Der Friedhof in Weinheims nördlichstem Ortsteil Sulzbach. Von hier aus führt ein Hohlweg ins Vorgebirge. Schattig ist er, obwohl doch die Sonne an diesem Tag am Himmel steht. Und steil. Zumindest bis zu dem Punkt, an dem der Anstieg auf den Blütenweg trifft. „Noch weiter hoch geht es zum Burgensteig“, erklärt Bernd Ullrich. Wir sind unterwegs im Norden Baden-Württembergs. Ein Ort, an dem hessische und badische Bergstraße zusammen eines der kleinsten Weinbaugebiete Deutschlands bilden. Ein Ort, der mit seinem Blütenweg bei Wanderern besonders im Frühjahr beliebt ist, wenn Obst- und Mandelbäume ihre Farbenpracht entfalten. Ein Ort, an dem der Verein Blühende Bergstraße aktiv ist. Bernd Ullrich ist dessen Geschäftsführer.
Ullrich biegt nach links ab und folgt dem Blütenweg, der sich an dieser Stelle in Schlingen um den Berg windet. Er geht in Richtung Eichbachtal. Das ist landschaftlich betrachtet nicht besonders auffällig. Aber auffällig grün, was auch an den weiten Wiesen liegt, die sich links und rechts vom Tal aus in die Höhe ziehen. „Das war die erste Maßnahme, die wir umgesetzt haben“, erinnert er sich an die Aktionsgruppe, die sich einst fand, um den sich an dieser Stelle bildenden Wald in eine Freifläche umzuwandeln.
Das war vor zehn Jahren. Eine Zeit, in der die Aktiven noch als Beteiligte eines Projekts agierten, das von den Gemeinden Laudenbach, Hirschberg und Dossenheim sowie den Städten Weinheim und Schriesheim ins Leben gerufen worden war. Das Ziel: die einmalige Kulturlandschaft der Bergstraße bewahren und entwickeln. So liest es sich auf der Internetseite des Vereins.
Seitdem ist viel passiert. Das Projekt ist 2018 in einem Verein aufgegangen, dem neben den Kommunen auch Privatleute angehören, und die Arbeit zeigt längst Wirkung: Im Vorgebirge wird es auf vielen Ebenen immer bunter. Die Landschaft an den Ausläufern des Odenwalds verwandelt sich zusehends in eine arten- wie blütenreiche Kultur – das ist, was sich hinter den Worten des "Bewahrens und Entwickelns" verbirgt. Und nebenher befassen sich die Vereinsmitglieder mit Naturschutz. Es ist ohne Frage eine große Aufgabe, der sich der Verein verschrieben hat, und die nicht immer Früchte trägt. Viele Grundstücke entlang des Blütenwegs sind seit langem nicht mehr bewirtschaftet, und nicht wenige Grundstückseigner zeigen sich unbeeindruckt von der Ansprache seitens des Vereins. Der wird nicht müde wird, seine Hilfe anzubieten, im Hinblick auf Entwaldung und darüber entstehende Pflege. Daher feiern die Mitglieder auch immer wieder Erfolge.
Ullrichs Weg führt vom Eichbachtal in Richtung Norden. Dahin, wo der Wald endet, die Sonne sich auf das Gesicht legt und der Blick sich gen Rheinebene öffnet. Entlang des Wegs liegt eine der jüngeren Maßnahmen des Vereins. Sie erstreckt sich auf rund einen Hektar. Links des Pfads sind einzelne Bereiche von Überwucherung befreit und Zäune entfernt worden. Kein leichtes Unterfangen, denn je weiter Ullrich geht, desto schmaler wird der Weg. „Mit großem Gerät kommt man hier nicht weit“, sagt er, spricht von Knochenarbeit.
In diesem Bereich, auf der Höhe der nördlichen Bebauung Sulzbachs, erreicht er ein Grundstück, dass – gekrönt von einem großen Kirschbaum – so gar nichts von grüner Wiese hat. Es steht aber beispielhaft für die Arbeit des Vereins: Hier wurde Wildwuchs entfernt, um den Boden wieder atmen zu lassen, ihm Regen zu gönnen, und ihn irgendwann zur Wiese werden zu lassen. „Das dauert drei bis vier Jahre“, erklärt Ullrich.
Alles beginnt mit dem Mähen des gesamten Areals, dem Abholzen der bis zu drei Meter hohen Brombeeren. Doch viel wichtiger ist die Nachpflege. „Die braucht es, sonst war alles für die Katz'“, macht Ullrich klar. Also werden die Wurzeln des Efeus gekappt, das sich längst in die Krone der Kirsche getreckt hat, damit es stirbt und der Baum wieder sich allein gehört. Nachpflege heißt auch das Beweiden der Flächen mit Ziegen und Schafen, die den letzten nachwachsenden Brombeeren den Garaus machen, das teilweise Nachbearbeiten des Bodens samt Einarbeitung von Gras-Saat, wenn es derer bedarf, und der Pflegeschnitt der auf dem Grundstück stehenden jüngeren Obstbäume.
Ein Beispiel dafür, wie es später aussieht, zeigt das Stück Natur direkt daneben. Hier sorgt nicht der Verein, sondern der Besitzer selbst dafür, dass saftig-grünes Gras wächst, die Obstbäume gedeihen und die Reben austreiben. Die Wiesen sind nicht nur wichtig dafür, dass Obst- und Mandelbäume wieder genügend Raum und Nährstoffe haben. Flora ist schließlich nur die eine Seite – die andere ist die Fauna. Der Verein fördert durch seine Arbeit sogenannte Vernetzungsachsen, die vom ersten Hang hoch in den Odenwald führen, und aufgrund derer Tiere den Raum durchqueren können.
Am Ende gewinnt so die gesamte Natur durch die Arbeit des Vereins. Aber eben auch die Wanderer, die sich entlang des Blütenwegs mit seinen 95 Kilometern Distanz von Darmstadt bis Wiesloch auf dem Abschnitt zwischen Laudenbach und Dossenheim selbst von den Auswirkungen der Maßnahmen überzeugen können –sei es durch den Anblick der Blütenlandschaft oder dem – durch die Entfernung der Verbuschung – an vielen Stellen freigelegten Fernblick über die Rheinebene hinüber zum Pfälzer Wald.
„Wir haben schon viel geschafft“, ist Ullrich durchaus zufrieden. Er weiß, dass der Verein mit seinem Ansatz der Betrachtung von sowohl Landschafts- wie Naturschutz wichtige Arbeit leistet. Ein Ansatz, der Grund genug ist, dass sich auch beispielsweise BUND oder Obst- und Gartenbauvereine im Verein engagieren. Und gerade diese Teamarbeit mit ihrer Vernetzung zu Mitgliedern, die bei Maßnahmen zugleich helfende Hände sind, macht den Erfolg aus. „Keiner von uns wäre alleine so weit gekommen, wie wir jetzt gemeinsam gekommen sind“, ist sich Ullrich sicher.