Western. Das klingt nach endloser Prärie, spannenden Duellen und schummrigen Saloons. Doch kaum jemand weiß heute noch, dass im Rhein-Neckar-Dreieck um 1920 ein ganzer Schwung solcher Filme entstand. Keine Hollywood-Produktionen, sondern „Neckar-Western“, also Heimatkino im Wildwest-Look.
Der Kopf hinter dem Projekt war Hermann Basler, Sohn eines Ludwigshafener Fotochemikers. Weil der Erste Weltkrieg tobte, schickte ihn die Familie in die USA. Dort sah er, wie der Western zu einer der erfolgreichsten Filmgattungen überhaupt wurde und Helden wie „Broncho Billy“ oder William S. Hart schuf. Basler war elektrisiert. Kaum zurück in Heidelberg stürzte er sich in die Filmproduktion. Und warum klein anfangen? Er griff selbst zur Feder, stand vor der Kamera und führte Regie – alles in Personalunion.
Sein erster großer Coup: „Bull Arizona – Der Wüstenadler“. 1919 entstand der Stummfilm in den Dossenheimer Porphyrsteinbrüchen bei Heidelberg und in den Rheinauen bei Ludwigshafen. Die Felsen sollten für Arizona stehen, die Rheinauen für die Prärie. Es entstand der Kurpfalz-Westen mit Lokalkolorit.
Die Handlung war so wild wie die Fantasie dahinter: Der Revolverheld Bull Arizona rettet eine Dame vor dem Hitzetod, verteidigt Siedler gegen „Indianer“ und zieht im Saloon schneller als sein Schatten. Das Publikum liebte es.
Für die „Indianer“-Rollen holte man keine Schauspieler aus Übersee, sondern Männer eines Athletenclubs aus dem Ludwigshafener Arbeiterviertel Hemshof. Der Spitzname „Hemshof-Indianer“ für die Bewohner des Stadtviertels konnte sich viele Jahre halten.
Insgesamt entstand ein Dutzend solcher „Kurpfalz-Western“. Gedreht wurde mit Statisten aus der Region, Laien aus Sportclubs oder Familienangehörigen. Manche Szenen wurden im Atelier „Glashaus am Neckar“ in Heidelberg-Schlierbach aufgenommen. Die Requisiten sahen eher nach Fastnacht aus als nach Hollywood. Aber gerade das machte den Charme dieser Streifen aus.
Der Erfolg hatte auch einen praktischen Grund: Nach dem Ersten Weltkrieg Krieg kamen kaum US-Filme nach Deutschland, die Nachfrage war riesig. In kurzer Zeit entstanden in ganz Deutschland etwa 40 Western, zwölf davon allein in der Kurpfalz.
Doch die Euphorie hielt nicht lange. Ab 1920 wurde die staatliche Pflichtzensur durch die Reichsfilmstelle eingeführt. Und diese griff hart durch. Gewalt und allzu freizügige Szenen wurden gestrichen, ganze Filme verboten. Besonders den „Feuerteufel“ traf es hart: Er sei „für moralisch minderwertige Kinobesucher“ gemacht, urteilte die Prüfstelle. Ein Satz, der die Produzenten nicht nur finanziell ruinierte, sondern ihnen auch das Publikum beleidigend absprach.
1924 war Schluss: Die Heidelberger „Chateau Kunstfilm-Werke“ mussten Konkurs anmelden.
Hermann Basler aber gab nicht auf. Zwar zog er sich bald aus dem Filmgeschäft zurück, doch sein Unternehmergeist blieb. Später baute er eine Firma für Holzwerkstoffe auf und meldete zahlreiche Patente an. Aus dem Mann, der einst den Cowboy „Bull Arizona“ spielte, wurde ein Erfinder und Unternehmer.
Heute sind nur drei der „Neckar-Western“ erhalten: „Bull Arizona – Der Wüstenadler“ (1919), die Fortsetzung „Das Vermächtnis der Prärie“ (1920) und „Feuerteufel“ (1920). Sie zeigen, wie die Kurpfalz mit viel Enthusiasmus, wenig Budget und einem ordentlichen Schuss Provinz-Charme kurzzeitig zur Western-Hochburg wurde.
So entstand in Nordbaden ein kleines, beinahe vergessenes Kapitel der Filmgeschichte. Die Cowboys ritten zwar nicht durch Monument Valley, sondern durch den Steinbruch bei Dossenheim. Aber eines beweisen die Filme bis heute: Wildwest-Atmosphäre ist keine Frage der Geografie, sondern der Fantasie und Vorstellungskraft.