
Viel ist vom Stuttgarter Hauptbahnhof nicht übrig. Eine provisorische Holzwand begrenzt derzeit den Querbahnsteig. Schnell fällt das große blaue Schild der Bahnhofsmission ins Auge. Den rosa Streifen auf dem Boden entlang, gelangt man zu den beiden Containern, die als provisorische Unterkunft dienen.

„Die Bahnhofsmission ist für alle da – für Reisende und für alle, die Hilfe benötigen“, sagt Antje Weber, Leiterin der Einrichtung. Mitarbeitende in blauen Westen sind im Bahnhof unterwegs, helfen beim Umsteigen, begleiten mobilitätseingeschränkte Reisende oder solche, die die verwinkelten Wege zwischen S-Bahn, Innenstadt und Hauptbahnhof nicht allein bewältigen können – wenn nötig mit hauseigenem Rollstuhl.
Jede Woche organisieren die Blaujacken den Reiseweg der blinden und sehbehinderten Kinder des Internats der Nikolauspflege. Auch ankommende Geflüchtete erhalten Unterstützung, die „Bahnhofsmission mobil“ begleitet Kinder oder andere Bedürftige auf Bahnfahrten.

Doch die Bahnhofsmission ist mehr als ein Servicepunkt für Reisende – sie ist ein Ort für Obdachlose, Gestrandete und Einsame. An diesem nasskalten Nachmittag stehen bereits mehrere Männer und Frauen vor der Tür – Jüngere und Ältere, alle mit dem Bedürfnis nach Wärme, einem heißen Tee, einem Gespräch oder einer konkreten Auskunft. „Unsere Gäste“, so nennen die Mitarbeitenden ihre Besucher, nehmen im kleinen Aufenthaltsbereich Platz, reden miteinander oder suchen das Gespräch mit dem Team.
Die Einrichtung ist niedrigschwellig. Bei weiterführenden Anliegen wird an andere Stellen vermittelt – ein Regal mit Flyern sämtlicher sozialer Angebote der Stadt steht bereit. „Wenn jemand ein vertrauliches Gespräch braucht, schließen wir auch mal die Tür“, sagt Weber.
Viele kommen regelmäßig: Frau Z etwa, die zwar eine Wohnung hat, aber nur wenige Kontakte. Sie rede gern, erzähle von ihren Kindern oder lasse sich von den Mitarbeitenden beim Buchen eines Arzttermins helfen. „Hier blüht sie auf“, erzählt Weber.
Herr P erscheint seltener, ist aber allen vertraut. Viel spricht er nicht; er hört zu und hilft gerne, wenn er etwas beitragen kann.
Andere holen einen Tee oder Kaffee, ein belegtes Brötchen, laden ihr Handy auf oder füllen ihre Wasserflasche. Im Winter ist es warm, im Sommer angenehm kühl.
Dazu gibt es regelmäßige Angebote wie „Joes Treff“ für Männer, „Ellens Café“ für Frauen oder einen Quiztag. Mit der Deutsche Bahn Stiftung arbeitet die Mission im Projekt „Mutmacher:in“ zusammen, das vertiefte Beratung, Unterstützung und Begleitung vorsieht. „Alle Menschen, die Hilfe benötigen, egal welche, sind uns willkommen“, betont Weber.
Zehn hauptamtliche Kräfte in Teilzeit, zwei FSJler, zwei Werkstudenten und rund 50 Ehrenamtliche halten den Betrieb aufrecht. Getragen wird die Einrichtung vom Katholischen Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit IN VIA und dem Verein für Internationale Jugendarbeit. Die Finanzierung erfolgt auch durch städtische Zuschüsse und Spenden.
Anstelle von Weihnachtsgeschenken an die Kunden hat NUSSBAUM Medien dieses Jahr beschlossen 5000 Euro an die Bahnhofsmissionen in Baden-Württemberg zu spenden. Zusätzlich zu diesem Betrag hat die NUSSBAUM Stiftung auf der stiftungseigenen Plattform gemeinsamhelfen.de eine Spendenaktion gestartet, um weitere Spenden an die Bahnhofsmissionen zu ermöglichen.
► Wer die Bahnhofsmissionen in Baden-Württemberg bei ihrer wertvollen Arbeit unterstützen möchte, kann dies hier tun.

Ohne letzteres und die Ehrenamtlichen, so Weber, wäre die Arbeit nicht möglich. Das gilt besonders für die langen Öffnungszeiten: montags bis freitags 7–21 Uhr, samstags 9–17 Uhr, sonntags 9–21 Uhr. Auch Weihnachten und Silvester ist geöffnet: „Das sind Tage der Familie. Viele unserer Gäste haben das nicht – das wollen wir auffangen“, sagt Weber.
Bekannt geworden sind auch die „Engel der Bahnhofsmission“. Mitarbeiterin Schwester Birgit fertigt Engelsfiguren aus Holz an; sie werden gegen Spenden abgegeben.
Die Vorfreude auf neue Räume im künftigen Bahnhof ist groß. Mehr Platz und ein eigener Raum für vertrauliche Gespräche seien dringend nötig, sagt Weber. Doch das kann dauert – der Eröffnungszeitpunkt ist unbestimmt.
Der Name erinnert an die religiösen Wurzeln. Ende des 19. Jahrhunderts entstanden in katholischer, evangelischer und jüdische Tradition Schutzinitiativen für Frauen und Mädchen. Die erste evangelische Bahnhofsmission eröffnete 1894 Pfarrer Johannes Burckhardt in Berlin – Namensgeber für „Joes Treff“. Die erste katholische gründete Ellen Ammann, die heute „Ellens Café“ ihren Namen gibt.
Auch in Mannheim gibt es eine Bahnhofsmission. Ein Besuch.


