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Für den Wahlkreis Karlsruhe-Stadt

Bundestagswahl 2025: Interview mit Parsa Marvi (SPD)

Parsa Marvi tritt für die SPD bei der Bundestagswahl 2025 im Wahlkreis Karlsruhe-Stadt an. Der Redaktion beantwortete er im Vorfeld einige Fragen.
Parsa Marvi verspricht sich, wie auch den Bürgerinnen und Bürgern, mit einem guten Konzept in die Zukunft zu gehen.
Parsa Marvi verspricht sich, wie auch den Bürgerinnen und Bürgern, mit einem guten Konzept in die Zukunft zu gehen.Foto: war

Wenige Wochen vor der Bundestagswahl haben die Parteien die heiße Wahlkampfphase eröffnet und die Kandidaten kämpfen um jede Stimme. Auch Parsa Marvi von der SPD möchte als Bundestagsabgeordneter nach 2021 erneut für den Wahlkreis Karlsruhe-Stadt sins Parlament einziehen. Der 42-Jährige stellte sich den Fragen der Redaktion.

Wochenjournal Durlach (WJ) Welche Themen aus Ihrem Wahlkreis haben für Sie aktuell Priorität?

Parsa Marvi: Karlsruhe ist eine Stadt, die von ihrer Aufbaugeschichte her immer vielfältig war. Heute leben und arbeiten hier Menschen aus vielen unterschiedlichen Nationen zusammen. Unser Wohlstand in der Technologieregion Karlsruhe mit einer weltweit renommierten Universität, mit Unternehmen, die tief in den globalen Wertschöpfungsketten integriert sind, beruht auf Austausch und Offenheit, auf Zuzug. Politische Kräfte, die mit ihrer geschichtsvergessenen Abschiebeticket-Aktion die Gesellschaft spalten und Hass und Hetze hineintragen wollen, schaden unserem Land und unserer Stadt. Abschottung und Isolation wären unser wirtschaftlicher Abstieg. Darüber müssen wir sprechen.

WJ: Was würden Sie im Rückblick auf die vergangenen vier Jahre als bisher größten erzielten Erfolg für die Region bezeichnen und wo sehen Sie aktuell den dringendsten Handlungsbedarf?

Marvi: Ich habe mich als Abgeordneter in der Region erfolgreich darum bemüht, Bundesfördermittel in die Region zu holen. Es geht um Fördermittel zur Sanierung von Schulen, Stadtentwicklung, Klima- und Denkmalschutz. Außerdem konnte ich mit dazu beitragen, dass Karlsruhe den Zuschlag für die World Games erhalten hat. Ich habe als Berichterstatter im Finanzausschuss mehrere Steuerpakete verhandelt, was betroffenen Beschäftigten in der Region unter anderem den Vorteil gebracht hat, dass Arbeitgeber auch für RettungssanitäterInnen und medizinische Fachangestellte eine steuer- und abgabenfreie Corona-Sonderzahlung von bis zu 4.500 Euro auszahlen konnten.

WJ: Mieten, Lebensmittel, Energiekosten – die Preise in diesen Bereichen bleiben nach wie vor auf hohem Niveau. Wie kriegen wir die Preise wieder runter? Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um die Preise wieder zu senken?

Marvi: Wir hatten 2022 eine bedrohliche Lage mit einer Inflationsrate in der Spitze von 10 Prozent. Wir haben in dieser Situation große Entlastungspakete sowie die Strom- und Gaspreisbremse auf den Weg gebracht. Jetzt muss es um weitere Entlastungen für 95 Prozent der NormalverdienerInnen. Da wollen wir die Einkommensteuer für breite Schichten senken, die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel von 7 auf 5 Prozent reduzieren sowie für Kinder ein kostenfreies Mittagessen an Schulen ermöglichen. Unser Konzept ist gegenfinanziert, weil wir die Einnahmen bei den Spitzenverdienern mit Einkommen über 100.000, 200.000, 300.000 Euro holen, diese höher besteuern und an sehr hohe Erbschaften und Vermögen herangehen.

WJ: Hunderttausende Arbeitskräfte fehlen, ob in Pflege, Handwerksbetrieben oder an Schulen und Kitas - Tendenz steigend. Wie wollen Sie hier gegensteuern?

Marvi: Zum einen müssen wir weiterhin gute Fachkräfte aus dem Ausland holen. Wir haben das erleichtert durch ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild. Wir haben die Eintrittsschwellen für den Zuzug von Fachkräften gesenkt. Zudem müssen wir deutlich mehr Menschen, die aus dem Ausland hier sind, leichter in den Job bringen. Da ist mit unserem Jobturbo mit Maßnahmen auf Seiten der Bundesagentur für Arbeit und bei den Unternehmen schon viel passiert. Die Menschen müssen schneller in den Job kommen. Abschlüsse aus dem Ausland müssen schneller anerkannt werden. Gleichzeitig hat Deutschland eine der höchsten Teilzeitquoten im internationalen Vergleich bei Frauen. Hier muss ein massiver Ausbau in der Kinderbetreuung erfolgen. Auch beim Steuerrecht müssen Anreize gesetzt werden, damit die Erwerbstätigkeit der Frauen ansteigt.

WJ: Was der Wirtschaft zudem zu schaffen macht, ist die überbordende Bürokratie. Gleichzeitig haben viele Versuche, Bürokratie abzubauen, das Gegenteil bewirkt. Wie entkommen wir diesem Dilemma?

Marvi: Wir haben definitiv zu viel Bürokratie und viele Berichtspflichten durch die Europäische Union, die reduziert werden müssen. Auch im Inland haben wir einen Schritt gemacht mit dem letzten Bürokratieentlastungsgesetz. Aber da dürfen wir nicht nachlassen. Auch in einem deutlichen Ausbau der Verwaltungsdigitalisierung steckt viel Potential für den Abbau der Bürokratie.

WJ: Der Deutschen Rentenversicherung zufolge gibt es nach 2030 keine Untergrenze mehr für das Rentenniveau. Gleichzeitig werden junge Menschen historisch hohe Beiträge zahlen müssen. Wie können wir dem begegnen?

Marvi: Zum einen ist die gesetzliche Rente das wichtigste angesparte Vermögen für die meisten Deutschen. Ich finde es richtig, das gesetzliche Rentenniveau auf 48 Prozent zu stabilisieren. Das Rentenniveau drückt die Kaufkraft der Rente aus, indem man die Standardrente ins Verhältnis zum durchschnittlichen Einkommen setzt. Dazu müssen die Rentenbeiträge Ende der 20er Jahre moderat steigen, ebenso der Bundeszuschuss aus dem Haushalt. Dann bekommen wir die Rente stabilisiert, das ist seriös berechnet. Aber das ist aus meiner Sicht noch nicht ausreichend. Wenn wir mittelfristig ein Rentenniveau wie in Österreich haben wollen, müssen alle in die Rentenkasse einzahlen, auch Selbstständige, Beamte und Abgeordnete. Ich warne davor, die Sozialversicherungen durch den Kapitalmarkt zu ersetzen. Was das für verheerende Folgen hat, kann man in Ländern wie Chile beobachten. Ich finde, wir sollten mit der gesetzlichen Rente ein gutes Auskommen im Alter ermöglichen. Zusätzliches Ansparen ist ok.

WJ: Obwohl Deutschland seine Klimaziele erfüllt, hinkt der Verkehrssektor hinterher. Welche Schritte sind Ihrer Meinung nach zielführend?

Marvi: Wir müssen ran an die Reform der Schuldenbremse. Deutschland hat eine der niedrigsten Verschuldungsquoten der Industrienationen und nimmt sich dadurch den Spielraum, in großem Stil in die Infrastruktur, in die Bildung und in die Mobilitätswende zu investieren. Wir haben mit dem Deutschlandticket, der Generalsanierung von 4.200 Kilometern Streckennetz bis 2030 und Investitionen in die Schieneninfrastruktur und Deutsche Bahn von 70 Milliarden Euro bis 2027 schon einiges erreicht. Volker Wissing muss sich vor seinen CSU-Amtsvorgängern wahrlich nicht verstecken. Auf diesem Weg muss es weitergehen für die Dekarbonisierung des Verkehrssektors. Da braucht es noch mehr Investitionen für eine zuverlässige Deutsche Bahn und einen ÖPNV, der überall gut funktioniert.

WJ: Die (Neu-)Verschuldung der Kommunen steigt rasant an. Gerade kleinere Kommunen haben es immer schwerer. Braucht es neue Finanzierungsmodelle für die Kommunen?

Marvi: Wir haben ein Drittel der Kommunen, die überschuldet sind, im Bundesgebiet. Gleichzeitig tragen Kommunen zwei Drittel der öffentlichen Bauinvestitionen im Land. Deswegen schadet die Unterfinanzierung der Kommunen der Wirtschaft und dem bezahlbaren Wohnen. Deshalb brauchen Kommunen deutlich mehr Mittel von Land und Bund. Es geht daher jetzt um eine Reform der Schuldenbremse, die die härteste Schuldenregel der Welt ist. 400 bis 600 Milliarden müssten wir investieren. Wenn wir das nicht tun, leiden die Wirtschaft und die Infrastruktur für nachkommende Generationen.

WJ: Populistische Forderungen, Tendenzen zu extremistischen Positionen, Verrohung der politischen Debatte – führen zu großen Problemen. Nennen Sie konkrete Maßnahmen, um dem entgegenzuwirken.

Marvi: Zum einen ist es wichtig, auf Sanktionierung zu setzen, gerade in sozialen Netzwerken und dem digitalen Raum. Ich finde es gut, dass soziale Netzwerke Beiträge, die zu Hass und Gewalt aufrufen, durch den Europäischen Digital Service Act (DSA) löschen müssen, weil Hass und Gewalt auch im digitalen Raum keinen Platz für mich haben. Wir müssen auf frühzeitige Prävention setzen. Deshalb brauchen wir ein Demokratie-Fördergesetz, mit dem wir auf einen langen Zeitraum hin Projekte zur Extremismus-Prävention und Demokratie-Förderung umsetzen können. Gleichzeitig müssen unsere Sicherheitsbehörden deutlich besser verstehen, wie sich Radikalisierung und Gewaltbereitschaft gerade im digitalen Bereich verbreiten und sich beim Einzelnen auswirken. Dafür braucht es nicht nur Kriminologen, sondern auch Psychologen und Sozialarbeiter, die das erkennen und bearbeiten. Ich würde sagen, wir brauchen ein Bundesamt für Kriminalprävention.

WJ: Was sind Ihrer Meinung nach die größten Sorgen der Menschen in Ihrem Wahlkreis?

Marvi: Ich meine, das sind zum einen Ängste durch politische Kräfte, die Menschenfeindlichkeit und Ablehnung von Vielfalt befördern. Viele Familien sind sich nicht sicher, ob sie hier bleiben können. Gleichzeitig sorgen sich die Menschen um die wirtschaftliche Zukunft. Sie fragen sich: „Sind unsere Arbeitsplätze sicher? Kommen wir im Monat über die Runden? Wie werden wir vor Mietwucher und Eigenbedarfskündigungen beim Wohnen geschützt?“ Das sind ganz konkrete Fragen, für die wir politisch arbeiten und in unserem Wahlprogramm Lösungen aufzeigen. Eine andere Sorge ist, dass Kinder einen verlässlichen Betreuungsplatz bekommen.

WJ: Vor welchen weiteren Herausforderungen steht die SPD jetzt nach der Vertrauensfrage und vor der Bundestagswahl und wie begegnen Sie dem?

Marvi: Dieser Wahlkampf ist ein ganz anderer als 2021. Wir haben immer noch Krieg mitten in Europa. Wir haben viele geopolitische Krisen, die die Menschen bewegen wie den Nahost-Konflikt. Wir haben nach der Corona-Pandemie und nach der hohen Inflation jetzt noch eine Krise der Automobil-Industrie. Das besorgt viele Menschen. Darauf erwarten sie Antworten. In diesem Sinne ist das kein Schönwetter-Wahlkampf, sondern ein Wahlkampf in ernsten Zeiten. Wir können gewinnen, wenn wir klarmachen, was unsere Antworten auf die Krisen der Zeit sind und dass es mit uns gerecht zugehen wird für Millionen Beschäftigte und Familien.

Die Fragen stellte Jennifer Warzecha.

Zur Person:

42 Jahre

Verheiratet, zwei Kinder

Bundestagsabgeordneter und Kandidat für den Bundestag

seit 1999 in der SPD

Erscheinung
Wochenjournal Durlach
NUSSBAUM+
Ausgabe 07/2025

Orte

Karlsruhe

Kategorien

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Parteien
Politik
von Redaktion NUSSBAUMRedaktion NUSSBAUM
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