Wer an den Schwarzwald denkt, denkt wohl an einige Sachen zuerst - Schwarzwälder Schinken, Kuckucksuhren, Schwarzwälder Kirschtorte und natürlich: Den Bollenhut. Die auffällige Kopfbedeckung ist aus der Folklore nicht mehr wegzudenken, nicht zuletzt dank Heimatfilmen und geschicktem Marketing.
Als Schwarzwaldmädel stand Sonja Ziemann in der Nachkriegszeit im gleichnamigen Operettenfilm beim gesamtdeutschen Publikum für ein Stück heile Welt – der Film wurde ein echter Kassenschlager. Und heute ziert der Strohhut mit den leuchtend roten Wollbällen zahlreiche Produkte aus dem Schwarzwald und auch die Schwarzwald Tourismus GmbH, das zentrale Marketing-Organ der Region, trägt den Bollenhut stolz im Logo.
Inzwischen ikonisches Symbol für eine ganze Region, hat der Bollenhut allerdings ursprünglich eine enge räumliche Herkunft: Denn seine eigentliche Heimat erstreckt sich gerade mal über rund 50 Quadratkilometer. Als Teil der Tracht in den drei mehrheitlich evangelischen Dörfern Gutach, Wolfach-Kirnbach und Hornberg-Reichenbach im Herzen des Schwarzwalds war er den dort wohnhaften Frauen vorbehalten. Dort, entlang der Flüsschen Kinzig und Gutach ist der Bollenhut also ursprünglich zuhause und hier ist man auch besonders stolz auf die Tradition.
Am 7. Januar 1797 wies der württembergische Herzog Friedrich Eugen die Gutacher Hutmacherinnen über seine Kanzlei an, dass auf die Strohhüte die „übliche Dekoration von schwarzer und roter Farbe“ aufzutragen sei. Das Datum wird heute als Geburtsstunde des Bollenhuts angesehen, er wird also dieses Jahr 225 Jahre alt. Und spätestens 1841 kann er in seiner heutigen Form auch grafisch nachgewiesen werden.
Auch heute noch ist die Herstellung eines Bollenhuts Hand(werks)arbeit. Rund eine Woche sitzen Gabriele Aberle in Gutach oder Waltraud Kech in Kirnbach an einem Exemplar. Die beiden pflegen die Kunst des Bollenhutmachens noch nach alten Traditionen und mit strengen Vorgaben. Das Knüpfen der roten Wollbälle, die danach liebevoll und behutsam in Form geschnitten werden, aber auch das Bestreichen mit Gips und das „Rendeln“, das Ziehen der schwarzen Lackstreifen, erfordern Geduld, Präzision und eine ruhige Hand.
Seinen auffälligen Kontrast erhält der Hut durch die weiße Farbe, traditionell mit Kalk oder Gips hergestellt, und die schwarzen Unterhaube aus Seide mit dem Hutband und der Schleife. Die Bollen sind in Kreuzform aufgebracht, als Symbol für den Glauben, dem die Tracht entspringt. 14 Stück sind es in der Regel, drei versteckte unter den 11 sichtbaren.
Dabei ist der Hut kein Leichtgewicht: Rund anderthalb bis zwei Kilogramm wiegt ein Exemplar, Hut ab also vor den Damen, die ihn auf dem Kopf herumtragen. Die Tracht ist auch heute noch im kirchlichen und weltlichen Brauchtum fest verankert. So ist sie in Gutach am Ostersonntag und zu Erntedank zu sehen, aber auch bei gemeindlichen Festen und Feiern.
Zum Hut wird ein schwarzer Faltenrock aus Wifel, einem schlichten Hanf-Woll-Stoff, mit einem angenähten und reich bestickten Mieder („Libli oder „Lible“) und samtenem, geblümten Kragen („Goller“) über einer weißen Puffärmelbluse mit Rüschen getragen. Violette Bänder zieren die Tracht, dazu gibt’s das „Mäschle“ mit „Spiegele“ – ein buntes Glasperlengebinde, das in die Haare geflochten wird. Die Füße wärmen Strümpfe aus Wolle mit Kaninchenfellbeigabe.
Die Männer sind meistens schlichter gewandet – wichtig ist der schwarze Samthut, dazu trägt der traditionsbewusste Gutachtaler schwarze Hose und eine schwarze Weste plus ein weißes Hemd.
Übrigens: Die roten Bollen sind ausschließlich unverheirateten Frauen vorbehalten. Ab der Konfirmierung darf der Hut getragen werden, zur Hochzeit gibts die Hochzeitskrone mit ihrem aufwändigen, perlenbestickten Aufsatz, nach der Hochzeit wird der Hut dann gegen ein Exemplar mit schwarzen Bollen ausgetauscht. Zuvor, also bis zur Konfirmierung, ist das schwarze Häubchen, das später unter dem Hut getragen wird, Teil der Mädchen-Tracht.
Das Tragen der „echten“ Hüte und der dazugehörigen Kirnbacher oder Gutacher Tracht ist eigentlich nur den Frauen aus den Orten vorbehalten. Zwar ist er nicht regional geschützt, die Bollenhutmacherinnen achten aber streng darauf, dass ihre Produkte nur heimische Köpfe zieren. Alle anderen können den Hut mit nach Hause nehmen – im Miniaturformat, auf T-Shirts oder auf zahlreichen Produkten. Das ist auch schön.
Dass der Bollenhut bis heute existiert, ist übrigens Glück – denn um ein Haar wäre es ganz anders gekommen. Als die badische Großherzogin Hilda in Gutach ein Trachtenfest besuchte, hatte die dortige „Bollehutmacherin“ ihr, so will es jedenfalls die Überlieferung, ein besonders schönes Exemplar als Gastgeschenk zugedacht. Überreicht hat ihn allerdings eine andere Dame, eine aus der „besseren Gesellschaft“, woraufhin die Schöpferin so erzürnt war, dass sie beschloss, nie mehr einen solchen Hut herzustellen.
Auch ihre Nichte, ebenfalls bewandert in der Kunst, nahm die Schmähung derart mit, dass sie Jahre später noch den Hausacher Maler, Dichter und Heimatkundler Dr. Eugen Falk-Breitenbach, der sich auf die Suche nach den letzten Beherrscherinnen der Kunst gemacht hatte, gar ungastlich mit einer Schimpftirade empfing und ihn angeblich schließlich sogar mit der Futtergabel verjagte.
Um selbst hinter das Geheimnis zu kommen, kaufte Falk-Breitenbach seiner Frau Emma 1952 einen alten Bollenhut, den sie bis ins Detail analysierte – ebenso wie einen zweiten und dritten. Nach einiger Zeit gelang es Emma Falk so schließlich selbst einen Bollenhut herzustellen, der dem Original in nichts nachstand und sogar die Anerkennung der Frauen in den Orten fand. So wurde Emma Falk zur neuen „Bollehutmacheri“, wie später ihre Nichte Hedwig Kaltenbach und heute deren Tochter Gabriele Aberle.
Schön für die Gutacherinnen, aber auch schön für alle, die sich an Traditionen erfreuen können – und für den Schwarzwald, der so eines seiner Wahrzeichen bis heute erhalten hat.
Einen Einblick in die Entwicklung der Schwarzwälder Trachten gewährt auch das Trachtenmuseum in Haslach, mit über 100 Schwarzwälder Originaltrachten. Nussbaum Club-Mitglieder und Abonnenten zahlen hier einmal Eintritt für zwei Personen und können zusätzlich das Hansjakob-Museum im „Freihof“ besuchen.
Zudem kann man jeden Sonntag von Mai bis September im Freilichtmuseum Vogtsbauernhof Gutacher Trachtenträgerinnen mit der originalen Bollenhuttracht bestaunen.