Wie geht es der ukrainischen Bevölkerung in Neckargemünd? Dieser Frage ging der Neckarbote bereits in der letzten Ausgabe nach, in der es um die Gefühlslage, Wohnungssituation und das Angekommen sein ging. Nun wirft unsere freie Mitarbeiterin Kirsten Seubert einen Blick auf die Lebensumstände, die Herausforderungen des Spracherwerbs und die Fortschritte der Integration.
Susanne Metzger hat schon viele Sprachkurse ehrenamtlich geleitet; eigentlich ist sie Schulsekretärin. Zusammen mit der Ukrainehilfe Neckargemünd hat sie sich bei vielen Angeboten beteiligt. Auf dem Programm standen beispielsweise ein Sonntagsfrühstück mit landestypischen Speisen oder Gesprächskreise für Mütter mit Kindern; auch Ausflüge wurden unternommen. Ein Sprachcafé mit unterschiedlichen Themen wie „alles rund um das Thema Wohnung mieten“ gehörte dazu, wie auch die Gründung einer Gesprächsgruppe, die von einem deutschen Traumapädagogen und einer ukrainischen Psychologin geleitet wird. Mit der Zeit wurden die Angebote der Ehrenamtlichen auf die veränderten Bedürfnisse der in Neckargemünd lebenden Ukrainer angepasst.
Anfangs diente noch die eigene Garage der Metzgers als Sammellager für Hilfsgüter. Später zog die Ukrainehilfe und Spendensammelstelle um in einen Container hinter dem Bahnhof. So wurden erste Kontakte zwischen Ukrainern und der Bevölkerung geknüpft und das Angebot der kostenlosen Versorgung mit Kleidung bald für alle Bedürftigen geöffnet. Nachdem in der ehemaligen „Krone“ in Kleingemünd, in der zurzeit 17 Ukrainer unterkommen, ein großes Zimmer zur Verfügung stand, sollte dieser sinnvoll genutzt werden. Also entstand hier ein Ort zum Lernen und ein Café, inklusive Präsentation von Kleidung und kleinen Haushaltsgegenständen – ein Treffpunkt mit der Möglichkeit für Austausch und Workshops. Das ehemalige Familienzimmer heißt nun: Café International.
Seit diesem Jahr liegt der Schwerpunkt auf den etwas älteren Menschen, die entweder keine Möglichkeiten zum Sprachkurs haben oder sich mit Deutsch lernen schwertun. Seit Februar gibt es zwei Gruppen à 8 bis 10 Personen, die sich jeden Mittwoch um 16 Uhr im Café International treffen, um zusammen zu lernen und zu üben. Wörtlich wird hier beim ABC der deutschen Sprache begonnen. Dass der Bedarf hoch ist, zeigt eine Nachricht aus der WhatsApp-Gruppe von Nataliia Diachenko, die beim Integrationsmanagement der Stadt Neckargemünd arbeitet, und Ukrainer vernetzen will. Dort heißt es: „Успіхів в інтеграції майже немає через вік“ (Integrationserfolge sind aufgrund des Alters kaum zu verzeichnen). Eine gelungene Integration ist jedoch nur über die Sprache möglich. Wie das gelingen kann, zeigt die Erfolgsgeschichte von Larisa.
Fast direkt nach Ankunft in Deutschland fing Larisa Didenko an, in der Bäckerei Hünnerkopfzu putzen. Ein erster Minijob. Ein Jahr lang hat sie fleißig Deutsch gelernt, bekam eine Teilzeitstelle. In der Zwischenzeit arbeitet sie im Verkauf – mit der Herausforderung der vielen Brotbezeichnungen. „Ich habe einfach ein Video gemacht und alle Namen auswendig gelernt“, lacht sie. Beim Umgang mit Kunden, die Dialekt sprechen, hilft Kollegin Renate.
Mit ihrem Mann Oleksandre ist Larisa nach Deutschland gekommen, nun ist die restliche Familie nachgezogen. Darüber ist die ehemalige Leiterin eines Kulturzentrums aus Mykolajiw sehr froh. (In der Nacht zum 20. Juli 2023 zerstörten die russischen Besatzer das historische Gebäude, das regionales Zentrum für Volkskunst, Kultur- und Bildungsarbeit war). Oleksandre Didenko hat damals in der Ukraine nach der Atomkatastrophe in Tschernobyl beim Aufräumen geholfen, dafür durfte er bereits mit 50 in Rente gehen. Die Anerkennung dieser Rente gestaltete sich hier schwierig.
Larisa Didenko hat zudem eine Ausbildung in ukrainischer Volksmusik, die ihr sehr am Herzen liegt. Ihre Musik kann sie hier als Hobby weiter ausleben. Sie beteiligte sich an einem Benefizkonzert, bei dem Spenden für ein Kinderheim in Dnipro gesammelt wurden. „Der Anfang war schwer; die Musik gibt mir Kraft und Energie. Ich habe gesagt, ich stelle hier keine Ansprüche, ich mache das Beste aus der Situation. Ich habe nicht erwartet, so einen tollen Chef und Kollegen zu bekommen“. Mittlerweile sind drei weitere Ukrainerinnen in der Bäckerei beschäftigt. Auch ihre Tochter hat Arbeit, sie putzt im Kindergarten in Waldhilsbach. Der älteste Sohn hat seinen Plan, bei der Deutschen Bahn zu arbeiten, zielstrebig umgesetzt. Als Busfahrer.
Zurück zur WhatsApp-Gruppe von Nataliia Diachenko. Ob Termine oder Angebote der Ukrainehilfe, hier gibt es für über 100 Ukrainerinnen und Ukrainer in Neckargemünd Informationen und Austausch. Diachenko hat dort für den Neckarboten nachgefragt, wie es mit der Integration in Deutschland klappt und wo die Herausforderungen und Probleme liegen (die im Original ukrainischen Aussagen wurden übersetzt): „Stück für Stück, aber es ist schwer. Du wirst nie du selbst sein.“ „Ich integriere mich! Aber ich spreche kein Deutsch“, „Ich kann nicht gute Arbeit finden, weil ich keine Ausbildung habe. Meine Arbeitserfahrung in der Ukraine passt in Deutschland nicht und ich bin zu alt, um eine Ausbildung in Deutschland zu machen. Die Miete ist zu hoch, und ich kann nichts finden, weil ich arbeitslos bin.“ „Die gering qualifizierte Arbeit ermöglicht es mir, Miete, Versicherung und Lebensmittel zu bezahlen.“, „Diplom und Führerschein müssen anerkannt werden“; „Ich habe Mangel an einem aktiven Sozialleben“. „Derzeit gibt es noch Sprachbarrieren und leichte Mentalitätsunterschiede. Vielen Dank an die deutsche Regierung, dass sie uns mit meiner Tochter aufgenommen hat! Vielen Dank für die finanzielle Hilfe und die emotionale Unterstützung. Wir wissen das wirklich zu schätzen!“
Von Arbeitgeberseite wünschen sich die Ukrainer Offenheit, Flexibilität und Vertrauen. „Man kann alles lernen“, so Larisa Didenko, „meine Schwiegertochter hat als Bankkassiererin in der Ukraine gearbeitet und sich als Buchhalterin beworben. Sie war ehrlich, hat gesagt, dass sie wenig kann, ist aber engagiert. Dann gehen die Türen auf.“ Doch die Sprache ist und bleibt der wichtigste Türöffner. „Gerne sind weitere deutsche Muttersprachler zur Unterstützung willkommen“, so Susanne Metzger. Natürlich bei einer Tasse Kaffee. Die Öffnungszeiten des Café International erfahren Interessierte per E-Mail über smetzger1401@gmail.com (kis)
► Hier geht es zum ersten Teil "Der Alltag läuft – die Seele weint"