Ees gibt Nacht- und Nacktwanderungen, Wanderungen durch Wüsten und über die Alpen, Touren, die feuchtfröhlich in Weinstuben oder Biergärten enden und andere, die ins Wasser fallen. Wie zum Beispiel eine Flussbettwanderung.
Dabei könnte man nass werden, aber genau das ist ja der Reiz an diesen immer beliebter werdenden Touren entlang und in der Murg.
Die Murg entspringt mit zwei Quellbächen bei Baiersbronn und fließt zum Rhein. Sie trennt den Mittleren Schwarzwald vom Nördlichen, den grauen Granit vom roten Sandstein und sogar die Dialekte.
► Naturpark Schwarzwald Mitte/Nord
► Naturpark Südschwarzwald
Südlich der Murg schwätzen sie badisch. Am nördlichen Flussufer wird schon fränkisch gebabbelt. Zumindest war es früher so. In alter Zeit war die Murg ein wichtiger Transportweg für Tannenholz. Die Flussschiffer mit ihren langen Flößen sind bis heute unvergessen.
Der Fluss kann reißend sein, das hat er schon öfters bewiesen. Die wichtigste Stadt des Tals, Gernsbach, wird nicht ohne Grund von hohen Dämmen geschützt. „2020 stand das Hochwasser acht Meter hoch“, berichtet unser Guide Kevin, 27, der in den Sommermonaten fast täglich hier im Flussbett unterwegs ist.
Der drahtige Kevin führt nicht nur durch den Fluss, sondern paddelt mit Wagemutigen auf dem Rhein oder segelt im Schwarzwald durch die Lüfte. Kevin kann so ziemlich alles und ist allzeit bereit. Kevin hat Bewegungsdrang und kann kaum sitzen. Kevin? Kevin!
„Ich heiß’ Kevin und kann auch nichts dafür“, sagt der junge, dürre Mann mit der Sonnenbrille und dem gewinnenden Lächeln. Der Outdoor Adventure Guide ist der Mann, der die Gegend kennt wie seine Westentasche und uns sagt, wie man von der einen Brücke zur anderen oberhalb des Bahnhalts Raumünzach kommt. Aber zuerst müssen sich die Teilnehmer von der 15 Meter hohen Bogenbrücke mit ihren schönen Bögen abseilen. Mit diesem Adrenalinpusher beginnt hier jede Wanderung durch die Murg.
Unsere Gruppe ist bunt gemischt, Frauen, Männer, jung und alt, solche, die immer wandern und solche, die den Wald nur vom Hörensagen kennen, sind dabei. Und auch solche mit
Höhenangst …
Abseilen ist einfach, wenn nur die Höhe nicht wäre … Aber mit zwei Seilen und Kevin als Sicherheit traut sich doch fast jeder. Der Trick? Kevin vertrauen, sich mit den Schuhsohlen fest an der Brückenmauer abstoßen und quasi abwärts hüpfen. Marie macht es vor. Drei-, vier-, fünfmal von der Wand abstoßen – schon ist sie unten und grinst nach oben. Bei den nächsten ist es nicht ganz so elegant, aber sie lachen und haben keine Angst. Ich allerdings bin einfach nur froh, dass ich mich traue. Dafür bekomme ich keinen Schönheitspreis.
Einmal drehe ich den Kopf und schaue in die Tiefe, aber nie wieder! Mir wird schwindlig. Kevin dagegen läuft rückwärts am Seil die Brückenmauer runter. Elegant, schnell, wie Spiderman.
Der Gebirgsfluss hat immer noch genügend Wasser, um an einigen Stellen zu baden. Dort kräuselt sich das Wasser, sind Wirbel zu erkennen, riffelt sich die vom Wind bewegte Wasseroberfläche. Steine, die so groß sind wie ein Kleinwagen, liegen wie Murmeln für Riesen im Wasser.
Um diese Inseln strömt das Wasser bergab. Dann gibt es noch die kleinen Steine, manche sind fußgroß, auf anderen haben zwei Leute Platz. Manche Felsen sind schmal und lang, andere rund wie eine Münze. Wieder andere haben die Form von Alpengipfeln. Unmöglich, da drauf zu stehen. Das aber ist jetzt die angesagte Kunst, denn die Flussbettwanderung geht nicht an einem Treidelpfad oder Uferweg entlang, sondern über Felsen, durchs Gebüsch und unter Sturmholz hindurch. Es geht nicht anders.
Nicht immer hat es die passenden Steine zum Springen und Landen, gerade dann, wenn sie zu weit auseinander liegen. Wie weit kannst du springen? Also müssen sich alle durch die Büsche schlagen oder dort über Stock und Steine laufen oder krabbeln. Sand liegt auf den Felsen, einige sind, obwohl sie trocken ausschauen, doch rutschig. „Der Sand ist gefährlich“, weiß Kevin. „Der macht’s rutschig.“ Wer Sand im Schuhprofil hat, sollte ihn rausklopfen. Schon ist es passiert, die ersten rutschen oder stolpern. Am Unterarm eine kleine Prellung, aber ein großer Schreck in den Gliedern, sind die Folge. Mehr passiert nicht, noch nicht. Von 20 000 Wanderern pro Jahr brächen sich zwei die Knochen, berichtet Kevin.
Er weiß, wovon er spricht. In seinem zweiten Berufsjahr unterschätzte er die glatten Steine im Fluss und kam mit zwei Rippenbrüchen und einem Muskelfaserriss ins Krankenhaus. Auch wenn er jetzt wie ein junger Hirsch springt, aufpassen tut er trotzdem. Denn diese Lektion ist unvergessen.
Endlich, freie Sicht auf die großen Steine und das wilde Wasser. Dem Sprung auf einen Stein, der etwas höher ist, folgt ein großer Schritt, auf einen Stein, der niedriger und näher liegt. Aber dann? Der nächste Fels hat gar keine richtige Fläche zum Draufstehen. Dann doch den anderen nehmen?
Aber wie geht es weiter? Manche Felsen haben eine irre schmale Oberfläche. Eigentlich kann man da nur drübertänzeln (klar, so wie Kevin!) oder die abschüssige Fläche als Sprungbrett benutzen wie bei den Ninja-Warrior-Parcoursläufern im Fernsehen. Oder man nimmt seine Hände zu Hilfe, lässt sich ein bisschen fallen, macht den Käfer und nimmt den Schwung mit. Natürlich, so wie Kevin. Auf allen Vieren geht’s aber auch. Wie ein Käfer, aber nicht wie bei Kevin ... Der macht’s besser und eleganter.
Wäre ich leichter oder jünger oder wenn die Steine enger beieinander liegen würden (ja, das Leben ist kein Ponyhof ...), dann könnte ich es so machen wie Marie, Mathieu, Kevin und die anderen jungen, spritzigen, agilen Bachwanderer. So elegant die Beine strecken und wie eine russische Ballerina von Stein zu Stein schweben, ja, das wär’s. Oder richtig schnell einen Sprung nach dem anderen machen und beim letzten – zu viel Schwung – fast ins Wasser kippen.
Einmal schaffe ich eine Runde. Drei, vier Steine in Folge. Es fühlt sich richtig gut an, ist aber leider fast am Ende der Tour. Eine Bachwanderin meint auch, dass sie gegen Ende mehr gewagt habe und viel mutiger gewesen sei. Wir sind uns beide sicher: Das nächste Mal machen wir den Kevin!
Ende gut, alles gut, alle lachen, einige applaudieren, Felicitas und Maria sitzen auf dem Baumstamm und grinsen selig. Mathieu kühlt die nackten Füße in der Murg. Verdammt kalt, auch eine Mutprobe. Kevin ist happy. Er war sich sicher, dass zwei nass von uns werden, aber alle sind trocken geblieben.
Eine letzte Frage: Wie lange war die Wanderung? Zwei Kilometer, zweieinhalb? So denken wir, aber es waren nur 750 Meter, klärt uns Kevin auf. Dafür spannen die Muskeln und zwickt’s im Knie, als wären wir von Sasbachwalden auf die Hornisgrinde gejumpt. Ein bisschen nass sind wir doch geworden. Schweißnass.
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