Jürgen Creutzmann ist 1979 geboren und tritt als Bundestagswahlkandidat für Die Linke im Wahlkreis Karlsruhe-Land an. Im Zuge der Vorberichterstattung zur Bundestagswahl konnte die Redaktion des Kraichtalboten und des MAZ mit ihm über Telefon ins Gespräch kommen.
Kraichtalbote (KB)/MAZ: Was hat Sie dazu bewegt, für den Bundestag zu kandidieren?
Jürgen Creutzmann: Ich kandidiere für den Bundestag, weil mir bewusst geworden ist, dass alle Ursachen für die heutigen Krisen im Wesen des Kapitalismus und in seinem Konkurrenzdenken liegen, nach dem Motto: „Alle gegen alle.“ Diese Denkweise ist von Menschen geschaffen und ich bin der festen Überzeugung, dass diese Verhältnisse auch von Menschen wieder geändert werden können. Deswegen will ich gemeinsam mit meiner Kandidatur für eine bessere Welt kämpfen, in der Schwache nicht gegen noch Schwächere ausgespielt werden.
KB/MAZ: Welche Themen aus Ihrem Wahlkreis haben für Sie aktuell Priorität?
Creutzmann: Die Linke und ich stehen für ein solidarisches Miteinander statt sozialer Spaltung. Die Preiserhöhung für die Lebenserhaltung durch die Konzerne ist ein wichtiger Punkt. Der Rechtsruck hierzulande, in Europa und weltweit, aber auch die Kriege vor der Haustür und der Klimaschutz bzw. der globale Klimawandel müssen dringend angegangen werden. Das alles bewegt den Menschen, auch hier im Landkreis.
Natürlich spielt auch die Gesundheitsversorgung eine wichtige Rolle – Stichwort: Schließung der Notfallpraxen in Kirrlach und Ettlingen beispielsweise. Am 30. Januar haben wir im Kreistag über den Haushalt abgestimmt: Ich habe dagegen gestimmt, auch weil die Anträge freier sozialer Träger im Hinblick auf die freiwilligen Leistungen hier abgelehnt worden sind – da ist für mich sozial wenig drin. Das gefährdet den sozialen Frieden, deswegen stehen wir für ein solidarisches Miteinander und wollen den sozialen Frieden erhalten und keine Spaltung.
KB/MAZ: Mieten, Lebensmittel, Energiekosten – die Preise in diesen Bereichen bleiben nach wie vor auf hohem Niveau. Wie kriegen wir die Preise wieder runter? Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um die Preise wieder zu senken?
Creutzmann: Ja, das stimmt. Die erhöhten Preise für Mieten, Lebensmittel, Energie sind sehr hoch, werden erhöht, sind aber nicht naturgegeben. Sie werden bewusst von den Konzernen erhöht, um Profite zu generieren. Dieter Schwarz, Eigentümer von Lidl, beispielsweise hat sein Vermögen in den letzten sieben Jahren verdoppelt. Er besitzt Schätzungen zufolge bis zu 43 Milliarden Euro.
Was schlage ich vor, um die Preise zu senken? Einmal müssen Grundnahrungsmittel, Hygieneprodukte, aber auch der ÖPNV von der Mehrwertsteuer befreit werden. Natürlich muss dann gesetzlich sichergestellt sein, dass die Mehrwertsteuerabschaffung sich auch preissenkend auswirkt.
Die Mieten müssen runter: Ich schlage einen bundesweiten Mietendeckel vor, hohe Mieten müssen abgesenkt werden. Beides soll sich an der ortsüblichen Vergleichsmiete orientieren, zusätzlich dürfen die nächsten sechs Jahre keine Mieterhöhungen mehr stattfinden. Die großen Wohnungskonzerne wie beispielsweise Vonovia und Deutsche Wohnen, jetzt gerade fusioniert, sollen wieder in öffentliche Hand überführt werden.
Der dritte Punkt, den Sie angesprochen haben, sind die Energiekosten. Natürlich kostet der Umbau zu 100 % erneuerbarer Energieversorgung Geld, aber langfristig werden die Preise hier auch wieder sinken. Wir schlagen konkret preisgünstige Sockeltarife vor, nach dem Prinzip: „Wer mehr verbraucht, zahlt auch mehr.“ Menschen mit sehr hohem Einkommen sollen Energie-Soli auf ihre Einkommens- und Kapitalertragssteuern zahlen.
KB/MAZ: Hunderttausende Arbeitskräfte fehlen, ob in Pflege, Handwerksbetrieben oder an Schulen und Kitas – Tendenz steigend. Wie wollen Sie hier gegensteuern?
Creutzmann: Um gemeinsam hier gegenzusteuern, müssen sich die Arbeitsbedingungen ändern. Produktives, gutes Arbeiten bis zur Rente ist nur mit einer stärkeren Entlastung und einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Leben möglich – Stichwort: psychische Belastung am Arbeitsplatz, Burn-out. Wir wollen eine bessere Arbeitsschutzverordnung und Mitbestimmung der Betriebsräte auch bei der Personalbemessung, auch um Personalmangel vorzubeugen.
Und es braucht einen Mindestlohn, jetzt von 15 Euro, ab 2026 von 16 Euro. Ganz wichtig ist zudem eine generelle Verkürzung der Arbeitszeit: Wir wollen eine Viertagewoche bei vollem Personal- und Lohnausgleich. Auch wichtig ist das Recht auf Auszeiten: zwei Sabbatjahre im Berufsleben und das Recht auf eine Vollzeitstelle mit familienfreundlichen Arbeitszeiten.
KB/MAZ: Was der Wirtschaft zudem zu schaffen macht, ist die überbordende Bürokratie. Gleichzeitig haben viele Versuche, Bürokratie abzubauen, das Gegenteil bewirkt. Wie entkommen wir diesem Dilemma?
Creutzmann: „Die Wirtschaft“ klagt oft darüber. Aber was ist denn „die Wirtschaft“? Die Wirtschaft ist für mich in erster Linie die Menschen, die am Band, im Büro, in der Produktion, in den sozialen Berufen oder in den Behörden arbeiten. Natürlich haben die auch mit Bürokratie zu tun.
Ich verstehe es, wenn die Menschen genervt sind aufgrund von Bürokratie – aber der Bürokratieabbau ist auch eine wirtschaftsliberale Floskel. Jede Bundesregierung schreit seit Jahren, besonders laut aus der CDU/FDP-Ecke, wir müssen die Bürokratie für die Wirtschaft abbauen.
Bürokratie ist nicht per se schlecht: Im Rechtsstaat schützt sie vor Willkür, aber sie kann auch belasten, beispielsweise, wenn ich auf Sozialleistungen angewiesen bin. Zwei Beispiele: Wenn ich ein behindertes Kind habe, muss ich jedes Jahr nachweisen, dass ich einen entsprechenden Sonderparkausweis brauche; wenn ich ein Miethaus baue, kann es teilweise zehn Jahre dauern aufgrund der bürokratischen Bauvorschriften, bis ich wirklich bauen kann. Eine gut funktionierende Bürokratie ist notwendig, aber sie muss praktikabel und verständlich sein, nicht nur für die Wirtschaft, sondern für alle.
KB/MAZ: Der Deutschen Rentenversicherung zufolge gibt es nach 2030 keine Untergrenze mehr für das Rentenniveau. Gleichzeitig werden junge Menschen historisch hohe Beiträge zahlen müssen. Wie können wir dem begegnen?
Creutzmann: Viele, ich auch, legen inzwischen die Renteninformation schnell wieder weg, weil man weiß, da ist zu wenig für später drin. Die Linke und ich wollen, dass alle Menschen mit Erwerbseinkommen, auch Beamt:innen, Selbstständige, Freiberufler:innen, Manager:innen und natürlich auch Politiker und Politikerinnen, wenn sie Abgeordnete sind, in eine solidarisch gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Das Rentenniveau kann dann steigen, weil wir mehr Geld in der Rentenkasse haben. Generell wollen wir es auf 53 % erhöhen – und wollen nicht, wie andere Parteien vorschlagen, dass mit den Renten an der Börse spekuliert wird.
Gegen Altersarmut hilft eine solidarische Mindestrente von mindestens 1.400 Euro, insbesondere für Menschen mit Lücken in ihrer Bewerbungsbiografie. Ich nenne die Stichworte Arbeitslosigkeit, erzwungene Teilzeit, alleinerziehende Eltern: Insbesondere Frauen werden immer noch strukturell benachteiligt, Kinderkriegen darf kein Armutsrisiko nach sich ziehen. Ganz im Gegenteil: Das müssen wir viel mehr fördern.
KB/MAZ: Obwohl Deutschland seine Klimaziele erfüllt, hinkt der Verkehrssektor hinterher. Welche Schritte sind Ihrer Meinung nach zielführend?
Creutzmann: Wir kennen den Staufrust bei Autopendler:innen und den täglichen Stress beim Bahnfahren – hier passt einiges nicht zusammen. Es besteht Handlungsbedarf, und zwar mit dem Ziel einer echten Mobilitätswende und einem echten sozialökologischen Umbau des Verkehrssektors. Ganz konkret schlägt Die Linke vor: sofort ein Neun-Euro-Ticket für Schüler:innen, Azubis und Studierende sowie mittelfristig ein Null-Euro-Ticket, also kostenfreien Nahverkehr. Jede Ortschaft soll mindestens eine stündliche Anbindung an Bus und Bahn haben, die privatisierten Nahverkehrsunternehmen müssen zudem wieder in öffentliche Hand. Busse und Bahnen sind einfach viel zu wichtig, um sie dem freien Markt zu überlassen.
Der Antriebswechsel zum Elektromotor des Autos hält die Linke aus Gründen des Klimaschutzes für richtig, allerdings muss dieser Übergang zusammen mit den Beschäftigten gegangen werden. Wir sind hier in Baden-Württemberg, haben eine starke Autoindustrie, eine Zulieferindustrie – der Umbau darf nicht zulasten der Beschäftigten gehen. Sie brauchen ein Recht auf Weiterbildung im Hinblick auf die Umstellung der Produktion von E-Fahrzeugen, anderen Verkehrsmitteln, Bahnen oder Lastenfahrrädern. Natürlich braucht es auch eine Beschäftigungsgarantie, eine Standortgarantie und eine Einkommensgarantie. VW hat es vor einiger Zeit vorgemacht: Sie haben mit Entlassungen gedroht, das geht natürlich gar nicht.
Zudem brauchen wir eine Ausweitung des Fahrrad- und Fußverkehrs sowie Radschnellwege. Ziel ist eine autofreie Innenstadt, in der alle gut zusammenleben können – das kriegen wir nur gemeinsam hin, nicht gegeneinander.
KB/MAZ: Die (Neu-)Verschuldung der Kommunen steigt rasant an. Gerade kleinere Kommunen haben es immer schwerer. Braucht es neue Finanzierungsmodelle für die Kommunen?
Creutzmann: Ja, es braucht neue Finanzierungsmodelle. Es ist auch genug Geld da, es ist nur falsch verteilt. Ein Sparkurs im Sozialen und beim Klimaschutz wäre fatal.
Aber jetzt konkret: Was kann man machen, dass die Kommunen mehr Geld haben? Was schlagen wir vor?
Für die Gemeinden, Städte und Kreise brauchen wir, noch weiter gefasst als die Gewerbesteuer – das ist die Haupteinnahmequelle der Kommunen –, eine Gemeindewirtschaftssteuer. Mit diesem Konzept würden alle Großverdiener:innen, auch in freien Berufen, mit erfasst werden und so mehr Geld in die kommunalen Kassen fließen.
Natürlich brauchen wir auch eine Vermögenssteuer auf Bundesebene, die direkt den Kommunen und Kreisen zugutekommt – die gab es schon unter Kanzler Helmut Kohl und der war bekanntlich kein Linker. Wir fordern 1 % ab einem Vermögen von einer Million und 5 % ab 50 Millionen. Betriebsvermögen werden erst ab 5 Millionen mit 1 % besteuert und ab einer Milliarde mit 12 %.
Oder: Wir werben mit einer gemeinsamen Kampagne – das habe ich gestern im Kreistag bei der Haushaltsberatung vorgeschlagen – aller Kommunen auf Städte- und Kreistagsebene gegen das Bundessondervermögen für Rüstung im Militär von 100 Milliarden. Das Geld könnte dann den Kommunen zugutekommen und würde nicht verschießpulvert werden.
KB/MAZ: Populistische Forderungen, Tendenzen zu extremistischen Positionen, Verrohung der politischen Debatte – führen zu großen Problemen. Nennen Sie konkrete Maßnahmen, um dem entgegenzuwirken.
Creutzmann: Das mache ich gerne. Friedrich Merz und die CDU haben durch ihren Pakt mit der AfD gezeigt, dass sie mit Faschisten gemeinsame Sache machen. Grüne und SPD schließen, Stand jetzt, eine Koalition mit der CDU nicht aus. Hier haben wir ein grundlegendes Bildungsproblem.
Es gilt, aus der Geschichte zu lernen. Und gegen den Faschismus – das hat die Geschichte gezeigt – helfen keine bloßen Worte. Der Rechtsruck ist kein Zufall: Er wurde über Jahre hinweg durch soziale Kürzungen politisch genährt. Ganz konkret brauchen wir eine langfristige finanzielle Absicherung von Beratung gegen Rechtsextremismus, zum Beispiel Opferberatung. Demokratiebündnisse und antifaschistische Initiativen vor Ort müssen gestärkt und an Schulen eingeladen werden. Zeitzeugen gibt es leider immer weniger.
Die Linke setzt sich zusätzlich für eine antifaschistische Erinnerungskultur ein, um an die Opfer von damals zu denken und deren Gedenken für heute zu bewahren. Auch hier im Kreis – Stichwort: Kislau – sind Gedenkstätten und Gedenkorte wichtig für das kollektive Erinnern und die Aufarbeitung der Nazi-Diktatur, damit so etwas nicht noch einmal passiert. Und ganz wichtig: Den 8. Mai, den Tag der Befreiung, wollen wir als Feiertag haben.
KB/MAZ: Was sind Ihrer Meinung nach die größten Sorgen der Menschen in Ihrem Wahlkreis?
Creutzmann: In den Gesprächen mit den Menschen im Wahlkreis Karlsruhe-Land kriege ich mit, es sind die Themen, die schon angesprochen wurden, die Preiserhöhungen für die Lebenserhaltung durch die Konzerne, der Rechtsruck hierzulande, in Europa und weltweit. Die Menschen schauen mit Sorge in die USA, näher nach Österreich, wo Konservative mit Rechten wahrscheinlich bald einen Kanzler stellen. Weitere Themen sind die Kriege vor der Haustür und der Klimaschutz, aber natürlich auch die Ängste vor dem sozialen Abstieg. Die Gesundheitsversorgung vor Ort ist wichtig: Die muss erhalten bleiben, die Schließung der Notfallpraxen im Kreis Karlsruhe habe ich schon angesprochen.
KB/MAZ: „Frieden schaffen ohne Waffen“ – ein Zitat ihrer Wahlkampfseite im Internet. Was genau bedeutet das für Sie?
Creutzmann: Das ist ein Zitat von Ulli Thiel, einer der zentralen Figuren in der Friedensbewegung in Deutschland und leider schon verstorben. Für mich und Die Linke sind Krieg und Waffen kein legitimes Mittel der Politik. Meine Vision ist ein friedliches Land in einer friedlichen Welt, und diesen Frieden können wir nur über Verhandlungen und Diplomatie schaffen. Waffen haben noch keinen Frieden geschaffen – das hat die Geschichte gezeigt, auch mit seinen furchtbaren Weltkriegen.
Um einen Friedensprozess in der Ukraine zu ermöglichen, muss die Bundesregierung mit China und Brasilien endlich Druck auf Russland machen und die Verhandlungspartner zu Verhandlungen zwingen. Wir wollen keine Stationierung von US-amerikanischen Mittelstreckenraketen in Deutschland. Das hatten wir schon in den 80ern und hat auf Dauer keinen Frieden geschaffen in Europa.
Auch im Nahostkonflikt fordern wir diplomatische Initiativen, die auf einen sofortigen Waffenstillstand drängen sowie ein Ende der deutschen Waffenexporte an die rechte Regierung in Israel. Rüstungskonzerne im Allgemeinen sollen eine Konversion erfahren und zivile Produkte herstellen – da müssen die Beschäftigten mitgenommen werden, um ihre Arbeitsplätze zu halten. Grundsätzlich stellen die Linke und ich uns gegen eine Militarisierung der Gesellschaft: Wir wollen keine Wiedereinführung der Wehrpflicht, keine Bundeswehrwerbung an Schulen oder an Bildungsmessen, auch an den Hochschulen und Instituten soll zivil geforscht werden und nicht für den Krieg.
Die Fragen stellte Justin Schick.
Jürgen Creutzmann ist 1979 geboren und Direktkandidat für Die Linke im Wahlkreis 272 Karlsruhe-Land. Er wohnt in Pfinztal und arbeitet als Sozialpädagoge, die täglichen Erfahrungen im Beruf motivieren ihn, politisch aktiv zu sein.
Creutzmann ist zudem Mitglied im Kreistag, als Betriebsrat aktiv und Mitglied der Gewerkschaft ver.di und der GEW. Er ist bei den Naturfreunden, im KSC-Fanclub „Blau-Weiss statt Braun“, bei der LG Pfinztal und der LSG Karlsruhe sowie beim Chor Rotkrakelchen.