
Für Yoga bin ich nicht gelenkig genug! Diese Aussage hält leider immer wieder Menschen davon ab mit Yoga zu beginnen. Fakt ist jedoch, dass man erst durch das Üben von Yoga gelenkiger wird. Dies ist vergleichbar mit dem Erlernen einer Sprache, bei der man zu Beginn auch noch keinen ganzen Satz sprechen kann. Nach und nach lernt man allerdings in den Unterrichtstunden neue Wörter und Satzbausteine, bis sich schon bald ein ganzer Satz daraus ergibt.
Der Schulterstand (Sarvangasa) vereint viele positive Eigenschaften auf körperlicher, energetischer und geistiger Ebene und eignet sich optimal für die Mobilisierung der Hals- und Brustwirbelsäule. Eine flexible Wirbelsäule verleiht dem Körper Stabilität und ermöglicht eine gesunde Körperhaltung. Auch in Bezug auf das Rücken- und Faszientraining zeigen Forschungen, dass eine Dehnung der Wirbelsäule dafür sehr wichtig ist. Die Dehnung kommt dem hinteren Längsband der Wirbelsäule sowie den Muskeln und Bändern im Nacken und oberen Rücken zugute.
Beim Yoga wird der Körper immer ganzheitlich betrachtet. So stärkt der Schulterstand darüber hinaus auch die Armmuskeln, insbesondere den Bizeps. Gedehnt werden in dieser Asana der Rückenstrecker, der Trapezmuskel/Kapuzenmuskel und die Nackenmuskeln.

Des Weiteren ist diese Übung für den Kreislauf eine Wohltat. Da die Beine und der Bauch hier höher liegen als das Herz, kann das venöse Blut einfacher zurück zum Herzen fließen. Es kommt zu einer Erhöhung der Fließgeschwindigkeit des Blutes und folglich zu einer vermehrten Versorgung der Organe und Muskeln mit Nährstoffen. Das verhindert beispielsweise Wasseransammlungen in den Beinen. Außerdem profitieren die Arterien davon, da der Körper lernt, diese selektiv zu erweitern oder zu verengen. Im Schulterstand kann der Kreislauf einfacher regenerieren und der Herzmuskel durch passive Dehnung gestärkt werden.
Damit auch Menschen mit Bluthochdruck in den Genuss der Übung kommen können, ohne den Blutdruck im Kopfbereich zu steigern, kann hier alternativ die Schulterbrücke geübt werden. Darüber hinaus hilft der Schulterstand bei Verdauungsproblemen. Die tiefere Atmung wirkt wie eine sanfte Massage auf den Verdauungstrakt. Außerdem wird in dieser Position die Bauchatmung anstelle der angewöhnten Brustkorbatmung fokussiert, da nur diese im Schulterstand effektiv möglich ist.

In der Yoga-Lehre geht man davon aus, dass durch den Schulterstand insbesondere das Sonnengeflecht und das Mondzentrum aktiviert werden. Die dabei gewonnene Energie lässt uns für unsere Leidenschaft brennen und liefert damit den Antrieb, um Projekte voranzubringen. Das Sonnengeflecht steht in diesem Zusammenhang für die notwendige Energie für Durchsetzungskraft, Mut und Charisma. Der Gegenpol dazu ist das Mondzentrum, das uns hilft, die innere Ruhe zu fördern, unser Bewusstsein zu erweitern und für Entspannung, Regeneration und Meditation zu sorgen. Es ist wichtig, dass diese beiden Pole in gesundem Ausgleich bleiben, was durch den Schulterstand hergestellt werden kann.
Der Schulterstand gilt als die Königin der Asanas, der Kopfstand (Shirshasana) als der König der Asanas. Im Schulterstand ist der Kopf leicht gebeugt, was einer Demutshaltung gleichkommt. Die Schultern aber haben festen Kontakt mit dem Boden. Diese Symbolik ist in ähnlicher Form auch in der griechischen Mythologie bei dem Riesen Atlas bekannt, der das Himmelsgewölbe auf seinen Schultern trägt. Im Schulterstand trägt man bildlich gesprochen die Erde auf den Schultern. Dies symbolisiert nicht nur die Verbundenheit zu Mutter Erde, sondern auch, dass man sich auf diese Verbindung einlässt und sie nicht bekämpft. Es hilft, seine Mitmenschen mit all ihren Fähigkeiten und Schwächen zu akzeptieren und erleichtert ebenfalls mit Aufgaben einfacher zurecht zu kommen, die das Leben mit sich bringt.
Damit jeder in den Genuss der Wirkungen des Schulterstandes kommen kann, gibt es zahlreiche Variationen, die die individuellen körperlichen Voraussetzungen des Teilnehmers berücksichtigen. Die Wirkung der Übung wird dadurch nicht geschmälert.


