Tief im Schwarzwald, wo der Titisee zwischen dunklen Tannen und Fichten liegt, erzählen sich die Leute bis heute eine alte Geschichte: Von Guta, einer Stadt mit Kloster, die genau dort gestanden haben soll, wo jetzt die Wasseroberfläche schimmert. Dann kam der Bruch: Übermut und Respektlosigkeit gegenüber Wald, Moor und Wasser. Eines Tages verschwand alles; Guta versank in der Tiefe. Heute liegt der Titisee still, aber unter der Oberfläche soll ein Geheimnis liegen.
In der Sage lebt Guta als wohlhabende Stadt weiter. Reichtum und Prunk bestimmten das Leben, während das Einfache in Vergessenheit geriet. Man wollte den alten Wald roden, um Platz für die Stadt zu schaffen. Ein Moor sollte trockengelegt werden, um noch mehr Land zu gewinnen.
Ja, sogar das Brot wurde missbraucht: Die Kruste trug man als Schuhe, die weiche Krume war den Tieren vorbehalten. Ein groteskes Bild, fast wie eine Karikatur des Überflusses. Und wie so oft in solchen Geschichten: Maßlosigkeit und fehlender Respekt rufen Strafe hervor.
An einem Morgen soll das Wasser angestiegen sein, unaufhaltsam. Kloster, Häuser, Straßen und die Einwohner – alles wurde verschluckt. Zurück blieb nur ein See. Der Titisee, wie wir ihn heute kennen.
Wenn man an einem windstillen Sonntag am Ufer sitzt, hört man manchmal jemanden sagen: „Siehst du dort, wo das Wasser sich kräuselt? Da ragt die Turmspitze empor.“ Ein Schatten vielleicht, ein Spiegelbild. Aber, wer weiß das schon so genau. Andere schwören, bei ruhigem See klinge ein leises Glockenläuten aus der Tiefe herauf.
Ganz verschwunden ist die Sage nicht. So brachten die Jostäler Freilichtspiele im Jahr 2011 das Drama „Der Untergang von Guta“ auf die Bühne der Öhlermühle. Über hundert Mitwirkende spielten damals Stadtbewohner, Baumgeister, Waldfrauen, Seehexen. Das Stück bot eine lebendige Erinnerung an eine Geschichte, die andernfalls verblassen könnte.
Ob es Guta je gab? Wahrscheinlich nicht. Vielleicht aber doch. Gerade diese Unsicherheit macht den Reiz aus. Der See liegt da, ruhig und klar, und wer hinüberschaut, sieht mehr als nur Wasser. Spiegelnde Bäume, Froschgequake, der Gedanke an etwas Verlorenes.
Und so bleibt die Sage bestehen, mal als leises Raunen, mal als Theaterstück, mal als Gespräch am Ufer. Turmspitzen, Glockenklang, Schatten im Wasser. Wer hinsieht oder lauscht, erhascht vielleicht einen kleinen Eindruck von Guta. Und wer nicht, kann wenigstens die Geschichte der versunkenen Stadt erzählen.
Der Titisee misst etwa 1,07 Quadratkilometer, ist durchschnittlich 20 Meter tief, an seiner tiefsten Stelle erreicht er knapp 40 Meter.
Erste schriftliche Hinweise auf den See tauchten im 11. und 12. Jahrhundert auf. Namen wie „Lacu titinse“ oder „Titunsee“ sind durch Urkunden aus Klöstern und Pfarreien belegt.
Für die Existenz von „Guta“ gibt es keine archäologischen Beweise. Im See gibt es keine Ruinen, keinen Turmrest und kein Kloster, zumindest nichts, das wissenschaftlich fundiert wäre. Die Sage bleibt eine Sage. Manche Quellen sprechen davon, sie diene als Warnung vor Überheblichkeit, vor Naturzerstörung.