Quasi nur einen sprichwörtlichen Steinwurf - okay, der müsste ziemlich weit ausfallen, vielleicht besser eine Brückenfahrt, entfernt vom baden-württembergischen Kehl öffnet sich in Straßburg ein Tor zu einer Stadt voller Geschichte, Genuss und charmantem Savoir-vivre. Ideal für einen Tagesausflug – auch mit kleinerem Budget und Kindern im Gepäck.
Der Tag beginnt politisch – und überraschend spannend: im Europaviertel. Ein Spaziergang über den rund 2,5 Kilometer langen Parcours d‘Europe führt vorbei an den wichtigsten Orten der politischen Administration unseres Kontinents: Europarat, Menschenrechtskommission und das Europäische Parlament. Letzteres empfängt Besucher mit interaktiven Mitmachstationen und kostenfreien Führungen (nach Anmeldung). Beeindruckend, wie nah man hier dem politischen Herz Europas kommt. Auch Kinder ab etwa zehn Jahren lauschen mit großen Augen, wenn von Abstimmungen, Sprachenvielfalt und EU-Gesetzen erzählt wird. Und das Gebäude selbst? Ein Architektur-Highlight mit Symbolkraft.
Von der Moderne und der Vision von einem grenzenlosen und geeinten Europa geht es direkt ins Mittelalter. Das alte Gerberviertel Petite France - das „kleine Frankreich“ - verzaubert mit engen Gassen, malerischem Fachwerk und plätschernden Kanälen. Früher wohnten und arbeiteten hier Gerber, Müller und Fischer, heute scheint hier die Zeit stehen geblieben zu sein – perfekt für einen gemütlichen Spaziergang. Wer mag, gönnt sich eine kleine Bootstour auf der Ill: Die kurzen Rundfahrten sind auch für Familien erschwinglich und zeigen Straßburg von seiner schönsten Seite.
Geheimtipp: Die kleinen Gassen abseits der Touristenpfade in Petite France verbergen oft versteckte Innenhöfe, kleine Galerien und ruhige Ecken – ideal für ein stilles Päuschen oder ein Erinnerungsfoto.
Ikonisch und optisch spektakulär sind auch die Ponts Couverts, die gedeckten Brücken. Gedeckt sind sie heute zwar nicht mehr, der Name rührt aus alten Zeiten, als die Konstruktion überdacht war. Nebenan erinnert der Vauban-Staudamm an die einstige Garnisonsstadt – der Damm sollte als Schutz vor Feinden dienen und die Stadt im Notfall fluten. Heute präsentieren sich Ponts und Staudamm im Sommer oft illuminiert und geben zur blauen Stunde ein hübsches Bild ab.
Straßburg macht hungrig – und bietet kulinarisch einiges. Wer es authentisch mag, wird in den vielen kleinen Winstubs fündig. Hier duftet es ganztags nach traditionellem Flammkuchen mit Speck und Zwiebeln, aber auch vegetarische Varianten oder süße Kreationen mit Apfel und Zimt gibt’s fast überall. Für Fans rustikalerer Kochkunst bietet die Elsässer Küche allerhand: Nicht fehlen darf dabei „Choucroute“ – von wegen Sauerkraut wäre eine deutsche Angelegenheit! Unsere französischen Nachbarn sind mindestens genau so vernarrt in die Weißkohl-Leckerei und servieren sie in beinahe monströsen Portionen mit allerhand Fleischspezialitäten. Als Nachtisch ein Stück Kougelhopf – der Kuchenklassiker ist auch im Elsass bekannt. Für die ganz Sparsamen: Viele Bäckereien bieten herzhafte Tartes und Baguettes zum Mitnehmen – perfekt für ein Picknick am Fluss in der Sonne.
Ein Straßburg-Besuch in ohne einen Blick auf das gewaltige Münster? Undenkbar. Mit seiner unsymmetrischen Silhouette ist die Cathédrale Notre-Dame de Strasbourg schon von außen ein Monument, das schon Goethe bei seinem Besuch Inspiration für eine ganz neue und revolutionäre literarische Ära war. Im Inneren offenbart sich seine ganze Pracht, ob in der Engelssäule, dem Altarraum oder der prächtigen, in allen Farben leuchtenden Rosette.
Große Teile des Münsters sind kostenfrei zugänglich, lediglich die astronomische Uhr kostet extra. Allerdings lohnt der Blick: Das Meisterwerk an Uhrmacherkunst, Mathematik und Astronomie zeigt eindrucksvoll die Weltsicht der Renaissance.
Wer Kraft in den Beinen hat und ein wenig Geld in die Hand nehmen will, erklimmt die 330 Stufen bis zur Plattform auf dem unvollendeten rechten Turmsockel, vielleicht kurz vor der vollen Stunde zum Glockenschlag. Oben wartet ein Panoramablick über Stadt, Rhein und – bei klarer Sicht – bis in den Schwarzwald. Für Kinder gibt es ein Suchspiel mit Tiermotiven an der Fassade: Adler, Löwen, Elefanten – wer entdeckt sie zuerst?
Das lohnt sich mit Kindern: Neben dem Tier-Suchspiel an der Münsterfassade sorgt auch der kleine kostenlose Spielplatz im Square Louise-Weiss in Petite France für Abwechslung. Und wer mit der Tram fährt, fühlt sich schnell wie ein kleiner Weltreisender – gerade auf der Strecke durch das Europaviertel.
Zurück aus der Höhe führt der Weg durch das lebhafte Münsterviertel auf der Grand Île, die UNESCO-Weltkulturerbe ist – verkehrsberuhigt und zu Fuß. Feinkostläden und Antiquariate reihen sich hier an Weinstuben. Das Auge bleibt an der reich verzierten Holzfassade von Haus Kammerzell hängen, das wohl berühmteste Gebäude nach dem Münster. Und der Rohan-Palast hat nichts mit Herr der Ringe zu tun, sondern ist ein beeindruckendes Zeugnis aus der Zeit, in der Kardinäle und Kurie auch weltliche Herrschaft innehatten. Heute kommen hier Kunstfans auf ihre Kosten, sowohl im Kunstgewerbemuseum, im Museum für bildende Kunst mit Rubens, Goya & Co. oder in der Sammlung mechanischer Spielzeuge des berühmten Illustrators und Autors Tomi Ungerer.
Den Abschluss des Tages bildet ein Bummel über den Place Kléber. Straßburgs größter Platz pulsiert vor Leben. Straßenkünstler, Eisstände, Cafés – wer hier Platz nimmt, taucht ein in das bunte Straßburger Alltagsleben. Und ganz nebenbei gibt es Einkaufsmöglichkeiten vom kleinen Mitbringsel bis zur französischen Mode. Wer etwas mehr Zeit hat, erkundet noch den Botanischen Garten oder macht einen Ausflug vor die Tore der Innenstadt zur Orangerie mit ihrem Park.
Abends empfiehlt sich ein Sundowner am Quai des Pêcheurs – bei den Einheimischen bekannt als „La Plage“ – der Strand. Mit einem Cocktail am Flussufer kommt hier ganz schnell Urlaubsfeeling auf, mit Blick auf die Altstadt.
Straßburg ist gut mit dem Zug erreichbar – zum Beispiel über Offenburg. Das „Eucor-Pass“-Ticket oder das Baden-Württemberg-Ticket in Kombination mit französischen Regionalbahnen machen die Fahrt erschwinglich. Parkplätze in der Stadt sind rar und eher teuer, wer mit dem Auto anreist, sollte deshalb einen der vielen Park & Ride-Plätze nutzen. Das Ticket für die Straßenbahn ist im mit 4,20 Euro geringen Tagessatz für das Parkhaus für alle Autoinsassen wirklich günstig. In der Stadt selbst lässt sich fast alles zu Fuß oder per Tram erkunden – für Kinder ein Erlebnis mit eigenem Abenteuerfaktor. Als fahrradfreundlichste Stadt Frankreichs ist auch eine Exkursion auf zwei Rädern kein Problem: Stationen zum Radleihen oder Verleihgeschäfte gibt es hier mehr als genug.
Straßburg schafft durch seine Ausstrahlung und sein Flair, was viele Städte nur versuchen – die Verbindung von Geschichte, Moderne und Lebenslust. Ein Tag reicht, um sich zu verlieben. Und wer einmal da war, kommt meist bald zurück. Mit Flammkuchen im Herzen und Europa im Kopf.
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