der Tiefe zu hören.
Seinen Namen soll der Mummelsee nicht etwa den früher hier heimischen gelben Seerosen, den sogenannten Mummeln verdanken. Die sagenhaften Mümmlein, Nixen oder Seejungfrauen, sollen die Namensgeberinnen sein. Der Legende nach bewohnten sie ein prächtiges Schloss aus Kristallglas auf dem Grund des dunklen Sees. Dort herrschte ihr Vater, der Mumelseekönig, ein alter Nöck. In den märchenhaften Gärten des Kristallschlosses erblühten der Sage nach rote Korallen neben Seerosen. Jede Nacht stiegen die schönen Nixen aus der Tiefe empor, tanzten im Mondlicht über dem dunklen Wasser. Am Tag huschten sie ins Tal, wo sie den Menschen beim Hüten der Kinder, im Haushalt oder bei der Feldarbeit halfen.
Doch so freundlich sie den Bauern auch gesinnt waren: Strenge Regeln banden sie an ihr Reich. Wenn die Sterne am Himmel zu sehen waren, mussten sie zurück ins Wasser, so hatte es der Mummelseekönig befohlen.
Eine der schönsten Sagen vom Mummelsee erzählt von einem Mümmlein, das sein Herz an einen Bauernsohn aus Seebach verlor. Bei der Kirchweih im Dorf tanzte sie einen Reigen nach dem anderen mit ihm. Die Nixe war das schönste Mädchen im Saal, leichtfüßig und anmutig wie keine andere. Doch sie vergaß die Zeit. Während ihre Schwestern längst in das Schloss auf dem Seegrund zurückgekehrt waren, tanzte sie weiter.
Als die Turmuhr zehn schlug, erkannte sie ihren Fehler. In Angst und Eile zog sie ihren Geliebten hinaus in den Wald und bis zum See. Mit schweren Worten kündigte sie an, dass ihr Ungehorsam den Tod bedeute. Nur eine letzte Hoffnung blieb: Sollte aus der Tiefe Blut steigen, sei sie verloren. Bleibe das Wasser still, dürfe sie wiederkehren. Mit einer Weidenrute schlug sie dreimal auf das Wasser, eine marmorweiße Treppe öffnete sich und sie verschwand in der dunklen Tiefe. Der See schloss sich, Nacht und Stille lagen über dem Ufer. Es wölbte sich eine kleine dunkle Woge aus der Tiefe: das Blut der Nixe, die für ihre Liebe sterben musste.
Heute erinnert am Ufer eine bronzene Statue an die Mümmlein. So mancher Tourist lässt sich vom Lächeln der Nixe verzaubern und lichtet das beliebte Fotomotiv ab. Und auch dem Mummelseekönig kann man heutzutage hin und wieder begegnen – eine Marketing-Idee des hier ansässigen Hotels.
Der See selbst ist aufgrund seiner Lage an der Schwarzwaldhochstraße seit Jahrzehnten ein beliebtes Ausflugsziel mit Gastronomie, Kunstpfad, Tretbootverleih und Wanderwegen. Aber die alten Geschichten sind nie ganz verstummt.
Vielleicht liegt es an der besonderen Stimmung: Das Wasser bleibt selbst an hellen Tagen tiefgrün bis schwarz, der Wald legt sich schützend und bedrohlich zugleich um den See, und sobald Nebel vom Hornisgrinde-Gipfel herabsinkt, könnte man meinen, gleich steige eine Nixe aus dem Wasser empor.
So bleibt der Mummelsee, was er seit langem war: ein Ort zwischen Naturerlebnis und Fantasie, zwischen Ferienidyll und Mythos. Wer hier verweilt, darf sich entscheiden: Glaubt man den Geologen oder den Sagen? Oder bestenfalls beiden ein bisschen ...