Redaktion NUSSBAUM
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Plädoyer für das Ehrenamt

Im Gespräch mit Gemeindetagspräsident Steffen Jäger

Steffen Jäger, Präsident des Gemeindetags von Baden-Württemberg sprach mit Nussbaum Medien beim Forum des gesellschaftlichen Zusammenhalts 2024.
Gemeindetagspräsident Steffen Jäger (links) und Journalist Benno Stieber auf dem Forum für Gesellschaftlichen Zusammenhalt 2024.
Gemeindetagspräsident Steffen Jäger (links) und Journalist Benno Stieber auf dem Forum für Gesellschaftlichen Zusammenhalt 2024.Foto: Tobias Arnold

Steffen Jäger ist der Präsident und Hauptgeschäftsführer des Gemeindetags von Baden-Württemberg und Vizepräsident des Deutschen Städte- und Gemeindebunds. Auf dem Forum für Gesellschaftlichen Zusammenhalt sprach er unter anderem über die schützenswerte Rolle des ehrenamtlichen Engagements, aber auch über die Herausforderungen, vor denen das Ehrenamt steht.

nussbaum.de: Herr Jäger, fangen wir mit einer recht einfachen Frage an. Wie geht es Ihnen?

Steffen Jäger: Mir persönlich geht es glücklicherweise sehr gut. Wenn Sie mich fragen, wie es mir in meiner Rolle als ein Vertreter für die Interessen der Städte und Gemeinden geht, muss ich deutlich sagen, dass es aus kommunaler Perspektive gerade sehr viele Herausforderungen gibt, für die wir momentan noch keine abschließenden und hinreichenden Antworten haben.

nussbaum.de: Vor welchen Herausforderungen steht das ehrenamtliche Engagement in Baden-Württemberg?

Jäger: Wir haben in Deutschland, insbesondere in Baden-Württemberg, ein sehr stark ausgeprägtes ehrenamtliches und bürgerschaftliches Engagement. Das ist eine wesentliche Grundlage, um eine gute gesellschaftliche Zukunft gestalten zu können. Allerdings nehmen wir wahr, dass das Ehrenamt, insbesondere das kommunalpolitische Ehrenamt, zunehmend einer sehr kritischen bis ablehnenden Grundhaltung begegnet. Namentlich sind da die Tätigkeit der Gemeinderätinnen und Gemeinderäte oder auch die Dienstausübung von freiwilligen Feuerwehrleuten zu nennen.

Dabei müssen wir uns bewusst machen, dass es gerade diese Menschen sind, die durch den Einsatz ihrer Freizeit und mit viel Idealismus, das örtliche Miteinander sicherer, besser und zukunftsfähiger machen - zum Teil auch mit Gefahr für das eigene Leib und Leben. Doch ihnen begegnet immer mehr Hass und Hetze. Wir sind als Gesellschaft gefordert, deutlich zu machen, dass wir das nicht akzeptieren.

nussbaum.de: Welche Lösungen gibt es für solche Probleme?

Jäger: Wir müssen darüber reden, ob man den Vollzug und die Bestrafung beschleunigen kann, wobei es hierzu schon verschiedene Ansätze gibt, die vorangetrieben werden. Um erfolgreich dagegen vorzugehen, müssen wir uns dem als Gesellschaft geschlossen entgegenstellen. Wir müssen deutlich machen: Das hat bei uns in der Gesellschaft, bei uns vor Ort nichts zu suchen.

nussbaum.de:Wie können konkret ehrenamtlich Engagierte und Vereine damit umgehen?

Jäger: Wir brauchen ein Grundverständnis für Formen eines gesellschaftlichen Miteinanders, an die wir uns alle halten sollen. Dazu gehört auch, um die beste Lösung zu streiten und in aller Deutlichkeit Argumente auszutauschen. Aber die Ebene hin zu einem persönlichen Angriff, zu Hass, Hetze oder gar zu Gewalt, darf nicht überschritten werden. Es ist auch die Frage, wie wir reagieren, wenn Einzelne diese Normen nicht mehr einhalten. Es kann nicht allein die Aufgabe der Betroffenen sein, dafür zu sorgen, dass das endet. Wir müssen als Gesellschaft viel stärker Zeichen setzen. Das ist auf der regionalen Diskussionsebene genauso entscheidend, wie auf der landes- oder bundespolitischen.

Gemeindetagspräsident Steffen Jäger (links) und Klaus Nussbaum, Verleger, Inhaber und Geschäftsführer der Nussbaum Stiftung auf dem Forum für gesellschaftlichen Zusammenhalt 2024.
Gemeindetagspräsident Steffen Jäger (links) und Klaus Nussbaum, Verleger, Inhaber und Geschäftsführer der Nussbaum Stiftung auf dem Forum für gesellschaftlichen Zusammenhalt 2024.Foto: Tobias Arnold

nussbaum.de:Abgesehen von den Herausforderungen und Problemen, wie ist es allgemein um die Situation des ehrenamtlichen Engagements in den Gemeinden Baden-Württembergs bestellt? 

Jäger: Wir haben keine Bodenschätze in Baden-Württemberg, die wir abbauen können. Aber einer der größten Schätze, den wir haben, ist, dass unsere Bürgerinnen und Bürger für ihr Leben mehr Sinn und Inhalt gestalten können, indem sie sich selbst um ehrenamtliches Engagement bemühen. Das gilt sowohl im bundesweiten als auch im internationalen Vergleich. Diejenigen, die mehr tun, als sie müssen, müssen auch entsprechend gesellschaftlich belohnt werden.

In den letzten Jahren gibt es aber verstärkt die Grundhaltung, dass der Staat für alles eine Lösung haben muss. Ich glaube jedoch nicht, dass das stimmt. Zum einen kann der Staat nicht alles lösen und zum anderen würde das nicht die Zufriedenheit der Menschen stärken, selbst wenn er es könnte. Sich selbst einzubringen, heißt der Gesellschaft und der Sinnhaftigkeit des eigenen Daseins zu helfen. Das ist zwar auch die Aufgabe der Politik. Aber die Politik kann das nicht allein lösen. Wir müssen weg von einer immer weiter sich individualisierenden Welt zurück zu einem verstärkten, gesellschaftlichen Bewusstsein.

nussbaum.de:Wie ist die Kommunikation zwischen den Gemeinden mit Blick auf das ehrenamtliche Engagement? Gibt es eine Plattform, auf der sich die Vereine und Ehrenämtler austauschen können?

Jäger: Wir haben vor vielen Jahren ein Gemeindenetzwerk gegründet, weil wir dem bürgerschaftlichen Engagement und dem Ehrenamt einen sehr hohen Stellenwert beimessen. Außerhalb der engen Strukturen des Gemeindetags Baden-Württemberg gibt dieses Netzwerk Möglichkeiten, um sich über Ergebnisse auszutauschen, die im Sinne der beteiligten Ehrenamtlichen sind.

Zwischenzeitlich sind rund 200 Kommunen diesem Netzwerk beigetreten. Es wird in wenigen Tagen eine Perspektivenkonferenz geben, auf der wir innerhalb dieses Netzwerks die Frage stellen wollen: Wie können wir in diesen schweren Zeiten die Motivation hochhalten und die Menschen davon überzeugen, dass es genau richtig und elementar für das Gelingen unserer Gesellschaft ist, dass wir uns weiterhin einbringen?

nussbaum.de:Ist dieses Netzwerk ein reines Networking-Tool oder gibt es auch Möglichkeiten, um etwa Fördermittel und dergleichen zu beantragen?

Jäger: Es ist beides. Der zentrale Faktor ist natürlich das Netzwerken selbst, aber auch dass regelmäßig gezeigt wird, wo etwas bereits gut funktioniert hat. Offen gesprochen ist aber auch wichtig, aufzuzeigen, was denn wo und aus welchen Gründen nicht funktioniert hat, um daraus zu lernen. Dazu kann dieses Gemeindenetzwerk eine sehr wichtige Hilfestellung leisten. Die Plattform ist mit einer erheblichen Unterstützungsleistung sowohl bei der Fördermittelbeantragung als auch bei der Durchführung des Förderprojekts verbunden.

nussbaum.de: Ohne ein bestimmtes Projekt zu sehr in den Vordergrund rücken zu wollen, aber können Sie ein „Best-Practice“-Beispiel für ein funktionierendes, ehrenamtliches Engagement benennen?

Jäger: Aus meiner Sicht ist bis heute das relevanteste Beispiel der eingetragene Verein. Der idealtypische Verein leistet mit Blick auf die Bildungsgerechtigkeit eine entscheidende Funktion, aber auch dadurch, dass er Jugendliche aus allen gesellschaftlichen Schichten zusammenbringt, ein Netzwerk schafft und sogar die Eltern zusammenbringt. Damit gewährleisten Vereine ein ganz anderes Grund- und Selbstverständnis. Sie bieten allen Menschen an sich zu beteiligen, egal, ob sie aus dem nächsten Dorf oder vom anderen Ende der Welt kommen. Insofern haben Vereine auch eine riesige integrative Fähigkeit.

Über den reinen Vereinszweck hinaus, ob mit Musik, Sport, Kultur, etc., sind sie sinnstiftend und geben den Menschen Halt. Sie sind für viele sogar so etwas wie eine zweite Heimat außerhalb der Familie, in der sie sich wohlfühlen können. Natürlich gibt es neben Vereinen noch weitere solche Angebote. Es wird viel über sonstige Formen des gesellschaftlichen Engagements gesprochen. Das vermittelt manchen Vereinen den Eindruck, dass sie schon „Old School“ sind. Aus meiner Sicht gehören sie zu einem Zukunftsmodell, das wir auch weiterhin ermöglichen sollten.

Die Fragen stellte Jonny Diep

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von dj
23.10.2024
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