Kultur

Orchester Grenzenlos aus Fellbach: So geht Inklusion!

Das Fellbacher inklusive Orchester Grenzenlos zeigt, wie Inklusion funktioniert. Das Orchester aus Menschen mit und ohne Behinderungen im Porträt.
Ein Orchester. Ein Mädchen mit Down-Syndrom sitzt am Schlagzeug.
Das Fellbacher inklusive Orchester Grenzenlos zeigt, wie Inklusion funktioniert. Das Orchester aus Menschen mit und ohne Behinderungen im Porträt.Foto: Martin Wagenhan

Dienstagabend in der Fellbacher Musikschule: Nach und nach trudeln Frauen und Männer ein, jüngere und ältere. Sie tragen Flöten, Klarinetten, Trompete, eine Frau schiebt ihr Akkordeon in einem Wagen heran. Sie alle sind sichtlich gespannt und in freudiger Erwartung, dass ihre Probe gleich beginnt – die Probe für das Orchester Grenzenlos, das seit einigen Jahren existiert und es inzwischen auch schon zu einiger medialer Bekanntheit gebracht hat.

Grenzenlos – das sind 19 Männer und Frauen, mit oder ohne Handicaps, die Freude an Musik haben, ein Instrument auf unterschiedlichem Niveau spielen, und die sich eben regelmäßig treffen, um gemeinsam Musik zu machen. Fast alle nehmen Unterricht an ihren Instrumenten, sie sind zwischen 19 und 72 Jahre alt.

Aufwärmen im Jazz-Keller

Es geht ein paar Stufen nach unten in den Jazzkeller. In einem geräumigen Saal mit Bühne stehen Schlagzeug und Klavier bereit, eine Teilnehmerin stellt ihre Harfe dazu. Stühle und Hocker werden gerückt, Instrumente werden ausgepackt, Notenblätter rascheln. Es folgen ein paar kleine rhythmisch-musikalische Aufwärm- und Lockerungsübungen, die die Leiterin des Ensembles, Claudia Bühlweiler, vorgibt.

Blick in einen Keller, der zu einem Soundstudio umfunktioniert wurde. Das Orchester probt. Überall stehen Instrumente.
Das Ensemble probt in einem Keller in Fellbach.Foto: Barbara Scherer

An diesem Dienstagabend steht zunächst ein junger Mann im Fokus: Er möchte sein Lieblingslied vorstellen. Auf seine Bitte hat Claudia Bühlweiler die Musik heruntergeladen und sich ein paar Schrittfolgen überlegt. Das Lied erklingt, der junge Mann und alle, die möchten, machen die Schritte und tänzerischen Bewegungen mit.

Die Stimmung ist gelöst und locker, als die Männer und Frauen anschließend ihre Plätze einnehmen und auf das weitere Prozedere warten. Maja packt ihr Akkordeon aus: Das schwere Instrument könnte sie niemals allein transportieren, also hat sie sich einen Wagen gebaut, einen Kasten aus Holz gezimmert, der das rund zehn Kilogramm schwere Instrument aufnimmt. Sie hat ihn innen mit blauem Samt ausgeschlagen und außen mit blauer Farbe lackiert.

Frau präsentiert einen blauen Wagen, mit dem sie ein Akkordeon transportiert.
Das schwere Instrument könnte Maya niemals allein transportieren, also hat sie sich einen Wagen gebaut.Foto: Barbara Scherer

Langsam und trotzdem nah am Original

Die ersten Töne erklingen, noch nicht immer ganz punktgenau. Ein kurzer Stopp, dann geben Bühlweiler und ihre beiden Kollegen Florian Bony und Hans Fickelscher – beide ebenfalls Musikpädagogen – ein paar Verbesserungsvorschläge. Und weiter geht’s.

Eine Weile wird am Stück gefeilt. Da wird nochmal ein Ton getestet, hier ein Einstieg geübt, über Tempi diskutiert, probiert, improvisiert und variiert. Die Musiker und Musikerinnen sind hoch konzentriert dabei, ein gutes Ergebnis zustande zu bringen. Der ansteckende Lachanfall von Beatrix, der Querflötistin, zerstreut die leichte zwischenzeitliche Anspannung. Alle sind wieder voll motiviert dabei.

Stücke wie der Beatles-Klassiker Lady Madonna und auf Wunsch der Ensemble-Mitglieder das Stück „Comptine d’un autre été“ werden vorübergehend auch mal langsamer gespielt, als man es für gewöhnlich kennt. „Wir arrangieren die Stücke passend für unser Ensemble“, erklärt Hans Fickelscher. Im Lauf der Proben wolle man jedoch so nah wie möglich an das Original herankommen.

Lange Kooperation zwischen zwei Schulen

Grenzenlos wurde 2023 gegründet, die Wurzeln gehen weiter zurück. Seit 2003 besteht eine Kooperation zwischen der Fröbelschule und der Musikschule Fellbach. Schüler und Schülerinnen der Fröbelschule kommen jeden Donnerstag zur Musikschule und lernen dort in Einzel- und Gruppenunterricht ein Instrument und musizieren gemeinsam. Wenn sie jedoch die Schule verlassen, haben sie meist keine Möglichkeit mehr, mit anderen zusammen Musik zu machen. Das war einer der Gründe die inklusive Gruppe zu gründen, auch Erwachsene können so mit ihrem Instrument im Ensemble spielen. Einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer von „grenzenlos“ stammen noch aus dieser Kooperationsgruppe.

Gruppenfoto: Ensemble Grenzenlos
Gruppenfoto: Ensemble Grenzenlos.Foto: Martin Wagenhan

„Dieses Gefühl hab’ ich nur hier“

Auch Auftritte gehören natürlich dazu. Fragt man Bühlweiler danach, antwortet sie mit großer Begeisterung. „Wenn man miterlebt, wie jeder und jede alles gibt und letztlich über sich hinauswächst, das ist einfach mitreißend, ein sehr emotionales Erlebnis“, sagt sie.

Einen Auftritt vor einem großen Auditorium hatte das ungewöhnliche Ensemble beim von der Nussbaum Stiftung initiierten Forum für Gesellschaftlichen Zusammenhalt im vergangenen Herbst in der Stuttgarter Liederhalle. Da habe es am Schluss Standing Ovations gegeben, freut sich Bühlweiler noch heute.

Auf der Bühne. Landtagspräsidentin Muhterem Aras redet mit behinderten Enseble-Mitgliedern.
Beim großen Konzert im Rahmen des Forums für gesellschaftlichen Zusammenhalt war sogar Landtagspräsidentin Muhterem Aras vor Ort.Foto: Martin Wagenhan

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„Inklusion klingt ehrlich, unverstellt und herzerfrischend“, sagt Claudia Bühlweiler über das Ensemble und erzählt vom Stolz der Ensemblemitglieder. „Dieses Gefühl hab’ ich nur hier, im Ensemble“, zitiert sie eines der Mitglieder. „Das Gefühl, etwas wert zu sein.“

„Zerbrechliche Unvollkommenheit“

Für Hans Fickelscher ist die „zerbrechliche Unvollkommenheit“ Motivation für seine Arbeit mit dem Ensemble: „Man bekommt so viel zurück“, sagt er. Florian Bony hat sich immer eine Musikschule „für alle“ gewünscht, ohne Prüfung, dennoch mit Leistung – das Ensemble Grenzenlos sei dabei ein weiterer Baustein und komme dieser Idealvorstellung sehr nahe.

Allen drei Musikpädagogen ist es letztlich wichtig, dass ihre Arbeit keine Musiktherapie ist. Das Ensemble sei ein Ort, an dem jeder und jede ganz selbstverständlich dazugehören und an dem die Vielfalt wertgeschätzt wird – Grenzenlos eben.

von Redaktion NUSSBAUMBarbara Scherer
12.06.2025
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