Wenn ein geliebter Mensch sich das Leben nimmt, bleibt etwas zurück, das sich nicht in Worte fassen lässt:
Fragen. Schmerz. Sprachlosigkeit.
Und mittendrin: ein Kind.
Ein Kind, das spürt, dass etwas nicht stimmt.
Ein Kind, das fragt. Oder verstummt.
Ein Kind, das oft denkt: „Ich bin schuld.“
Wenn du gerade in dieser Situation bist, möchte dieser Text dir etwas geben:
Klarheit.
Worte, wo dir die Sprache fehlt.
Halt – damit du Halt geben kannst.
Kinder spüren, wenn etwas nicht stimmt. Auch wenn sie noch klein sind.
Wenn du nicht mit ihnen sprichst, füllen sie die Lücken selbst – mit Fantasie, Schuld, Angst.
Schweigen schützt nicht. Es verunsichert.
Sag zum Beispiel:
„Ich möchte mit dir über etwas sehr Trauriges sprechen. Es ist schwer, aber du darfst alles fragen. Ich bin hier.“
Ein Suizid ist kein einfacher Tod. Und doch: Ein Kind darf wissen, dass er passiert ist.
Sag nicht:
„Er ist eingeschlafen.“
„Sie ist gegangen.“
Sag ehrlich:
„Er ist gestorben.“
„Sie hat sich selbst das Leben genommen. Man nennt das Suizid. Das ist, wenn jemand so krank in seiner Seele ist, dass er keinen anderen Ausweg mehr sieht.“
Erkläre, dass das die Folge einer schlimmen Krankheit war.
Kinder müssen nicht alles verstehen – aber sie brauchen eine ehrliche, kindgerechte Erklärung.
„Du bist nicht schuld.“
Kinder beziehen alles auf sich. Sie denken:
„Ich war böse.“
„Ich habe ihn geärgert.“
„Ich habe nicht genug geliebt.“
Zerschlage diese Gedanken. Sofort. Wiederholt.
„Du bist nicht schuld. Auch nicht ein bisschen. Diese Krankheit war stärker als alles andere. Aber sie hatte nichts mit dir zu tun.“
Kinder denken oft: „Er wollte nicht mehr bei mir sein.“
Das tut weh. Und es stimmt nicht.
„Er war krank. Nicht am Körper, sondern in seiner Seele. Diese Krankheit hat ihm gesagt, dass nichts mehr hilft. Aber es gab Wege. Er konnte sie nur nicht mehr sehen.“
Manche fragen direkt: „Wie hat er sich umgebracht?“
Manche gar nicht. Manche spielen einfach weiter.
Was du antwortest, hängt vom Alter ab – aber bewahre immer dieselbe Haltung:
Du nimmst jede Frage ernst. Und du darfst sagen, wenn du selbst nicht alles weißt.
„Das ist eine schwere Frage. Ich erzähle dir so viel, wie du wissen willst. Du darfst jederzeit sagen: Jetzt reicht es.“
Nicht jedes Kind reagiert sofort. Das ist okay.
Wichtig ist: Das Kind spürt, dass es dich hat. Und dass Reden erlaubt ist – jetzt oder später.
„Wenn du irgendwann reden willst – ich bin da. Auch wenn es morgen ist oder in einem Jahr.“
Kinder dürfen traurig sein.
Sie dürfen wütend sein – auch auf den Verstorbenen.
Sie dürfen erleichtert sein – wenn das Leiden vorbei ist.
Alles ist erlaubt. Nichts ist falsch.
„Du darfst wütend sein. Du darfst traurig sein. Du darfst alles fühlen, was gerade da ist.“
Wenn ein Mensch sich das Leben nimmt, bleibt etwas zurück, das schwer auszuhalten ist – besonders für Kinder:
Eine Mischung aus Traurigkeit, Verlassenheit und oft auch: Wut.
Viele Kinder trauen sich nicht, sie zu zeigen. Oder sie denken: „Ich darf das nicht. Ich müsste doch traurig sein.“
Und doch ist sie da:
Das ist normal. Das ist gesund. Das ist erlaubt.
Denn Wut ist kein Zeichen von Herzlosigkeit. Wut ist ein Schutzgefühl – sie gibt einem ohnmächtigen Kind ein Stück Kontrolle zurück.
Deine Aufgabe als Begleitung:
Nicht die Wut erklären, sondern sie aushalten.
Nicht „wegtrösten“, sondern sagen:
„Ja, das darfst du fühlen. Du darfst ihn lieben – und gleichzeitig wütend sein.“
Sag:
„Ich sehe, dass du wütend bist. Das darfst du sein.“
„Es ist okay, wenn sich das alles widersprüchlich anfühlt.“
„Worauf bist du gerade am meisten wütend? Was würdest du ihm sagen, wenn er hier wäre?“
Gib Raum für laute Gefühle – ohne sie zu bewerten.
Kinder, die Wut fühlen dürfen, trauern gesünder.
Kinder, deren Wut abgetan oder ignoriert wird, ziehen sie nach innen. Und das macht krank.
Wut will nicht „weg“ – sie will fließen.
Kinder brauchen Möglichkeiten, diese Energie auszudrücken – ohne andere (oder sich selbst) zu verletzen.
Deine Aufgabe ist nicht, die Wut zu bremsen – sondern sie sicher zu kanalisieren.
So kannst du bei Wut helfen:
Und ganz wichtig: Bleib beim Kind – auch im Sturm.
Sag:
„Ich bin bei dir, egal wie groß deine Wut wird.“
„Du darfst dich sicher fühlen – auch mit Gefühlen, die sich unsicher anfühlen.“
„Wut ist kein Zeichen, dass du ihn nicht geliebt hast. Sie zeigt, wie sehr du ihn vermisst.“
Auch für Kinder, die keine Wut verspüren, sind Rituale hilfreich. Kleine Gesten können viel Halt geben.
Schlag dem Kind einfache, liebevolle Rituale vor:
Rituale machen Raum für Gefühle – ohne zu überfordern.
► Rituale, die Kinder in der Trauer begleiten
Auch du brauchst Halt. Und manchmal Hilfe.
Es ist keine Schwäche, zu sagen: „Ich schaff das nicht allein.“
Es ist Fürsorge – auch für das Kind.
Diese Stellen können helfen:
Manchmal helfen Worte. Manchmal braucht es konkrete Hinweise.
Hier findest du vertrauensvolle Stellen, wenn du ein Kind nach einem Suizid begleiten musst – oder selbst Halt suchst:
Kinder trauern anders. Langsamer. In Etappen.
Was sie heute verstehen, müssen sie morgen vielleicht neu hören.
Darum:
„Du bist nicht schuld.“
„Er war krank.“
„Ich bin da.“
„Du darfst traurig sein.“
„Wir reden, wann du willst – oder schweigen.“
Du brauchst keine perfekten Antworten.
Du brauchst kein Fachwissen.
Du brauchst nur Ehrlichkeit. Geduld. Und die Bereitschaft, ein Kind durch das Unfassbare zu begleiten.
Wenn du das tust – bist du genau richtig.
„Ich kann dir nicht alles erklären. Aber ich verspreche dir: Du musst da nicht allein durch.“
► Wie rede ich mit Kindern über den Tod
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