Manchmal endet ein Leben, bevor es überhaupt richtig begonnen hat.
Eine Fehlgeburt ist mehr als ein medizinisches Ereignis. Sie ist der Verlust eines Kindes – für die, die es erwartet, geliebt und gehofft haben. Und dennoch wird dieser Verlust oft nicht gesehen. Nicht anerkannt. Nicht betrauert.
Medizinisch spricht man von einer Fehlgeburt, wenn eine Schwangerschaft vor der 22. Woche oder mit einem Gewicht unter 500 Gramm endet. Im Gegensatz zur Totgeburt gilt sie rechtlich nicht als Geburt – was sich auch auf Mutterschutz und Beurkundung auswirkt.
Was trocken klingt, hat Folgen: Viele Mütter und Väter bleiben mit ihrem Schmerz allein. Ihr Kind erscheint in keinem Register, kein Brief kommt vom Standesamt, kein offizielles Ritual markiert das Ende. Und so bleibt auch die Trauer oft unsichtbar.
Fehlgeburten sind keine Seltenheit.
Etwa 15 % aller festgestellten Schwangerschaften enden vorzeitig – weltweit betrifft das rund 23 Millionen Frauen pro Jahr. In Deutschland sind es jährlich zehntausende Fälle – und unzählige, die unerkannt bleiben, weil sie sehr früh passieren. Eine von zehn Frauen erleidet im Laufe ihres Lebens mindestens eine Fehlgeburt.
Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko stark:
Während bei jungen Frauen (20–29 Jahre) rund 10–12 % der Schwangerschaften in einer Fehlgeburt enden, sind es bei über 40-Jährigen bereits über 50 %.
Wer eine Fehlgeburt erlebt, trauert.
Um das Kind, das nicht geboren wurde. Um all das, was nie sein wird.
Diese Trauer ist real – auch wenn sie leise ist. Auch wenn kein Sarg da ist. Auch wenn niemand gratuliert hatte.
Und doch erleben viele Betroffene etwas zusätzlich Belastendes:
Das Gefühl, nicht trauern zu dürfen.
Weil das Umfeld schweigt.
Oder versucht, zu trösten – mit Sätzen, die alles nur schlimmer machen:
„Ihr seid doch noch jung, ihr könnt doch noch Kinder bekommen.“
„Vielleicht ist es besser so – das Kind wäre bestimmt behindert gewesen.“
„Seid froh, dass es so früh passiert ist.“
„Wer weiß, wozu es gut war.“
„Ihr habt ja schon ein gesundes Kind.“
— Quelle: derfamilienblog.de
All diese Sätze mögen gut gemeint sein.
Aber sie tun weh.
Sie nehmen dem Verlust seine Tiefe.
Und der Trauer ihren Raum.
Man stelle sich vor, jemand sagt so etwas bei einer Beerdigung:
„Vielleicht war es besser so – er wäre ja eh bald dement geworden.“
Absurder Gedanke?
Und doch ist es genau das, was viele Eltern nach einer Fehlgeburt hören.
Ein Schwangerschaftsverlust ist nicht nur eine körperliche und seelische Krise – oft ist es auch eine Beziehungskrise. Studien zeigen: Paare, die eine Fehlgeburt erleben, trennen sich häufiger als andere.
Vor allem dann, wenn sie unterschiedlich trauern:
Wenn einer reden will – und der andere schweigt.
Wenn einer stark sein will – und der andere weint.
Wenn sie beide fühlen, aber nicht das Gleiche.
Männer trauern oft anders.
Sie ziehen sich zurück. Wollen „funktionieren“.
Und werden dabei oft übersehen – von der Familie, von Ärzten, manchmal auch von ihrer Partnerin.
Dabei brauchen auch Väter Raum für ihren Schmerz.
Auch sie haben ein Kind verloren.
Auch sie dürfen traurig sein.
Was viele Frauen nach einer Fehlgeburt am meisten verletzt, ist nicht nur der Verlust selbst.
Sondern das Gefühl, dass niemand ihn anerkennt.
Dass sie das Kind verloren haben –
und gleichzeitig das Recht zu trauern.
Dass sie am Boden liegen –
und trotzdem Sätze hören wie: „Beim nächsten Mal klappt es bestimmt.“
Diese doppelte Unsichtbarkeit kann traumatisieren.
Kann dazu führen, dass Frauen glauben, sie müssten sich zusammenreißen.
Dass sie sich schämen, traurig zu sein.
Oder sich gar fragen, ob sie selbst schuld sind.
Trauer braucht Raum.
Und Menschen, die bleiben.
Manchmal reicht schon ein Satz:
„Es tut mir so leid.“
Oder:
„Ich weiß nicht, was ich sagen soll – aber ich bin da.“
Es braucht keine Erklärungen.
Keine Ratschläge.
Nur Nähe. Echtes Mitgefühl.
Hilfreich können auch Rituale sein:
Ein kleiner Brief ans ungeborene Kind.
Ein Gedenkort. Eine Kerze. Ein Name.
Denn ein Kind, das geliebt wurde,
verdient Erinnerung.
Vielleicht kennen wir jemanden, der still getrauert hat.
Vielleicht sind wir selbst diese Person.
Dann können wir anfangen, anders zu sprechen.
Und endlich anzuerkennen:
Auch das ungeborene Leben war Leben.
Auch dieser Verlust ist ein echter Verlust.
Auch diese Eltern sind Eltern –
auch wenn sie kein Kind im Arm halten.