
Es war ein nebliger, bitterkalter Dienstag, als Frieda die Sicherheitskontrolle am Flughafen passierte. Ihre Uniform saß wie immer makellos, doch das Halstuch, das sie normalerweise mit Stolz trug, schnürte ihr heute die Luft ab. Um sie herum herrschte das altbekannte Chaos: diskutierende Pärchen, im Gepäck wühlende Alleinreisende, Kinder, die streikten und ihren Eltern Schweißperlen auf die Stirn trieben. Seufzend hievte Frieda ihren Trolley auf das Band.
„Wohin geht’s dieses Mal?“, fragte die Kontrolleurin. „Tokio, dann weiter nach Sydney und über Los Angeles zurück nach Frankfurt“, antwortete Frieda matt. „Dabei wäre ich lieber bei meiner Familie. Zum ersten Mal feiere ich Weihnachten ohne sie.“
Gerade, als sie den Mantel ablegen wollte, ertastete sie ihn. Den Papierstern von Nele. Vorsichtig legte sie ihn zu den übrigen Wertsachen.
Auf dem Flug nach Japan wüteten heftige Turbulenzen, Friedas Service geriet aus dem Takt. Trotzdem war die Atmosphäre friedlich. Auf dem Schoß einer Passagierin sah sie diesen einen Weihnachtsroman, den sie schon immer hatte lesen wollen. Ruhig blickte die Frau aus dem Fenster, wo die Welt in warmem Licht und glitzernden Städten vorbeizog.
Nach der Landung wünschte Frieda allen an Bord ein frohes Fest, auch wenn sie wusste, dass Weihnachten in Japan keine religiöse Tradition hatte. „Für Sie“, sagte die Frau von vorhin und drückte Frieda lächelnd den Roman in die Hand. Ein großer, gelber Stern zierte dessen Vorderseite.
Knapp achttausend Kilometer entfernt saß Frieda am Zweiten Weihnachtstag in einem Café im Terminal. Zimtgeruch stieg ihr in die Nase, als sie Milch in ihren Tee rührte. Am Tag zuvor hatte eine Kollegin aus Sydney sie spontan zu einem Grillabend am Strand eingeladen. Während sie am Feuer gesessen hatten und das Meer leise rauschte, leuchtete über ihnen das Kreuz des Südens. Sein Anblick sorgte dafür, dass Frieda am Ende der Welt ein wenig leichter ums Herz wurde.
Nach den Feiertagen boardete der Flug von Los Angeles nach Frankfurt. Frieda bemerkte, dass ein älterer Mann mit seinem Handgepäck haderte, und sie eilte ihm zu Hilfe. „Hatten Sie ein schönes Weihnachtsfest?“, fragte sie ihn.
„Ja, mit meiner Familie in Kalifornien.“ Seine großen, braunen Augen strahlten wie zwei funkelnde Christbaumkugeln im Kerzenschein. „Nun geht es für mich zu meiner Tochter nach Deutschland. Endlich lerne ich meine Enkelin kennen.“
„Oh, schön!“, entfuhr es Frieda. Ihre Vorfreude auf Nele überkam sie. „Wie heißt sie?“ „Estrella“, sagte der Mann. „Das ist Spanisch und bedeutet Stern, wissen Sie?“
Als Frieda vierzehn Stunden später endlich die Ankunftshalle in Frankfurt betrat, erspähte sie sofort die blonden Locken ihrer Tochter. Einzelne Schneeflocken hatten sich darin verfangen.
„Mami!“ Nele stürmte auf sie zu. „Ich habe dieses Weihnachten überall Sterne gesehen, du auch?“ „Ja, mein Schatz“, sagte Frieda erschöpft, aber glücklich. Sie schloss Nele in die Arme. „Überall waren Sterne. Überall war Licht.“
Jana Kühn, Brühl
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