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Interview mit Kandidat der Grünen

MdB Jürgen Kretz: „Müssen eine wehrhafte Demokratie sein"

Vor der Wahl zum Bundestag am 23. Februar stellt Nussbaum Medien einigen Kandidaten des Wahlkreises 277 Rhein-Neckar vor, darunter auch Jürgen Kretz.
MdB Jürgen Kretz (Grüne) in seinem Wahlkreisbüro in der Wieslocher Hauptstraße. Er ist davon überzeugt, dass regierende Parteien in der Lage sein müssen, Kompromisse einzugehen.
MdB Jürgen Kretz (Grüne) in seinem Wahlkreisbüro in der Wieslocher Hauptstraße. Er ist davon überzeugt, dass regierende Parteien in der Lage sein müssen, Kompromisse einzugehen.Foto: sd

Vor der Wahl zum Bundestag am 23. Februar stellt Nussbaum Medien einigen Kandidaten des Wahlkreises Rhein-Neckar zehn Fragen zu Themen, die die Wählerinnen und Wähler bewegen. Es folgt das Gespräch mit Jürgen Kretz, Bündnis 90/Die Grünen.

Nussbaum Medien (NM): Was sind Ihrer Meinung nach die größten Sorgen der Menschen in Ihrem Wahlkreis?

Jürgen Kretz: Wir haben derzeit ein Sorgenpaket. Da sind zum einen die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, zum anderen die gestiegenen Lebensunterhaltungskosten auf vielen Ebenen. Jedoch sind wir in den Bereichen Energiewende und Klimaschutz auf dem richtigen Weg.

„60 Prozent unseres Bedarfs werden aus erneuerbaren Energien gewonnen“

Kretz: Positiv zu bewerten ist die Tatsache, dass beim Strom bereits rund 60 Prozent unseres Bedarfs aus erneuerbaren Energien gewonnen wird, aber das darf nicht das Ende der Fahnenstange sein, wir brauchen noch mehr. Es geht darum, diesen Anteil Schritt für Schritt weiter zu erhöhen. In meiner Arbeit im Bundestag mache ich mich im zuständigen Ausschuss stark für eine nachhaltige Wirtschaft international, auf Bundesebene, aber auch für die Region.

Wir müssen damit aufhören, ständig neue Flächen zu versiegeln. Deshalb bin ich froh über die Förderung für Renaturierung- und Naturschutzmaßnahmen, wie etwa im Steinbruch in Nußloch. Das bedeutet einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung.

NM: Was würden Sie im Rückblick auf die vergangenen vier Jahre als bisher größten erzielten Erfolg für die Region bezeichnen und wo sehen Sie aktuell Handlungsbedarf?

Kretz: Auch meine Partei macht sich darüber Gedanken. Den Weg, dass wir bereits knapp 60 unseres Strombedarfs aus erneuerbaren Energien gewinnen, müssen wir gemeinsam fortführen. So könnten wir uns eine bürgerschaftliche Beteiligung in Form von Genossenschaften bei den erneuerbaren Energien vorstellen. So könnten auch viele ihren persönlichen Betrag zum Klimaschutz leisten, von dem auch alle anderen profitieren.

NM: Die (Neu-)Verschuldung der Kommunen steigt rasant an. Gerade kleinere Kommunen haben es immer schwerer. Braucht es neue Finanzierungsmodelle für die Städte und Gemeinden?

Kretz: Es geht darum, das finanzielle Ungleichgewicht bei Städten und Gemeinden zu verringern. Daher benötigen wir eine grundlegende Reform der Schuldenbremse, um auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten handlungsfähig zu bleiben. Es müssen Investitionen in notwendige Maßnahmen weiter möglich bleiben. So beispielsweise bei der Sanierung von Brücken und ähnlichen Projekten. Der von Wirtschaftsminister Robert Habeck vorgeschlagene Deutschlandfonds wäre sicherlich eine große Hilfe. Denn so könnten dringend notwendige Investitionen vorgenommen werden.

NM: Mieten, Lebensmittel und Energiekosten – die Preise in diesen Bereichen bleiben nach wie vor auf hohem Niveau. Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um die Preise wieder zu senken?

Kretz: Ich sehe da verschiedene Ansätze. Eine Mietpreisbremse könnte und wird sicherlich helfen. Zum Glück stabilisiert sich die Inflationsrate, sie sinkt. Die Preise, gerade bei Lebensmitteln, sind ebenfalls rückläufig. Wir sollten ein Auge auf Supermärkte richten, die teilweise die Preise künstlich hochhalten. Netzentgelte dürfen nicht länger auf Kunden umgelegt werden und der Reallohn muss erhöht werden. Wir machen uns daher für einen Mindestlohn von 15 Euro pro Stunde stark.

NM: Hunderttausende Arbeitskräfte fehlen, ob in Pflege, Handwerksbetrieben oder an Schulen und Kitas – Tendenz steigend. Wie wollen Sie gegensteuern?

Kretz: Wir sind seit Langem und bleiben auch künftig ein Einwanderungsland. Entscheidend wird sein, die Hemmnisse von ausländischen Personen, die bei uns arbeiten wollen, abzubauen. Dabei wird uns in erster Linie eine sinnvolle Digitalisierung von bürokratischen Abläufen helfen. Entscheidend wird sein, die derzeitige Verunsicherung bei Arbeitswilligen aus dem Ausland zu verringern. Das geht nur, wenn wir als Gesellschaft die Notwendigkeit erkennen, dass wir Arbeitskräfte aus anderen Ländern tatsächlich benötigen.

NM: Was der Wirtschaft zunehmend zu schaffen macht, ist die überbordende Bürokratie. Gleichzeitig haben viele Versuche, Bürokratie abzubauen, das Gegenteil bewirkt. Was schlagen Sie vor?

Kretz: Hier geht es um eine Aufgabe, die die gesamte Gesellschaft betrifft. Prozesse müssen beschleunigt werden und teilweise wurde dies bereits umgesetzt. Beispiel: Sich eine eigene Solaranlage auf dem Balkon zu installieren, ist jetzt wesentlich vereinfacht worden. Außerdem erscheint es mir notwendig, die Abläufe und den Informationsfluss zwischen den Behörden zu verbessern, umso schneller Anliegen bearbeiten zu können und um mehrfaches Tätigwerden seitens der betroffenen Bürgerschaft zu vermeiden.

NM: Der Deutschen Rentenversicherung zufolge gibt es nach 2030 keine Untergrenze mehr für das Rentenniveau. Gleichzeitig werden junge Menschen historisch hohe Beiträge zahlen müssen. Wie kann die Politik dem begegnen?

Kretz: Was wir unbedingt benötigen, ist ein Mindestniveau für Rentnerinnen und Rentner. Deswegen müssen verschiedene Wege eingeschlagen werden, so unter anderem auch Aktienfonds. Der Vermögensaufbau der Normalverdiener soll dabei gefördert und geschützt werden. Nur ein sehr kleiner Personenkreis, der wesentlich höhere Erträge hat, könnte auch stärker belastet werden.

„Dieser Habeck-Vorschlag wurde verallgemeinert“

Leider wurde dieser Habeck-Vorschlag verallgemeinert. Es soll eben nicht jene treffen, die Sparguthaben angesammelt haben, sondern eben nur jene, die ein sehr großes Vermögen haben. Uns darf in keinem Fall etwas passieren, was einst der damals zuständige Minister Blüm verkündet hat: „Die Renten sind sicher.“ Er hat damals etwas versprochen, was er nicht wirklich halten konnte. Vielmehr geht es darum, die Herausforderungen durch den demografischen Wandel offen anzusprechen.

NM: Deutschland hinkt vor allem im Verkehrssektor seinen Klimazielen hinterher. Welche Schritte müssten unternommen werden, um dies zu ändern?

Kretz: All unsere Bemühungen müssen darauf ausgerichtet sein, nicht alles auf die E-Autos herunterzubrechen. Vielmehr muss es darum gehen, alle Verkehrsmittel im Fokus zu haben. Also auch verbesserter Nahverkehr und mehr mit dem Fahrrad unterwegs zu sein. Schade nur, dass die Förderung für E-Autos gestrichen wurde, wir wollen das wieder einführen. Eine solch finanzielle Unterstützung soll dann nicht nur für Neuwagen, sondern auch für gebrauchte und Leasing-Fahrzeuge gelten. Gerade für Letzteres besteht meiner Meinung nach noch Ausbaupotenzial.

„Alle zehn Kilometer mindestens eine Ladestation“

In Baden-Württemberg wurde bereits erreicht, alle zehn Kilometer mindestens eine Ladestation anzubieten. Das muss weiter forciert werden. Zudem wurden und werden die Reichweiten der batteriebetriebenen Autos ständig optimiert. Was wir brauchen, ist eine gesellschaftliche Akzeptanz, geschlossen gegen den Klimawandel anzutreten, indem es auch im Geldbeutel der Menschen ankommt, dass erneuerbare Energien in der Erzeugung schon jetzt die günstigste Energieform sind. Was wir dringend benötigen, sind E-Autos, die jeder auch finanzieren kann.

NM: Populistische Forderungen, Tendenzen zu extremistischen Positionen und eine Verrohung der politischen Debatten sind in Deutschland immer häufiger zu beobachten. Mit welchen konkreten Maßnahmen will Ihre Partei diesem Umstand entgegenwirken?

Kretz: Es geht vor allem darum, Falschmeldungen in sozialen Medien schnell und nachhaltig zu löschen. Das kann nicht alleine den Betreibern solcher Plattformen überlassen werden. Es geht nicht darum, die Meinungsfreiheit einzuschränken, sondern vor allem offensichtliche Lügen einzudämmen, die gerade von autoritären Staaten – wie jetzt von Russland im Krieg gegen die Ukraine – missbräuchlich genutzt werden. Es geht in erster Linie darum, Lösungen für diesen Missbrauch zu erarbeiten. Das Europarlament muss diesbezüglich eine wichtige Rolle spielen.

„Eine spürbare ‚Brandmauer‘ ziehen“

Bezogen auf die AfD ist es von großer Bedeutung, gerade jetzt eine spürbare „Brandmauer“ zu ziehen. Das bedeutet, keine inhaltliche Annäherung zu vollziehen. Ich schließe auch nicht aus, das Bundesverfassungsgericht einzuschalten, wenn es darum geht, die Verfassungstreue der AfD überprüfen zu lassen. Wir müssen eine wehrhafte Demokratie sein. Es kann nicht angehen, die Schuld für bestimmte Dinge nur bei anderen zu suchen und es reicht nicht aus, einfach nur „draufzuhauen“.

NM: Worin sehen Sie das Scheitern der bisherigen Regierung und was kann die Politik daraus lernen?

Kretz: Es war gewiss eine schwierige Situation, und die öffentliche Diskussion war nicht hilfreich. Ich gehe davon aus, dass unterschiedliche Koalitionen nach dem Wahlausgang am 23. Februar möglich sein werden, außer mit der AfD, die bei Verhandlungen außen vor bleiben muss. Alle anderen Konstellationen sollen und müssen in Betracht gezogen werden. Und dies auf einer konstruktiven Basis im Sinne der Demokratie. Künftige Partner müssen auch in der Lage sein, Kompromisse einzugehen, das ist ein hohes Gut zwischen demokratischen Parteien. Und das sollte funktionieren.

Zur Person

Jürgen Kretz (42 Jahre), Bündnis 90/Die Grünen, ist seit Februar 2024 als Nachrücker für Christian Kühn Mitglied des Deutschen Bundestages. Kretz wuchs in Wiesloch auf und legte 2001 am dortigen Gymnasium das Abitur ab. Von 2002 bis 2008 studierte er Politikwissenschaft und Interkulturelle Kommunikation an der Technischen Universität Chemnitz. Anschließend war er kurzzeitig für den Bundestagsabgeordneten Gert Weisskirchen (SPD) tätig. Von 2012 bis zu seinem Einzug in den Bundestag 2024 war er als Referent im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung tätig. Kretz ist seit 2009 Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen. Von 2014 bis 2016 war er Mitglied des Kreistags des Rhein-Neckar-Kreises. Jürgen Kretz wohnt in Wiesloch und hat dort auch sein Wahlkreisbüro.

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Ausgabe 05/2025

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